Sie tragen klangvolle Namen wie "Road Runner Coffee Stout", "BRLO Naked" oder "Wolfscraft brutal alkoholfrei". Die Labels der Flaschen im gut sortierten Getränkemarkt zeigen es: Alkoholfreiem Bier haftet nichts Uncooles mehr an. Im Gegenteil.
Das war lange Zeit anders. Wegen des reduzierten Alkoholgehalts nannte man das Bier ohne Umdrehungen auch "Bleifreies". Es war eine Notlösung für Autofahrer und wurde sonst verschmäht. Tatsächlich schmeckte es häufig grässlich: wässrig, arm an Aroma, oft zu süß.
Doch das Blatt hat sich gewendet. "Alkoholfreie Biere legen gerade einen enormen Imagewandel hin", sagt Mareike Hasenbeck, Bier-Sommelière aus Aying bei München.
Und Uwe Lebok, Co-Autor der Bierkonsum Trendstudie 2025, hat beobachtet, dass alkoholfreie Biere zu einem "Genussprodukt" geworden sind, vor allem in der jüngeren Generation.
Wann ist Bier wirklich alkoholfrei?
Zunächst eine kleine Begriffsklärung:
In Deutschland dürfen Biere, die als "alkoholfrei" verkauft werden, einen Anteil von bis zu 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten.
In anderen EU-Staaten wie Frankreich oder Spanien ist sogar ein doppelt so hoher Wert zulässig, also 1 Volumenprozent.
Wirklich alkoholfrei sind Biere erst, wenn auf ihrem Etikett "0,0" zu lesen ist. Der Unterschied ist vor allem wichtig für:
- Fahranfänger: In Deutschland gilt zwar eine 0,5-Promille-Grenze. Wer so viel oder mehr Alkohol im Blut hat, darf sich nicht ans Steuer setzen. Für Fahranfänger gilt allerdings ein striktes Alkoholverbot.
- Schwangere: "Eine in der Schwangerschaft gänzlich unbedenkliche Alkoholmenge kann nicht festgelegt werden", heißt es etwa bei der Berliner Charité. "Daher empfehlen wir Schwangeren, generell auf das Trinken von alkoholhaltigen Getränken zu verzichten."
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"0,0%": Nur dann ist Bier wirklich alkoholfrei. Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn
So viel alkoholfreies Bier trinken die Deutschen
Der Trend ist eindeutig: Kein anderes Segment in der Brauwirtschaft hat in den letzten zehn Jahren so stark zugelegt wie alkoholfreie Biere und Biermischgetränke, so der Deutsche Brauer-Bund (DBB).
Seit 2007 hat sich die Produktion in Deutschland sogar mehr verdoppelt: Mehr als 660 Millionen Liter waren es 2023.
Dabei galt alkoholfreies Bier einmal als quasi unverzeihlich - es sei denn, man musste fahren oder war schwanger. 1981 verkauften die Brauereien hierzulande gerade einmal rund 9 Millionen Liter.
Der Absatz des "Bleifreien" verharrte bis 2008 auf niedrigem Niveau. Dann begann ein Siegeszug, der bis heute anhält.
Mittlerweile macht alkoholfreies Bier rund acht Prozent des Biermarktes aus. Der Brauer-Bund geht davon aus, dass bald jedes Zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein wird.
Alkoholfreies Bier ist damit ein Lichtblick für die Branche: Alle anderen Biersorten verzeichneten zuletzt Absatzeinbußen.
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Mit der Beliebtheit von alkoholfreiem Bier steigt auch die Auswahl. Foto: Laura Ludwig/dpa-tmn
Wie ist der Wandel zu erklären?
Ganz einfach: Alkoholfreies Bier ist besser als früher. Durch neue Verfahren hat es an Charakter und Tiefe gewonnen.
"Es wird viel mehr experimentiert mit Rohstoffkombinationen und neuen Hefen", sagt Bier-Sommelière Mareike Hasenbeck.
So verliert das Bier den Alkohol
Alkoholfreies Bier wird zunächst auf traditionelle Weise gebraut, wie jedes andere Bier auch. Um den Alkoholgehalt zu reduzieren, kommen verschiedene Verfahren zum Einsatz.
Die Bundeszentrale für Ernährung (BZfE) gibt einen Überblick:
- Bevor die Restalkoholgrenze von 0,5 Volumenprozent erreicht wird, stoppt man die Gärung, indem man die Temperatur des Suds stark absenkt. Zum Einsatz kommen spezielle Hefen.
- Man entzieht dem fertig gebrauten Bier per Vakuum-Destillation den Alkohol. Der Fachbegriff lautet Rektifikation. Dabei lässt man den Alkohol bei niedriger Temperatur aromaschonend verdampfen.
- Bei der sogenannten Umkehrosmose wird dem Bier ebenfalls nachträglich der Alkohol entzogen. Mithilfe von dünnen Membranen wird er herausgepresst – die Aromastoffe bleiben erhalten.
Kein Alkohol, aber viel Geschmack
Wird die Gärung gestoppt, bleibt viel Zucker im Bier. Das schmeckt man. "Das Verfahren bietet sich vor allem bei solchen Bieren an, die ohnehin ein bisschen süß sein dürfen, Weizenbiere zum Beispiel", sagt Harald Seitz, Ernährungswissenschaftler beim BZfE. "Bei herberen Bieren wie Pils nutzt man eher die Vakuum-Destillation."
Außerdem gebe es neuartige Hefesorten, die nur 0,4 Prozent Alkohol produzieren könnten, sagt Bier-Sommelìere Hasenbeck. "Solche Sorten sind besonders bei den Kreativbrauern beliebt."
Alkohol ist ein Geschmacksträger. Deshalb wird bei alkoholfreien Bieren oft nachgeholfen.
"Seit einigen Jahren darf Bier auch nachgehopft werden", sagt Prof. Martin Krottenthaler, Experte für Brautechnologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. "Da gibt es richtige Geschmacksbomben, wo man vor lauter Hopfen gar nicht schmeckt, dass der Alkohol fehlt." Es entfalten sich Aromen von Zitrusfrüchten, Ananas, Minze oder Mango.
Große Vielfalt: Jeder findet seine Sorte
Manche Craftbeer-Brauerei bewirbt das Alkoholfreie prominent. "Die Flaggschiffe der Kehrwieder Kreativbrauerei in Hamburg sind alkoholfrei", nennt Mareike Hasenbeck als Beispiel.
Die Biere tragen Namen wie "Coconut Grove", ein Pale Ale, oder "Übernormallnull", ein IPA (India Pale Ale). "Auch ein alkoholfreies Coffee Stout, aromatisiert mit Kaffeebohnen, haben sie dort schon gebraut." Biere ohne "Sprit" gibt es unter anderem als:
- Pils
- Helles
- Weißbier
- Alt
- Kölsch
- Pale Ale
- IPA
- Stout
Der beliebteste alkoholfreie Gerstensaft in Deutschland ist das alkoholfreie Weißbier, zeigt eine repräsentative Insa-Umfrage für den DBB von 2021. Es wurde von einem Drittel der Befragten (30 Prozent) bevorzugt - vor alkoholfreiem Pils mit 25 Prozent.
Bezieht man Biermischgetränke ohne Volumenprozente mit ein, liegt das alkoholfreie Radler mit 31 Prozent ganz vorne.
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"Alkoholfrei" - damit wird heute deutlich sichtbar auf der Flasche geworben. Foto: Peter Kneffel/dpa/dpa-tmn
Die Vielfalt der Alkoholfreien ist mittlerweile groß: Der Brauer-Bund zählt über 800 Marken für alkoholfreies Bier und Biermischgetränke - mehr als ein Zehntel aller Biermarken in Deutschland. Im Jahr 2010 waren es nur halb so viele.
Eine kurze Geschichte des alkoholfreien Bieres
Vor 60 Jahren gab es noch kein alkoholfreies Bier im deutschen Handel. Was nicht bedeutet, dass sich Brauer nicht schon deutlich früher daran versucht haben.
Die wichtigsten Daten:
- Die ersten Versuche, in Deutschland ein alkoholfreies Bier herzustellen, sind laut DBB aus dem Jahr 1895 überliefert.
- In den USA stellten Brauer im Jahr 1919 ihr erstes Bier mit nur 0,5 Volumenprozent Alkohol vor - wegen der Prohibition.
- Erst 1968 kam das erste Bier ohne Umdrehungen auf den deutschen Markt - und zwar aus der Schweiz: das "Oro" der Züricher Brauerei Hürlimann. Der später in "Birell" umbenannte Hopfentrunk blieb dank spezieller Hefen bei unter 0,5 Prozent Volumenprozent.
- Das erste deutsche Alkoholfreie präsentierte der Braumeister Ulrich Wappler von der VEB Engelhardt-Brauerei in Berlin-Stralau 1972 auf der Leipziger Frühjahrsmesse: das "Aubi", für Autofahrerbier.
In der DDR galt im Straßenverkehr eine Null-Promille-Grenze. Von 1962 bis 1969 war Wappler Chef der Versuchsbrauerei am Zentrum der Brauindustrie der DDR. Er wurde zu einem gefragten Berater für Brauereien, die alkoholfreie Sorten entwickeln wollten.
- In der Bundesrepublik griffen Braumeister die Idee einige Jahre später auf: Die erste Brauerei mit einem Alkoholfreien war 1975 die Hümmer-Brauerei aus Dingolshausen bei Schweinfurt. 1977 folgte Henninger mit dem "Gerstel". 1978 brachte Binding das lange Zeit bekannteste alkoholfreie Bier heraus: das "Clausthaler".
Alkoholfreies Bier ist viel gesünder
Alkoholfreies Bier schmeckt manchmal so vortrefflich, dass selbst Kenner es nicht von alkoholhaltigem unterscheiden können. Doch es ist nicht allein wegen seines Geschmacks so erfolgreich.
Alkoholfreies Bier ist deutlich gesünder als Bier mit Alkohol - nicht nur, weil der schädliche Alkohol fehlt. Es hat auch weniger Kalorien und Zucker, bestätigt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Alkoholfreies Bier gilt mittlerweile sogar als Sportgetränk. Das liegt unter anderem daran, dass es viele wichtige Mineralstoffe enthält - so wie das promillehaltige Bier auch:
- Magnesium
- Phosphor
- Kalium
- Natrium
Allerdings enthält es eben keinen Alkohol, das macht den Unterschied. Alkohol hemmt laut DGE-Expertin Astrid Donalies die Aufnahme von Nährstoffen im Darm. Je weniger Alkohol im Getränk, desto besser.
Je nach Zusammensetzung kann alkoholfreies Bier als isotonisches Getränk nach dem Sport den Elektrolytespeicher wieder auffüllen.
Exkurs: Was heißt isotonisch?
Isotonisch bedeutet, dass die Teilchen im Getränk in gleicher Konzentration gelöst sind wie im menschlichen Blut, erklärt Prof. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Nuthetal.
Der osmotische Druck sei in beiden Flüssigkeiten gleich. Dadurch kann der Körper die Nährstoffe aus den Getränken besonders gut ins Blut aufnehmen.
"Aber längst nicht alle alkoholfreien Biere sind isotonisch, auch wenn das die Werbung oft verspricht. Es muss reich an Natrium sein", sagt der Ernährungsexperte.
Außerdem rege Bier zum Wasserlassen an: "Das geht mit erneutem Mineralstoffverlust einher."
Für viele Freizeitsportler genügt Wasser oft ohnehin, um den Flüssigkeitshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Und es gibt isotonische Alternativen zum alkoholfreien Bier: zum Beispiel Schorle mit drei Teilen Mineralwasser und einem Teil Saft.
Alkoholfreies Bier kann sinnvoll sein, wenn der Körper durch hohe Anstrengung besonders viele Mineralien ausgeschwitzt hat. Es gleicht dann den Verlust von Kalium und Natrium wieder aus. Das betrifft aber eher Wettkämpfe und nicht unbedingt den normalen Freizeitsport.
"Daher wird alkoholfreies Bier auch so gerne zum Beispiel nach einem Triathlon oder Marathon getrunken", sagt Ökotrophologin Donalies. Abgesehen davon ist die herbe Geschmacksnote eine willkommene Abwechslung zu all den süßen Getränken und Fitnessriegeln.
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