Todd Phillips' "Joker" (2019), ein grimmig-bedrückendes Psychodrama über die Vorgeschichte von Batmans ikonischem Gegenspieler, hatte zweifelsohne seine Schwächen. Küchenpsychologische Erklärungen und eher grobschlächtige Anspielungen auf das Wutbürgertum der Gegenwart waren Punkte, an denen sich nicht wenige Kritiker stießen. Gleichzeitig musste man anerkennen, dass der Film sich im positiven Sinne von vielen Comicadaptionen abgrenzte, nicht auf Krawall und größtmögliches Spektakel aus war.
Den Werdegang des Jokers als Charakterstudie zu erzählen und dabei auf die beiden Martin-Scorsese-Klassiker "Taxi Driver" (1976) und "The King of Comedy" (1982) zurückzugreifen - Phillips und Co-Autor Scott Silver hatten sich einen spannenden, da ungewöhnlichen Ansatz ausgedacht. Ein Konzept, das vor allem Joaquin Phoenix in der Titelrolle auf geradezu schmerzhafte Weise mit Leben füllte. Seine Oscar-prämierte Darbietung ließ manche Unebenheit im Drehbuch vergessen und setzte noch einmal andere Akzente als die ebenfalls preisgekrönte Joker-Performance von Heath Ledger in Christopher Nolans "The Dark Knight" (2008).
In der nun startenden Fortsetzung "Joker: Folie à Deux", die es ursprünglich gar nicht geben sollte, da "Joker" als Einzelfilm geplant war, ist der für extrovertierte Figuren bekannte Phoenix erneut in seinem Element. Vielen Szenen drückt er seinen Stempel auf. Oft reicht ihm ein einziger Blick oder eine kleine Geste, um das Innenleben des von ihm gespielten Arthur Fleck alias Joker offenzulegen.
Ohne Lebensenergie
Am Ende des Vorgängers hatte der als Partyclown seinen Lebensunterhalt verdienende Möchtegernkomiker vor laufenden Kameras sein einstiges Idol, den Late-Night-Moderator Murray Franklin, erschossen. Einer von mehreren tödlichen Gewaltausbrüchen des über seine Bedeutungslosigkeit frustrierten, psychisch labilen Mannes, der daraufhin endgültig zur Ikone einer Protestbewegung gegen das Establishment aufstieg.
Von diesem Status spürt man im Sequel jedoch erst mal nichts. Der in der berüchtigten Arkham-Psychiatrie einsitzende Arthur macht zwei Jahre nach den Ereignissen von damals einen fast apathischen Eindruck, wirkt mit seinen sich durch die dünne Haut abzeichnenden Schulterknochen noch ausgemergelter als im ersten Film. Und das, obwohl seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) eine erfolgversprechende Strategie für den nahenden Prozess vorbereitet. Ihr Ziel: Fleck als schuldunfähig darstellen und die Geschworenen davon überzeugen, dass nicht er, sondern sein gestörtes Alter Ego Joker die Morde begangen hat.
Aus seiner Lethargie erwacht Arthur erst, als er im Anstaltschor die Pyromanin Harleen "Lee" Quinzel (Lady Gaga) kennen und lieben lernt. Jetzt, da er offenbar endlich eine Seelenverwandte gefunden hat, schöpft er neue Hoffnung auf ein bisschen Glück im Leben. Mit Beginn des Prozesses machen sich allerdings auch die Wut in den Straßen und die dort grassierende Begeisterung für den Angeklagten wieder bemerkbar.
Musik gegen die Realität
Alle, die gedacht hatten, Todd Phillips würde Arthurs Geschichte angesichts der Chaosbilder im Showdown des Originals nun zu einem typischen Comicspektakel aufpumpen, schauen in die Röhre. Schon der etwas mysteriöse Titel deutet an, dass der Regisseur trotz Hollywoodprominenz und einem Megabudget von angeblich 200 Millionen Dollar eine andere Richtung einschlagen will. "Folie à Deux" beschreibt in der Wissenschaft eine gemeinsam erlebte psychotische Störung. Eben das, was Arthur und Lee in ihrer romantischen Euphorie durchzumachen scheinen.
Ihr Berührungspunkt ist die Musik. Immer wieder taucht der neue Film tief in die Welt der Fantasie ein, wo die beiden singend und tanzend von einer schönen Zukunft träumen. Allzu ausgeklügelt und irrwitzig sind diese Einlagen nicht. Sehr wohl vermitteln sie aber eine Intimität, nach der sich Arthur so lange gesehnt hat.
Zur Romanze und zum Musical gesellt sich außerdem das Genre des Gerichtsdramas, das Phillips für einige intensive verbale Schlagabtausche nutzt. Stets mittendrin: Joaquin Phoenix, der selbst Arthurs Desinteresse und seine Genervtheit fesselnd darzustellen weiß. Besonders in den Prozessszenen wendet sich Phillips an jene Kritiker, die "Joker" vorwarfen, Flecks Taten durch eine völlig niederträchtige Umwelt entschuldigt und ihn zu einer tragischen Figur verklärt zu haben. Personen, die Arthur mit großer Herablassung begegnen, ihn rücksichtslos behandeln, gibt es auch in der Fortsetzung. Mehrfach hinterfragt der neue Film aber auch Flecks Hang, sich als Opfer einer bösartigen Welt zu stilisieren. Die Konfrontation mit einem Ex-Kollegen, den er bei seinem Amoklauf verschonte, lässt den mehrfachen Mörder jedenfalls in keinem guten Licht dastehen. Nicht zuletzt, weil er diese Begegnung für eine große selbstdarstellerische Show missbraucht.
Raue 1970er-Jahre-Optik
Lady Gagas Rolle Harleen Quinzel alias Harley Quinn hat viel Potenzial, bekommt aber zu wenig Entfaltungsraum. Gerade mit Blick auf die Entwicklungen im Finale hätte man sich etwas mehr Leinwandzeit abseits der Musicalnummern gewünscht. Ins Schlingern gerät das Drehbuch vor allem da, wo der Protagonist einen radikalen Kurswechsel wieder einkassiert. Zwei Wendungen auf der Zielgeraden kommen zudem nicht völlig überraschend.
Wie im Erstling gehen längst nicht alle inhaltlichen Ideen auf. Genauso wie dort beweist der Regisseur aber ein Händchen für Atmosphäre und setzt einige visuelle Ausrufezeichen. Sehr gelungen ist zum Beispiel der Einstieg, der das Zwei-Identitäten-in-einem-Körper-Thema in Form eines Zeichentrick-Film-im-Films spiegelt. Phillips' Stammkameramann Lawrence Sher reproduziert anschließend überzeugend den gedämpften, rauen, an das Kino der 1970er-Jahre erinnernden Look, der schon im Vorgänger hervorstach. Geht man ins Kino, um in erster Linie knisternd-stimmungsvolle Bilder aufzusaugen, ist "Joker: Folie à Deux" sicher eine gute Wahl.