Nudeln für Alle: Wie ein Verein die Nachbarschaft mit einer italienischen Tradition beglückt

Stadtgesellschaft Im Juli 1943 feierte ein Dorf in Italien die Verhaftung von Mussolini. Die Familie Cervi verteilte damals frisch gekochte Pasta auf dem Marktplatz. Im Gedenken an die spätere Hinrichtung der sieben Brüder Cervi wird das "Pastasciutta" heute noch in vielen Städten gefeiert - so auch dieses Jahr zum ersten Mal in Chemnitz.

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Italienische Pasta-Tradition goes Sonnenberg

Ein öffentliches Abendessen ist eher ein ungewöhnliches Mittel zum Gedenken. Erinnerung an den Widerstand im Faschismus finden wir meist eher in Bildungsformaten, Demonstrationen oder Popkultur. Deswegen ist die Veranstaltung vom IZDA auf dem Sonnenberg etwas Besonders. Für Freitagabend hatte der Verein die Nachbarschaft und Menschen aus Chemnitz zum Abendessen eingeladen. Auf Instagram und Facebook bewarb das IZDA - das neue Internationale Zentrum für Demokratie und Aktion - die Veranstaltung im Rahmen der "Internationalen Küche". Dieses Event findet regelmäßig an Freitagen in dem Zentrum statt und erlaubt den Gästen kulinarische Highlights aus verschiedenen Kulturen kennen zu lernen, aber auch neue Kontakte zu knüpfen und den Verein zu besuchen.

Die Geschichte ins Gedächtnis rufen - besonders heute

Das Pastasciutta ist die zweite Internationale Küche im IZDA. "Beim ersten Mal hat ein Freund Koshary gekocht - ein traditionelles Gericht aus Ägypten" erzählt Fatima Majed, die Vorsitzende des Vereins, während in der kleinen Küche noch fleißig gewirbelt wird. Über 60 Leute haben sich letztes Mal im IZDA getroffen und leckeres Essen genossen. Heute wurde das Konzept mit einem historischen Ereignis verknüpft. Gemeinsam mit der Jugendorganisation SDAJ Chemnitz wurde das Gericht und ein kleines Programm geplant. "Wir finden solche Traditionen wichtig, damit wir im Kopf behalten, welche Tyrannei der Faschismus gebracht hat" sagt Fatima. "Gerade jetzt, wo faschistische Kräfte wieder stärker werden, müssen wir uns daran erinnern, wie sehr die Gesellschaft damals zerrissen wurde. Dieses Leid darf sich niemals wiederholen!".

Gemeinsam Gedenken und Hoffnung finden

Die beiden Jugendorganisationen wollen das Erbe der ermordeten Kämpferinnen und Kämpfer gegen den Faschismus im zweiten Weltkrieg betonen. "Wir beobachten den Aufschwung neuer faschistischer Kräfte in Europa und die steigende Gewalt gegen Migrant*innen mit großer Sorge" erzählt Fatima vom IZDA. Sie selbst ist in Deutschland aufgewachsen, von Mehrfachdiskriminierung betroffen und fürchtet um ihre Sicherheit. "Wir müssen uns immer wieder auf die Geschichte besinnen und endlich daraus lernen". Die Mitglieder der SDAJ freuen sich, dass sie gemeinsam mit dem IZDA-Team die Tradition des Pastasciutta feiern konnten. "Solche Veranstaltungen sind wichtig, um das Gedächtnis an den Widerstand der Partisaninnen und Partisanen wach zu halten. Aus der Geschichte können wir Kraft und Hoffnung schöpfen" so erklärt Kurt Clement Gottwald von der Jugendorganisation SDAJ. 

Der Wunsch nach mehr Gemeinschaft

Mittlerweile ist das IZDA gut gefüllt und die Gäste warten geduldig auf das Essen. In kleinen Grüppchen führen sie angeregte Unterhaltungen. Viele kennen sich und einige neue Gäste werden schnell herzlich integriert. Die Verbindung von Abendessen, Gedenken und Bildung stößt auf Anklang. Eine junge ukrainische Besucherin findet: "Gemeinsam mit Freunden essen ist schön! Und wir lernen etwas hier. Das ist viel besser als zu Hause sitzen." Sie lacht und erzählt, dass sie oft allein ist und ihr Gemeinschaft fehlt. Die Umstehenden nicken. "Es fehlen einfach Orte in Chemnitz, wo wir alle Freundinnen und Freunde mitbringen können - auch wenn sie wenig Geld haben". Im IZDA werden Essen und alkoholfreie Getränke gegen Spende vergeben. Auch Abdullah aus Syrien ist gekommen, um seine Freundinnen und Freunde im IZDA zu treffen. "Aber ich dachte hier gibt es Pizza!" lacht er. "Die Atmosphäre ist toll, alle sind nett!".

Volksküche erlebt Comeback und wird international

Fatima, die Vorsitzende von IZDA freut sich über dieses niedrigschwellige Angebot. "Die Leute können sich hier kennen lernen, beisammen sein und was über andere Kulturen lernen - das brauchen wir mehr in Chemnitz". Schließlich rufen die fleißigen Köchinnen und Köche zu Tisch. Es gibt kiloweise Nudeln mit Tomatensoße und frischen Salat. Eifrig stellen sich die ersten Gäste in die Schlange vor dem Tresen. Ein junger Mann aus Libanon wirft gleich 10 Euro in die Spendenkasse. "Damit hier alle essen können!" lacht er. Das Prinzip ähnelt dem der Volksküchen der DDR. Das ganze Zentrum duftet wie ein italienisches Restaurant. Aus der Anlage klingen die linken Klassiker der italienischen Musikgeschichte. Noch immer kommen neue Gäste und verteilen sich nach und nach an den Tischen.

In Gedenken an Familie Cervi

Nachdem die meisten Gäste mit Essen versorgt sind, melden sich einige Jugendliche auf der Bühne zu Wort, begrüßen den Besuch und sprechen über die Hintergründe der Pastasciutta-Tradition. "Die italienische Familie Cervi leistete Widerstand im Faschismus unter Benito Mussolini" beginnt ein Mitglied der SDAJ zu berichten. Der Vater und seine sieben Söhne sabotierten die deutsche Besatzung und die italienischen Milizen und unterstützten Partisanengruppen. Am 25. Juli vor 80 Jahren feierten sie die Verhaftung des Diktators und die Aussicht auf ein Ende des Faschismus, indem sie Pasta auf dem Marktplatz ihrer Stadt Campegine verteilten. Sie vereinnahmte diesen durch den Faschismus geprägten Ort und schafften ein Erlebnis für die Gemeinschaft. Wenige Monate später wurde die Familie verhaftet und die sieben Brüder wurden hingerichtet. "Ihr Beitrag zum antifaschistischen Widerstand hat historische Bedeutung" sagt der junge Mann auf der Bühne. Bis heute erinnert die Pastasciutta-Tradition jährlich an das Vermächtnis der Familie - vor allem in Italien aber auch in anderen Ländern.

Für Gemeinschaft, Essen und Bildung

Die Besucherinnen und Besucher lauschen den Beiträgen auf der Bühne. Leise klirren die Gabeln auf dem Geschirr. Auch zwei Mitglieder von Aufstehen gegen Rassismus sind heute zu Gast. Leo meint, es ist wichtig, Solidarität zu zeigen. "Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir uns zusammenschließen. Es darf keine Rolle spielen, woher wir kommen - wichtig ist vor Allem, dass wir gemeinsam für eine demokratische Gesellschaft kämpfen". Leo und Sara von AGR freuen sich, dass die Stimmung im IZDA so locker und herzlich ist. Sara wurde schon beim Weltgeflüchtetentag zu der Internationalen Küche eingeladen. Ihr ist wichtig, Vereine und Initiativen von Menschen mit Migrationsgeschichte, gerade auf dem Sonnenberg zu unterstützen. Gemeinschaftlich zum Essen zusammen zu kommen und sich zu weiter zu bilden erscheint als guter erster Schritt.

Ein voller Erfolg

Etwa 60 Besucherinnen und Besucher haben der Veranstaltung beigewohnt. Auch gegen Ende kamen noch hungrige Gäste, für die spontan noch ein Topf Nudeln aufgesetzt wurde. Verschiedene Generationen und Nationalitäten teilten sich die Tische und kamen ins Gespräch. "Wir freuen uns über jedes neue Gesicht!" sagt Fatima. Einige Gäste fragten nach dem nächsten Termin für die Internationale Küche. Dieser ist allerdings noch geheim.

Das IZDA: Demokratische Projekte und Nachbarschaft

Das soziopolitische Zentrum IZDA gibt es seit März 2024 und möchte einen Raum für Geflüchtete, Menschen mit Migrationsgeschichte und ihre Verbündeten schaffen. Der junge Verein will Communities und Initiativen bei demokratischen Projekten unterstützen und auch die Nachbarschaft aktivieren. Fatima erzählt, was im IZDA gemacht wird. "Im März haben wir unser schönes IZDA eröffnet. Seitdem finden jede Woche verschiedene Beratungs- und Hilfsangebote statt. Zum Beispiel das offene Büro, die Rechtsberatung und Sprach-Café. Wir organisieren aber auch ein öffentliches Frauentreffen aller zwei Wochen und in den kommenden Monaten einige spannende Abendveranstaltungen." Das Programm des Vereins wird auf Instagram und Facebook veröffentlicht.



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