Das Herz schlägt bis zum Hals, die Atmung wird schneller, die Muskeln spannen sich an: Früher war es der Säbelzahntiger, der uns in Stress versetzte. Heute sind es die Arbeit und zu viele Termine und Verpflichtungen, auch in der Freizeit.
Stress ist erst einmal nichts Schlechtes, zum Dauerzustand sollte er aber nicht werden. Denn das kann schlimme Folgen für Körper und Seele haben. Dazu sieben Fakten im Überblick:
1. Auf Stress reagieren wir körperlich und mental
"Umgangssprachlich bezeichnen wir das, was uns Stress macht - zum Beispiel Zeitdruck - als Stress", sagt Johanna Thünker, Vorsitzende des Verbandes Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP).
In der Psychologie ist mit dem Begriff allerdings gemeint, was im Menschen passiert - also das, was man körperlich, emotional und durch Stressgedanken spürt, zum Beispiel "Jetzt aber schnell" oder "Das schaffe ich nicht".
Die Auslöser von Stress werden wiederum als Stressoren oder auch Stressfaktoren bezeichnet. Was genau das sein kann, hängt unter anderem von unserer Persönlichkeit ab.
2. Stress hat eine natürliche Funktion
Stress macht den Körper leistungsfähiger. Früher war es lebensnotwendig, schnell auf Gefahren wie den Säbelzahntiger zu reagieren, sagt Christa Roth-Sackenheim, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.
Verschiedene Stoffwechselprozesse werden angestoßen, um den Körper schnell mit Energie zu versorgen, erklärt Roth-Sackenheim.
- Der Puls steigt.
- Das Herz pumpt mehr Blut durch den Körper.
- Die Verdauung wird heruntergeregelt.
- Die Atemfrequenz wird erhöht.
- Das Stresshormon Kortisol wird ausgeschüttet. Dadurch steigt der Blutzucker und die Muskeln arbeiten verstärkt.
- Die Ausschüttung von Adrenalin macht wacher und konzentrierter.
"Diese Fähigkeit hat der Körper heute noch, auch wenn wir nicht mehr vom Säbelzahntiger verfolgt werden", sagt Roth-Sackenheim, die auch Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP) ist.
Diese Reaktionen laufen autonom in unserem Körper ab, also unterbewusst. Dahinter steckt das vegetative Nervensystem, erklärt Thünker.
Das vegetative Nervensystem empfängt Signale vom Gehirn und sendet sie an den Körper. Es steuert so zum Beispiel:
- die Atmung
- den Herzschlag
- den Stoffwechsel
Für Stressreaktionen ist ein Teil des vegetativen Nervensystems zuständig:
- Der sogenannte Sympathikus sorgt dafür, dass der Körper unter Strom steht - bereit für Kampf oder Flucht.
- Sein Gegenspieler ist der Parasympathikus, der für Ruhe und Entspannung sorgt.
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Stress ist eine Reaktion des Körpers. Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn
3. Es gibt innere und äußere Stressfaktoren
Auch in der heutigen Zeit gibt es unzählige Auslöser für Stress. Einige Beispiele:
- Leistungsdruck im Job
- Sorgen um Freunde
- Sorgen um die Gesundheit
- ungelöste Konflikte in der Partnerschaft
- Geldsorgen
Kurzum: "Alles, was Angst, Wut oder Ärger auslöst und sich nicht beeinflussen lässt, ist ein potenzieller Stressor", erklärt Roth-Sackenheim.
Es sind aber nicht nur äußere Faktoren. "Ob man sich von etwas stressen lässt, hängt von der inneren Haltung und vom Charakter ab", sagt Thünker, die als Psychotherapeutin in einer Gemeinschaftspraxis in Bottrop arbeitet.
Unsere Persönlichkeit entscheidet maßgeblich mit, ob und wie intensiv wir unter Stress stehen. Sie wiederum ist zum Teil Veranlagung und zum Teil durch Erziehung und Erfahrungen geprägt. Was uns stresst, lässt sich daher nicht pauschal sagen.
Grundsätzlich gilt: Ängstliche Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst haben oder perfektionistisch sind, neigen eher dazu, gestresst zu sein als zuversichtliche, in sich ruhende Menschen.
4. Die meisten Deutschen fühlen sich gestresst
Wirklich verbindliche Zahlen zu nennen, ist schwierig: Stress ist etwas sehr Individuelles und keine Krankheit. Es gibt daher keine einheitlichen Kriterien, die Stress definieren, so Thünker.
Erhebungen spiegeln nur die Selbsteinschätzungen der Befragten wider. Ein Beispiel: An einer repräsentativen Yougov-Erhebung im Auftrag von Swiss Life Deutschland nahmen 2023 insgesamt 2276 Menschen ab 16 Jahren teil. Das sind die zentralen Ergebnisse:
- Drei von fünf Befragten (61 Prozent) empfinden ihr Stressempfinden als sehr hoch oder eher hoch.
- Vor dem Eintritt in die Arbeitswelt ist das Stresslevel höher: Auszubildende (66 Prozent) und Studierende (67 Prozent) sind gestresster als Berufstätige (51 Prozent).
- Frauen sind gestresster als Männer, vor allem während der Ausbildung oder im Studium. Der Unterschied im Job ist nicht so groß.
Wie wirken die Befragten Stress entgegen?
- 36 Prozent versuchen, mit Entspannungsübungen gegenzusteuern.
- 34 Prozent setzen auf Bewegung.
5. Stress kann krank machen
Wenn der Körper auf Hochtouren läuft, erhöht sich unter anderem der Herzschlag und der Blutdruck steigt. Steht der Körper dauerhaft unter Strom, macht sich das körperlich und seelisch bemerkbar, sagt Roth-Sackenheim.
Psychosomatische Folgen sind zum Beispiel:
- Schlaflosigkeit
- depressive Erkrankungen
- Erschöpfungsdepressionen
Körperlich kann Dauerstress der Expertin zufolge unter anderem zu hohem Blutdruck führen, der die Gefäße belastet. Langfristig kann das zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen führen.
Weitere mögliche Folgen von Dauerstress:
- Infektanfälligkeit
- Verdauungsbeschwerden
- Verspannungen
"Die Energie, die der Körper unter Stress bereitstellt, ist eigentlich zum Laufen oder Kämpfen gedacht", sagt Thünker. "Wir bleiben aber am Schreibtisch sitzen und die Muskeln sind trotzdem angespannt."
Helfen können beispielsweise Yoga oder eine progressive Muskelentspannung. Dabei müssen Sie willkürlich eine Muskelgruppe nach der anderen anspannen und entspannen.
Stress setzt auch der Psyche zu: "Man ist angespannt, frustriert, ärgert sich, resigniert", erklärt Utz Niklas Walter, Leiter des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG).
Die langfristigen psychischen Folgen können Burn-out und Depressionen sein, wobei der Burn-out laut der Internationalen Klassifizierung der Erkrankungen (ICD) keine eigene Erkrankung ist.
Schlafprobleme und Leistungsabfall
Gestresste Menschen haben oft Probleme beim Ein- oder Durchschlafen, sagt Annette Wahl-Wachendorf, Arbeitsmedizinerin und frühere Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte. "Sie sind müde und weniger leistungsfähig."
Für Betroffene sei es oft unmöglich, abzuschalten oder sich zu erholen. Sie sind angespannt, nervös und leicht reizbar. Viele ziehen sich zurück, auch privat, manche werden aggressiv.
6. Bei Dauerstress hilft nur die Notbremse
Wann Stress wirklich gefährlich wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. "Manche halten Dauerstress zwei Wochen, andere vier Monate aus", so Thünker.
Die Alarmglocken sollten bei folgenden Anzeichen schrillen:
- Sie können am Wochenende oder selbst im Urlaub nicht abschalten.
- Sie sind permanent müde und erschöpft.
- Sie werden häufig krank.
- Sie sind sehr leicht reizbar.
Was dann?
Manche können sich selbst aus dem Dauerstress helfen. Roth-Sackenheim empfiehlt, alles zu tun, was einem gut tut oder man gerne macht:
- ausreichend Schlaf
- gesunde Ernährung
- gute Kontakte pflegen
- sich bewegen
- Hobbys wie Singen oder Tanzen
- sich mal etwas gönnen
Thünker rät dazu, für einen Ausgleich zu sorgen: "Nach einem Kopfarbeitstag sollte man noch Sport machen, nach körperlich anstrengender Arbeit eher eine Ruhepause einlegen."
Im Kampf gegen Stress ist es hilfreich, einen Gegenpol herzustellen:
Wer viel sitzt, sollte Stress im Körper über Sport und Bewegung abbauen - Joggen oder Radfahren.
Professionelle Unterstützung bei Stress
Mitunter können Sie sich aber nicht selber helfen und brauchen professionelle Unterstützung. Einen Überblick über die Anbieter von Psychotherapien finden Sie zum Beispiel über:
- das Psychologenportal des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen
- die Telefonseelsorge Deutschland
In akuten Notlagen erhalten Sie telefonische Hilfe unter 0800 111 01 11 und 0800 111 02 22 oder auch online via Chat.
Tipp: Es kann sich lohnen, bei seiner Krankenkasse nachzufragen. Oft werden die Kosten für Kurse zur Förderung der Stressbewältigungskompetenz oder Entspannung erstattet.
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Frühlingsgefühle: Es gibt auch positiven Stress. Foto: Christin Klose/dpa-tmn
7. Stress kann auch positiv sein
Im Prinzip ist Stress eine Fähigkeit des Körpers, auf Gefahren zu reagieren, so Roth-Sackenheim.
Aber auch schöne Dinge können Stress auslösen - etwa die eigene Hochzeit oder das Engagement in einem Hilfsprojekt.
Dieser Stress fühlt sich aber ganz anders an, nämlich positiv - man ist gefordert statt überfordert. Das ist der sogenannte Eustress.
Bei dieser Art von Stress spielen - anders als beim negativen Distress - das Bindungshormon Oxytocin sowie der Neurotransmitter Dopamin, der vor allem für Belohnung zuständig ist, eine entscheidende Rolle.
"Auch unter Eustress schläft man wenig und steht unter Strom, aber positive Erwartungen wiegen das negative Stresserleben auf", erklärt Roth-Sackenheim.
Ein weiterer entscheidender Unterschied zum schlechten Stress ist: Beim Eustress lässt die Belastung irgendwann nach und der Körper kann wieder runterfahren. "Im gesunden Organismus wechseln sich Phasen von Anspannung und Entspannung über den Tag ab", erklärt Thünker.