"Hatte quasi keinen Kontakt zu anderen"

Libanesischer Student berichtet über Erfahrungen Interview 29-jähriger Ahmad studiert seit 2019 in Chemnitz

Die Corona-Pandemie bringt viele Einschnitte in unser alltägliches Leben mit sich. Während Kurzarbeit und Home-Office den normalen Arbeitsalltag beherrschen und durch Schul-sowie Kindergarten-Schließungen das gesamte Familienleben durcheinandergerät, wird die Gruppe der Studenten weniger betrachtet.

Gerade in diesen Zeiten ein Studium zu beginnen, weder seine Kommilitonen, noch seine Dozenten wirklich zu kennen und den ganzen Tag allein den neuen Alltag zu bewältigen, kann schon anspruchsvoll genug sein. Wenn man dann zusätzlich in diesen Zeiten in einem "fremden" Land studiert, kann sich alles noch mal doppelt schwierig gestalten.

Deshalb möchten wir vom BLICK mit unserer Reihe "BLICK aufs Auslandsstudium während Corona" auf die Situation der Studenten hinweisen. Nachdem bereits Eva, die derzeit ihr Auslandssemester in Teneriffa absolviert und sonst in Chemnitz lebt, und die 25-jährige Russin Alexandra, die in Chemnitz studiert, interviewt wurden, befragen wir heute den 29-jährigen Ahmad Fawaz. Er kommt aus dem Libanon und studiert seit Oktober 2019 in Chemnitz.

BLICK: Warum hast du dich für ein Studium in Chemnitz entschieden?

Ahmad: "Im Vergleich zu vielen anderen Ländern bietet Deutschland ein tolles Lernangebot für einen erschwinglichen Preis. Letztlich war es aber vor allem der Studiengang (Anglistik/Amerikanistik, Anmerk.d.Red.), der mich zur Entscheidung bewogen hat, in Chemnitz zu studieren. Die Kurse, wie sie hier angeboten werden und voll mein Interessengebiet trifft, wird woanders nicht in dieser Weise angeboten."

BLICK: Wie sind die aktuellen Beschränkungen in deinem Land?

Ahmad: "Im Libanon ist die derzeitige Situation in Bezug auf Corona sehr schwierig. Es gibt einige ziemlich willkürlich und ungerechtfertigte Regelungen, die dazu geführt haben, dass die Bevölkerung dem Gesundheitsministerium gar nicht mehr vertraut. Dadurch ignorieren sie dann die Maßnahmen und die Infektionszahlen sind in die Höhe geschossen - und das bei einer vergleichbar geringen Bevölkerungszahl.

Im letzten Jahr hat mich das auch selbst betroffen, da ich während des Sommersemesters noch im Libanon war und Schwierigkeiten hatte, eine stabile Internetverbindung zu bekommen - und diese auch zu halten! In vielen Fällen habe ich dann an den Online-Veranstaltungen nicht teilnehmen können, weil die Verbindung zu schwach war oder ich mich einfach ausgeloggt habe, um meine Kommilitonen nicht zu stören, wenn ich mich ständig ein- und ausloggen muss."

BLICK: Wie hat sich die Stimmung über das Jahr beziehungsweise die letzten Monate im Libanon verändert?

Ahmad: "Die Menschen im Libanon machen gerade eine sehr schwierige Zeit durch. Durch einige politische Spannungen und Aufstände seitens der nicht-konfessionellen Gemeinschaft gegenüber den Spitzen in Regierung und Politik war die Stimmung im Land schon vor Corona sehr hitzig. Die Pandemie war dann quasi nur noch die Spitze des Eisbergs. Die Regierung nutzte Corona-Regelungen und Gewalt, um die schon bestehenden Unruhen einzudämmen und zu stoppen.

Als dann noch mehrere Tausende durch die Explosion am Hafen von Beirut im August letzten Jahres verletzt und vertrieben wurden, gipfeln die Spannungen nun in Depressionen, Verzweiflung und die Menschen verlieren die Hoffnung. Viele Menschen, die an der Schwelle zum finanziellen Ruin stehen, müssen trotz der Corona-Auflagen arbeiten, um nicht zu verhungern. Sie können nicht Zuhause bleiben, sondern riskieren es lieber, sich mit dem Virus anzustecken."

BLICK: Was waren deine Erwartungen an dieses Semester?

Ahmad: "Schon das erste "Corona-Semester" im letzten Jahr war für alle Beteiligten total durcheinander, aber es war auf jeden Fall mal eine Erfahrung, bei der alle etwas gelernt haben. Wir als Studenten haben erst wenige Tage vor Semesterbeginn davon erfahren, dass die Veranstaltungen alle online stattfinden werden. Das stellte einige - so auch mich -, vor technische Probleme, da nicht alle das Equipment oder eine stabile Internetverbindung vorweisen konnten. Einige hatten auch schon Probleme damit, überhaupt einen ruhigen Ort für sich zum Studieren zu finden. Aber natürlich haben auch die Dozenten damit zu kämpfen gehabt; viele konnten sich ziemlich schnell an die neue Situation gewöhnen und die vielen verschiedenen Online-Lernangebote nutzen und flexible Lerntechniken in ihren Unterricht mit einzubeziehen.

Andere Lehrer allerdings haben die Studenten quasi allein gelassen oder erwartet, dass die Studenten die Aufgaben mit nur wenig oder quasi ohne Feedback oder Input erledigen können. Das führte dazu, dass man manchmal mit Aufgaben überhäuft wurde, möglicherweise um die fehlenden Interaktionen zu kompensieren, was einen immensen Druck auf Studenten wie mich ausübte. Am Ende waren alle, Dozenten wie Studenten, sehr durcheinander und verwirrt.

Das Wintersemester war dann schon um einiges besser organisiert, da Dozenten viel besser auf die Situation vorbereitet waren und auch auf die möglichen Probleme, die Studenten mit dem Format haben könnten, besonders die, die vielleicht gar nicht vor Ort sein können. Das hat mich ehrlich gesagt positiv überrascht, da ich befürchtet hatte, dass das Semester ähnlich chaotisch wie das erste "Corona-Semester" werden würde, besonders, da einige Dozenten zunächst nicht so viel Einsicht bezüglich Kritik an ihren Lernformaten zeigten. Daher war das Wintersemester, entsprechend der Umstände, eine wirklich angenehme Überraschung für mich!"

BLICK: Wie lautet dein Fazit zu diesem etwas anderen Semester?

Ahmad: "Die zwei letzten Semester waren auf jeden Fall völlig anders als mein erstes Semester an der Universität in Chemnitz im Oktober 2019. Das ist natürlich hauptsächlich aufgrund der Interaktionen während der normal stattfindenden Veranstaltungen so, die man im Normalfall an der Uni besucht und nicht von einem Online-Setting aus. Allerdings denke ich auch, dass während der jetzigen Zeit einige Lerntechniken erarbeitet und getestet wurden, die uns in Zukunft helfen können.

So zum Beispiel E-Plattformen, die besonders in den letzten Semestern genutzt wurden, aber auch im "Normal-Unterricht" äußerst nützlich sein können. All dies ersetzt aber leider nicht die so wichtigen Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern, aber natürlich auch der Schüler untereinander. Deshalb vermute ich, dass die Rückkehr zum Normalbetrieb am Ende für alle Beteiligten das Beste wäre."

BLICK: Konntest du neue Leute/Freunde kennen lernen?

Ahmad: "Leider kann ich das nicht wirklich bestätigten. Ich hatte quasi gar keinen "realen" Kontakt zu meinen Kommilitonen in diesem Semester, weshalb ich auch keine neuen Leute kenngelernt habe. Leider habe ich auch zu vielen Freunden aus dem ersten Semester den Kontakt etwas verloren, da ich die letzten sieben Monate quasi komplett allein gelebt habe. Freundschaften zu erhalten oder sogar neue zu schließen ist unfassbar schwierig, wenn eigentlich nicht erlaubt ist, Kontakt zu anderen Menschen von verschiedenen Haushalten zu haben.

Am Anfang war das noch ganz gut auszuhalten, aber je länger es andauert, desto mehr vermisst man gemeinsame Gespräche über Veranstaltungen oder Uni-Arbeiten. Gerade solche Interaktionen, genau wie Gruppenarbeiten oder Diskussionen im Unterricht, sind besonders für internationale Studenten so wichtig, die zunächst ihr Studium ohne bestehendes soziales Netzwerk vor Ort beginnen. Das macht die aktuelle Situation besonders schwierig."

Hinweis: Dieses Interview wurde ursprünglich auf Englisch geführt und sinngemäß übersetzt.



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