Wie Sie den Stress bei Kindern verstehen und vermeiden

Wirkung und Hilfe Unbeschwert spielen und die Welt entdecken: Das wünschen sich Eltern für ihre Kinder. Leider sieht die Realität oft anders aus: Schon Kinder sind gestresst. Wir zeigen, was dann hilft.

Kopfschmerzen, Erschöpfung, Wutausbrüche: Kinder kennen das Wort Stress oft noch nicht. Trotzdem wissen sie, wie sich Stress anfühlt.

"Früher dachte man, Stress trifft nur Erwachsene", sagt Thilo Hartmann vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. "Dann fand man heraus, dass auch Jugendliche gestresst sind, dann kamen die Grundschüler hinzu." Inzwischen weiß man: Stress ist ein Lebensthema.

Doch für Eltern ist es nicht immer leicht zu erkennen, dass ihre Kinder gestresst sind - und was die Ursache dafür ist. Experten geben einen Überblick über Stress bei Kindern.

Wie äußert sich Stress bei Kindern?

Das ist sehr unterschiedlich. "Die Symptome von Stress sind bei Kindern etwas unspezifischer als bei Erwachsenen und schwerer einzuordnen", sagt Hartmann.

Gestresste Kinder haben oft:

  • Kopfschmerzen
  • Bauchschmerzen
  • Herzrasen
  • Schlafstörungen

Kommen Kinder mit solchen Symptomen in die Praxis von Hermann Kahl, klärt der Kinderarzt zunächst ab, ob es körperliche Ursachen dafür gibt. "Wir machen dann meist eine Blutuntersuchung, einen Ultraschall des Bauches oder eine kinderkardiologische Untersuchung."

Doch häufig gibt es für die Symptome keine organische Ursache, sagt Kahl vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Den Eltern bereitet oft auch das Verhalten ihrer Kinder Sorgen, erläutert Hartmann, der in seiner Berliner Praxis Stressbewältigung für Kinder und Jugendliche anbietet.

Neben körperlichen Beschwerden kann sich Stress bei Kindern nämlich noch auf andere Weise zeigen:

  • Manche Kinder sind verärgert.
  • Sie bekommen häufig Wutanfälle.
  • Sie sind aggressiv oder gehen in die Opposition.
  • Manche ziehen sich zurück oder sind traurig.

"Mit welchem Verhalten Kinder auf Stress reagieren, hängt auch von der Persönlichkeit ab", erklärt Kinderpsychologe Hartmann.

Auch das ist möglich: "Die Kinder fühlen sich oft angespannt, nervös, unwohl und ängstlich, können wegen besorgniserregender Gedanken nicht einschlafen oder durchschlafen", beschreibt der Kinderpsychiater Ingo Spitczok von Brisinski die Situation.

Mögliche Folgen:

  • Häufig sind die Kinder erschöpft.
  • Sie zeigen starke Stimmungsschwankungen.
  • Sie reagieren mit Wein- oder Wutanfällen.

Welche Ursachen gibt es für Stress bei Kindern?

Schon bei den Jüngsten kann Stress ganz unterschiedliche Ursachen haben. Grundsätzlich gilt: "Alles kann Stress auslösen", sagt Hartmann. "Stress empfindet man immer dann, wenn man das Gefühl hat, dass man die Situation nicht unter Kontrolle hat."

Das führt zu Hilflosigkeit und Überforderung - ein Gefühl, was viele Kinder nur zu gut kennen dürften. Der Grund: "Kinder sind in ihrer Welt nicht besonders mächtig", erklärt Hartmann.

Das kann bei Kindern Stress verursachen:

  • Keine Unterstützung: "Wenn die Eltern nicht hinter ihren Kindern stehen, sie nicht respektvoll behandeln, bedeutet das für die Kinder Stress", erklärt Kahl.
  • Probleme kleinreden: Wird ein Kind im Kindergarten oder in der Schule geärgert oder kommt es mit einer Erzieherin nicht klar, ist das für Kinder schon stressig genug, so der Kinderarzt. Eltern wiegeln die Sorgen der Kinder aber dann manchmal noch ab: "Ach, ist doch halb so wild." Oder sie geben dem Kind die Schuld. Das erzeugt bei den Kleinen ganz besonders großen Stress.
  • Nichts ist gut genug: Nur eine Zwei? Wieso keine Eins? Eine solche Reaktion auf eine Schulnote signalisiert: Du bist nicht gut genug, erklärt Hartmann. Das setzt Kinder unter Druck, macht ihnen Stress. "Auch wenn es Entwicklungspotenzial gibt, sollte man das Kind für seine Leistung loben."
  • Erfolge übersehen: Loben ist wichtig. Das lässt sich auf viele Bereiche übertragen - und beginnt schon bei kleinen Kindern. Sei es das Puzzle, was noch nicht so gut gelingt oder die Hose, die nass geworden ist, weil das Kind es nicht schnell genug auf die Toilette geschafft hat. Allein der Versuch ist es wert, anerkannt zu werden.
  • Probleme in der Schule: Hier ist die Liste an möglichen Stressursachen lang, so Spitczok von Brisinski: eine nicht bestandene Klausur, Konflikte mit Lehrern, ungelöste Hausaufgaben, eine schwierige Klassenarbeit, ein schlechtes Zeugnis, Mobbing und Streit.
  • Konflikte: "Darüber hinaus können Streit mit Eltern, Geschwistern und Gleichaltrigen erheblichen Stress auslösen", erläutert der Psychiater. "Für manche Kinder führen angstbesetzte oder ungewohnte Situationen zu erheblichem Stress."
  • Zu viele Sorgen: Belasten Eltern ihre Kinder mit Problemen und Sorgen, für die sie noch zu klein sind, bedeutet dies Stress für den Nachwuchs.

Tipp: Eltern sollten das Thema so kommunizieren, dass Kinder in ihrer Welt handeln können. Also: "Dem Kind klar machen, dass Händewaschen wichtig ist, aber auch vermitteln, dass es damit alles gemacht hat, was es tun kann." Die Erwachsenen müssen sich um den Rest kümmern.

Welche Folgen kann Stress bei Kindern haben?

"Es ist schwer, die Folgen von Stress bei Kindern genau einzuschätzen", sagt Psychologe Hartmann. "Kinder machen aufgrund ihrer stetigen Entwicklung ständig starke Veränderungen durch. Der Körper und das Gehirn sind permanent im Umbau."

Dennoch: Auch bei Kindern werden unter Stress entsprechende Hormone und Neurotransmitter ausgeschüttet, die den Körper in Kampf- oder Fluchtmodus bringen. Die Kinder kommen in einen Alarmzustand.

Oft vermag das Alter Folgen wie Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auszugleichen, so Hartmann. "Aber das ist ein Nährboden für Erkrankungen im Erwachsenenalter."

Eine mögliche Folge von Stress in der Kindheit ist eine erhöhte Anfälligkeit für Stress im späteren Leben.

Es kann aber auch sein, dass eine sehr hohe Stresstoleranz entsteht: Die Betroffenen fühlen ihren Körper bei Hitze, Kälte oder Schmerzen dann nicht so stark - was auch nicht gerade gesund ist.

Feststeht: Wie auch bei Erwachsenen schadet dauerhafter Stress Kindern. Selbst kurzer, starker Stress kann schwere Folgen haben, warnt Spitczok von Brisinski - und nennt psychische Störungen wie Depressionen oder Anpassungsstörungen als Beispiele. Im Extremfall sind auch dissoziative oder psychotische Störungen denkbar.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat untersucht, wie viele Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren psychisch auffällig sind. Die der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) zeigt:

  • In der Basiserhebung von 2003 bis 2006 waren es 20 Prozent.
  • In der Erhebung von 2014 bis 2017 waren es 16,9 Prozent.

Nun sei psychisch auffällig sicher nicht mit gestresst gleichzusetzen, dennoch könne die Studie als Anhaltspunkt für das psychische Wohlbefinden gesehen werden, sagt Kinderarzt Kahl.

Was können Familien gegen Stress tun?

Meist können kleinere Kinder dem Stress nicht allein beikommen. Dazu benötigen sie Unterstützung ihrer engsten Vertrauten - der Eltern.

5 Tipps der Experten:

1. Bindung: Kinderarzt Kahl setzt vor allem auf die Bindung zwischen Eltern und Kindern. "Sie ist für die Entwicklung der Kinder das Wichtigste." Kinder müssen wissen, dass die Eltern hinter ihnen stehen. "Wenn es Probleme gibt, spüren Kinder, ob die Eltern sie ernst nehmen und eine Lösung suchen."

2. Ausflüge: Kahl empfiehlt gemeinsame Unternehmungen gegen den stressigen Alltag. "Mal einen Film schauen, ins Theater gehen, sich etwas gönnen." Gut ist auch regelmäßige Bewegung. "So wird Stress abgebaut. Am besten eine Stunde Sport am Tag."

3. Mutmacher: Kinderpsychiater Spitczok von Brisinski rät zur sogenannten positiven Selbstinstruktion. Dabei sagen Kinder kurze Sätze, die ihnen Mut machen. Zum Beispiel:

  • "Nach einer Pause geht alles besser."
  • "Alles halb so schlimm."
  • "Erst mal einen Plan machen."

Mit etwas Übung können Kinder so schwere Situationen besser meistern.

4. Reden, reden, reden: Psychologe Hartmann empfiehlt das Gespräch - unvoreingenommen und ohne Vorwürfe. "Ich nehme wahr, dass du oft rumschreist und die Katze ärgerst. Wie geht es dir?", könnten Eltern zum Beispiel sagen. So ergibt sich vielleicht ein Austausch über die Ursachen - und gemeinsam lässt sich eine Lösung finden.

Oft trägt die Krankenkasse die Kosten für Stressbewältigungsprogramme - auch das kann Familien helfen.

5. Vorbild sein: Eltern sollten Gelassenheit und Zuversicht vorleben und dem Nachwuchs Entspannungsmethoden zeigen. Wenn Sie als Mutter zum Beispiel meditieren, können Sie Ihrem Kind anbieten mitzumachen.

Eine andere Option sind Traumreisen: Sich hinlegen, eine Geschichte hören und entspannen. "Das kann beim Runterkommen helfen", sagt Hartmann. "Bei einem Bewegungsdefizit ist Entspannung natürlich kontraproduktiv. Man muss immer gucken: Was passt zum Kind?"

Musikhören, Basteln, Malen, Lesen oder Sport machen - das lenkt ebenfalls ab. Die Kinder können sich erholen.



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