Zum 40. Todestag von Ernst Degner

MOTORSPORT Ex-MZ-Werksfahrer ist bis heute eine Reizfigur

Sachsenring. 

Sachsenring. In der allgemeinen Hektik um das Comeback der DTM auf dem Sachsenring ging etwas unter, dass vor 40 Jahren, konkret am 8. September, dem Trainingsfreitag auf dem Sachsenring, mit Ernst Degner die MZ-Reizfigur schlechthin verstarb. Nicht erst 1961, in jenem Jahr, in dem er in der Motorrad-Weltmeisterschaft für MZ in der Klasse bis 125 ccm auf WM-Kurs fuhr, war er ein gefeierter Held. Natürlich ruhten auf ihm die Hoffnungen der gesamten MZ-Belegschaft, ja der gesamten Motorsport-Nation DDR. Doch es kam anders.

Weltmeistertitel verloren oder weggeschmissen?

Zum vorletzten Rennen des Jahres in Schweden kam Ernst Degner als Tabellenführer nach Kristianstad und hatte hier die Möglichkeit den heißbegehrten WM-Titel vorzeitig sicher zu stellen. Vom Start weg ging Degner in Führung. Nach zwei Runden lag er bereits 200 Meter vor seinen Verfolgern, als sein Motor fest ging. Nachdem Ernst Degner von der erfolgreichen Republik-Flucht seiner Familie unterrichtet worden war, setzte auch er sich von Schweden aus Richtung Bundesrepublik Deutschland ab. Seitens MZ und aller angeschlossenen regimetreuen Organe wurde Ernst Degner ein absichtliches Überdrehen des Motors unterstellt, was fluchttechnisch aber nicht notwendig gewesen wäre. Auch der Ehrgeiz von Ernst Degner spricht dagegen. Belegen ließ sich dies ohnehin nicht, denn Kolbenklemmer waren damals keine Seltenheit. Der Weg zur Weltmeisterschaft war jedenfalls für Tom Phillis und Honda frei. Die ganze Angelegenheit war aber mehr als der Verlust eines WM-Titels. Es war eine politische Auseinandersetzung, ein Kampf zweier Welten. Wie sich später herausstellte, sollte MZ trotz aller Bemühungen nie wieder so dicht an den WM-Titel herankommen.

Vom gefeierten Held zum verhassten Republik-Flüchtling

Ernst Degner galt als ehemals gefeierter Held und nun allerdings Republik-Flüchtiger sowie mutmaßlicher Saboteur fortan in der DDR und bei MZ als Verräter und wurde von Manchem regelrecht gehasst. Dazu sollte man allerdings anmerken, dass "... niemand die Absicht hatte, (im damals politisch getrennten Deutschland) eine Mauer zu errichten" oder die Grenzen zur BRD zu schließen, doch genau das geschah am 13. August 1961. Und dies, um damals schon in der DDR unzufriedene Menschen vor der reihenweisen Flucht in die BRD abzuhalten, notfalls zu erschießen.

Degner kehrte DDR den Rücken

Das Rennen in Schweden fand am 17. September 1961 statt. Man tut also sicherlich gut daran, mit moralischen Vorwürfen etwas sparsamer umzugehen. Schließlich war Ernst Degner bei weitem nicht der Einzige, der der sozialistisch regierten DDR den Rücken kehrte, sodass die selbsternannten roten Gutmenschen, jedoch überwiegend selbstsüchtigen Führungskräfte, eine Mauer um ein Land bauen mussten, um noch genügend "Doofe" um sich herumzuhaben, die ihren Wohlstand sicherten. Dass Ernst Degner im Zuge seiner Republikflucht Zeichnungen und MZ-Know how in den Westen transferiert hatte, war zwar unmoralisch und traf hierzulande viele direkte und indirekte Motorsportler mitten ins Herz, ist aber irgendwie auch nachvollziehbar. Schließlich war ja auch er dahingehend geschult, dass es im Kapitalismus in erster Linie um Geldvermehrung geht und man schnell auf der Straße landen kann. Da konnte ein gewisses Startkapital nicht schaden, zumal er damit nur die urmenschlichste Eigenschaft des Selbsterhaltungstriebs erfüllte.

Ernst Degner geb. Woclawek

Ernst Eugen Woclawek wurde am 22. September 1931 im schlesischen Gleiwitz geboren. Sein Vater, und demzufolge auch die weiteren Familien-Mitglieder, nahmen später den Namen Degner an. Nachdem der Vater kurz vor Kriegsende ums Leben gekommen war, siedelte der Rest der Familie ins brandenburgische Luckau über. Nach einer Lehre zum KFZ-Mechaniker, studierte Ernst Degner in Potsdam KFZ-Technik.

Er hat zahlreiche Titel geholt

Nach einer kurzen Privatfahrerkarriere holte ihn der geniale Zweitakt-Motoren-Konstrukteur Walter Kaaden 1956 zu MZ, wo er Techniker und Werksfahrer wurde. 1957 gewann er das Rennen der Klasse bis 125 ccm auf dem Sachsenring und wurde am Jahresende DDR-Meister. Auch 1958 siegte er am "Ring". Den ersten Grand-Prix-Sieg für die Zschopauer holte 1958 der Chemnitzer Horst Fügner im schwedischen Hedemora in der 250-ccm-Klasse und am Jahresende die Vize-Weltmeisterschaft. In der 125ccm-Klasse gelang Ernst Degner 1960 im belgischen Spa-Francorchamps der erste GP-Sieg für MZ. Am Saisonende wurde er WM-Dritter. Zudem war er 1960 auch am Sachsenring wieder siegreich.

1961 hätte ein großes Jahr werden können

1961 hätte dann das ganz große Jahr für MZ werden können. In der Achtelliterklasse waren Ernst Degner und die Zschopauer Zweitakter inzwischen eine Macht. Den Saisonauftakt gewann im Montjuch Park von Barcelona der australische Honda-Fahrer Tom Phillis. Aber schon beim zweiten GP dieses Jahres in Hockenheim feierte MZ durch Ernst Degner, Alan Shepherd, Walter Brehme und Hans Fischer einen Vierfachsieg. In Assen zog sich Degner einen Armbruch zu. Nun war es fraglich, ob der MZ-Spitzenpilot nur fünf Wochen später beim Debüt des Sachsenrings als WM-Austragungsort überhaupt starten könnte. Degner startete schließlich. Mehr noch, nach 13 anstrengenden Runden auf dem 8,731 km langen Kurs gewann er sogar. Sein Vorsprung auf seinen Titelrivalen Phillis betrug eine beachtliche halbe Minute. Im italienischen Monza folgte der dritte Saisonsieg für Ernst Degner und die Mannschaft um Walter Kaaden. Dann zog der Tross weiter zum vorletzten Rennen des Jahres nach Schweden. In Kristianstad sollte der WM-Titel vorzeitig sichergestellt werden, doch dann nahm das eingangs beschriebene Drama seinen Lauf.

Gefährliche Flucht der Familie

Während Ernst Degners Flucht ziemlich glatt lief, war die seiner Familie wesentlich spektakulärer. Wie er seinem Rennfahrerkollegen Jim Redman später anvertraute, schmuggelte ein Freund der Familie seine Frau und die beiden Söhne in einem umgebauten PKW aus der DDR. Das Auto wurde derart modifiziert, dass zwischen Rücksitz und Kofferraum ein Stauraum entstand, worin Frau Gerda und die durch Schlafmittel ruhig gestellten Kinder Olaf (vier Jahre) und Säugling Boris versteckt wurden. Schläuche gewährleisteten den Sauerstoffnachschub.

Flucht galt als Hochverrat

Natürlich galt die Flucht des SED-Mitgliedes Degner für die DDR und besonders für MZ als Hochverrat. Dass er sein Können und vor allem sein Wissen über die weltweit führende Zschopauer Zweitakttechnik zu Suzuki trug, fügte seinen ehemaligen Steigbügelhaltern beträchtlichen Schaden zu. Dazu kam die moralische Seite, denn bei MZ wurde alles, aber wirklich alles dafür getan, dass den Werksfahrern bestmögliches Material zur Verfügung stand. Zu Degners Beweggründen sei aber auch noch einmal daran erinnert, dass am 13. August 1961 der Bau der unsäglichen (anfangs Berliner) Mauer begonnen wurde und sich hier ganz andere Dramen und Katastrophen abspielten. Das sollte man nicht vergessen!

Doch noch Weltmeister

Im Westen angekommen, versilberte Degner sein erlangtes Wissen über die Zschopauer Zweitakttechnik und dockte bei Suzuki an. Was er für sich und MZ 1961 nicht vollendet hatte, holte er 1962 nach. Für Suzuki war er im WM-Premierenjahr der 50-ccm-Klasse Werksfahrer, gewann vier Grand Prix in Folge (Isle of Man, Assen, Spa und Solitude), dabei auf der Insel den ersten für Suzuki überhaupt, sowie am Jahresende die WM. Es war der erste WM-Titel, der in der 1949 eingeführten Motorrad-Weltmeisterschaft mit einem Zweitakt-Motorrad errungen wurde. Auch in der 125-ccm-Klasse bescherte Ernst Degner Suzuki den ersten GP-Sieg. Das war am 26. Mai 1963 in Hockenheim. 1965 holte sich Ernst Degner seinen zweiten deutschen Meistertitel, diesmal auf einer 125er-Suzuki in der BRD.

Motorradkarriere und Leben endeten tragisch

Ende 1963 hatte er sich bei einem Sturz im japanischen Suzuka schwere Verbrennungen zugezogen. Nach einem zweiten schweren Unfall 1965 gab er die Rennfahrerei schließlich auf. Zwar versuchte er sich noch einmal in einem Formel-3-Rennwagen, doch 1967 beendete er seine aktive Karriere endgültig. Danach arbeitete er für verschiedene Unternehmen als Renndienstleiter und gründete schließlich auf Teneriffa eine Autovermietung.

Mit 51 Jahren verstorben

Nach jahrelangen Problemen (Scheidung, Medikamentensucht) stand Ernst Degner, obwohl er seinen Wohnsitz vom Saarland nach Teneriffa verlegt hatte, nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens. Im Alter von nur 51 Jahren verstarb Ernst Degner am 8. September 1983 in seiner wieder einmal neuen Heimat, in Arona im Süden Teneriffas, offenkundig an Herzversagen.

15 Grand-Prix-Siege

Auf insgesamt 15 Grand-Prix-Siege brachte es Ernst Degner in seiner Karriere. Damit ist er, zumindest in dieser Statistik, der vierterfolgreichste deutsche Rennfahrer nach Toni Mang (42), Klaus Enders (27) und Ralf Waldmann (20).



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