Brachland oder Wohlfühloase: Das Problem der Chemnitzer Innenstadt

Anikas Einblick Leere Ladenflächen zeichnen das Bild einer Kulturhauptstadt

Anikas Einblick
Chemnitz. 

2025 wird Chemnitz Kulturhauptstadt Europas und es werden viele Touristen aus der ganzen Welt erwartet. Streift man allerdings aktuell durch die Innenstadt, den Kern von Chemnitz, bemerkt man eher ein kleines Brachland als eine blühende Innenstadt. Kommt es nur mir so vor? Oder wird sich Chemnitz vielleicht in den nächsten Monaten doch noch wie die Raupe zum Schmetterling verwandeln?

Kommen und Gehen in der Gastroszene und im Einzelhandel

Im vergangenen Jahr war so ein großes Kommen und Gehen in der Gastroszene der Innenstadt, dass die Menschen schon fast den Überblick verloren hätten. Das beliebte Tillmann's, was seit Jahren ein gut gehendes Restaurant an der Stadthalle war, musste schließen. (BLICK.de berichtete) Auch die Kette Vapiano überlebte nicht. (BLICK.de berichtete) Die steigenden Kosten waren die Hauptgründe. Doch durfte man sich auch über die neuen Lokale freuen, die sich wieder in der City etablieren wollen, wie Chef Ehabs. (BLICK.de berichtete) Für Ende des Jahres haben sich die L'Osteria, Pizza Hut und KFC (BLICK.de berichtete) angekündigt... Scheinbar gab es auch zu viele Bäcker, denn auch hier ist ein Schwund zu verzeichnen (z.B. Ecke Brückenstraße / Straße der Nationen) oder Ecke Galeria an der Zenti. Auch das Backhaus an der Zentralhaltestelle schloss seine Türen und die Gewerbefläche ist seit Monaten leer. Gleich daneben eine weitere Lücke: Hier haben sich bereits Schuhläden wie CCC und Reno die Zähne ausgebissen, jetzt ist die Ladenfläche zur Überraschung: leer.

Schaut man weiter in der Galerie Roter Turm fällt schon lange auf, dass Geschäfte ausziehen (z.B.: Yves Rocher) und nur wenige nachkommen. Einige verlassen das Einkaufszentrum schneller wieder, als sie gekommen waren. Nur etablierte Läden wie z.B.: H&M, C&A oder Thalia halten sich. Auch die Ladenfläche auf dem Johannisplatz, wo bis zuletzt noch das Möbelhaus Jysk angesiedelt war, hat seit Monaten ein "Zu vermieten" Schild im Fenster kleben. Hier gäbe es aber Interessenten, sagen die Vermieter der Firmengruppe Kellenberger. (BLICK.de berichtete)

Die Gründe sind vielfältig

Ich frage mich immer mehr, ob es vielleicht auch an den Mietpreisen für Gewerbetragende und den steigenden Preisen im Einzelhandel liegt, dass viele Geschäfte sich nicht halten können. Deshalb habe ich bei der Firmengruppe Kellenberger einmal nachgehakt, die z.B. eben genannte Jysk-Fläche oder auch die vom ehemaligen Tillmann's oder vom Vapiano vermietet:

"Generell ist anzumerken, dass alle Kosten und nicht nur Mieten in Folge von Corona, der weltpolitischen Lage und Entscheidungen unserer Regierung stark angestiegen sind. Der Internethandel beeinträchtigt schon seit Jahren den lokalen Einzelhandel und jetzt kommt in diesen Branchen auch noch Personalnotstand infolge der Mindestlohnerhöhung und des Bürgergeldes hinzu. Ein weiterer Aspekt ist die Verkaufsfläche pro Einwohner, welche gerade in Chemnitz höher als in Leipzig oder Dresden ist. Die Reduzierung von Parkflächen im Stadtzentrum und die Neuerrichtung von kostenpflichtigen Parkzonen in den angrenzenden Stadtteilen ist sicherlich nicht innenstadtbelebend."  

Auch der Kaufhausriese Galeria Kaufhof verlässt im August aus Insolvenzgründen das Zentrum. (BLICK.de berichtete) Gekauft wurde das Gebäude von der Krieger Gruppe und neue Konzepte seien geplant. Bis zum Ende des Sommers würden erste Neunutzungen, vor allem im Gastrobereich, ersichtlich sein und den Marktplatz weiter beleben, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Tatsächlich sieht man aktuell einige Bauarbeiten und ein neues Lokal namens "Emils", was "demnächst" eröffnen wird.  "Die Krieger Gruppe will das Gebäude - nach dem Auszug von Galeria (zum 31. August 2024) - unter einem multifunktionalen Ansatz neu entwickeln", so die Stadt.

In Chemnitz ist einfach nichts los! - Ha! Denkst'e?

Im Vergleich zu anderen Städten ist in Chemnitz abends auch einfach viel zu wenig los, als dass man hier lange verweilen möchte. Die Clubszene hat Probleme, dass Gäste, wenn sie überhaupt kommen, daheim vorglühen und erst zwischen Mitternacht und 1 Uhr vorbeischauen, da auch hier alles teurer wird. Die Studierenden gehen in ihre eigenen Clubs am Campus im Stadtteil Bernsdorf. Menschen gehen weniger ins Kino, was ich auch auf die steigenden Preise und das Streaming-Angebot für zuhause zurückführen würde.

Auf der anderen Seite merkt man aber auch, dass wenn ein besonderes Angebot geschaffen wird, die Chemnitzer aus ihren vier Wänden gelockt werden. Bestes Beispiel ist das "Kosmos" (BLICK.de berichtete) oder das "Weindorf", auch der "Parksommer" wird immer super angenommen. Um auf das Kinothema zurückzukommen: Die Filmnächte auf dem Theaterplatz sorgten früher auch immer für Betrieb und wurden gut angenommen. Sie waren ein großer Zugewinn für die Stadt, doch letztes Jahr kam es zu Differenzen und die Verträge wurden aufgelöst. Die Stadt wäre bereits im Gespräch mit einem neuen Interessenten, der die Filmnächte fortführen wolle. (BLICK.de berichtete) Seit Mai hörte man hier jedoch nichts Neues. Es gibt zwar aktuell auch andere Freilichtkinoangebote, doch über die erfährt man zu wenig oder sie sind nicht zentral genug.  

Innenstadt muss sich wandeln

Dass es mehr Veranstaltungen und Feste geben muss, um Leute in die Stadt zu locken, glaubt auch die Firmengruppe Kellenberger. "Mehr Veranstaltungen und Feste müssen zum Besuch der Innenstadt einladen und das in einem größeren Einzugsgebiet."  Zusätzlich stünden die Innenstädte vor vielen weiteren Herausforderungen, die einen Wandel unumgänglich machen würden.  "Letztendlich werden sich die Innenstädte wandeln müssen, nicht mehr kostendeckender Handel muss durch Gastronomie, Sport- und Freizeitangebote ersetzt werden. Dazu kommt dann noch das Sicherheitsgefühl in der Innenstadt. Daran wird ja derzeit gearbeitet, das dauert aber bis es auch in den Köpfen ist." (BLICK.de berichtete über den neuen Sicherheitspunkt an der Zentralhaltestelle) Immerhin schien auch der Rewe am Wall auch aus diesen Gründen einen neuen Standort gesucht zu haben. (BLICK.de berichtete) Natürlich war der offizielle Grund ein neues modernes Ladenkonzept, aber alle Chemnitzer wissen, dass es viele Polizeieinsätze am Wall gegeben hatte und sogar Securities am Reweeingang stationiert waren. 

Viele Städte haben ähnliche Probleme

Stadt Chemnitz: "Allgemein lässt sich aber sagen: Städte unterliegen einem Wandel in deren Nutzungsstruktur. Gerade die Handelslandschaft hat sich seit der Corona-Pandemie stark verändert und konkurriert mit einem stetig wachsenden Online-Handel. Die Innenstädte der Zukunft werden sich nicht mehr allein über Einzelhandel definieren. Geschäfte müssen Erlebnischarakter und individuellen Service bieten, um sich vom Online-Handel abzuheben und einen Mehrwert zu bieten. Sie müssen zukünftig multifunktional aufgestellt sein, Aufenthaltsqualität schaffen und auch Orte ohne Konsumzwang anbieten, um möglichst viele Besuchsanlässe für unterschiedliche Zielgruppen zu anzubieten", so die Stadt.

Das Kommen und Gehen in Städten sei ebenfalls kein Chemnitz-spezifisches Phänomen, sondern stünde in Abhängigkeit von unternehmerischen Entscheidungen. "Dabei spielen die unterschiedlichsten Faktoren wie z. B. die Lage, Kaufkraft, Einzugsgebiet, Akzeptanz von Marken etc. eine Rolle, die eine Ansiedlung, einen Verbleib oder einen Wegzug begründen", erklärt die Stadt, die sich in mehreren Maßnahmen für eine attraktive Innenstadt einsetzt. 

Maßnahmen der Stadt Chemnitz

"Die Stadt Chemnitz ergreift bereits Maßnahmen und setzt sich mit der Entwicklungen ihrer Innenstadt auseinander, dazu zählen:

  • die Entwicklung eines Rahmenplans für die Innenstadt 2035 (interdisziplinäres Verfahren unter Beteiligung der Verwaltung, städtischer Institutionen, Bürgern usw.) 
  • Austauschformate mit Eigentümer:innen sowie Unternehmen zur Entwicklung von Handelsimmobilien und Standortentwicklung
  • Der Geschäftsbereich Wirtschaft hat darüber hinaus alle großen Filialisten (deren Zentralen) angesprochen und zu Terminen eingeladen, um mit ihnen gezielt ins Gespräch zu kommen.
  • regelmäßige Abstimmungen mit einem großen Makler, der wichtige Filialisten und Unternehmen vermittelt, auf die der Geschäftsbereich Wirtschaft dann aktiv zugeht
  • Des Weiteren steht die Stadt Chemnitz in Kontakt mit allen großen Eigentümer:innen und innerstädtischen Centern, nicht nur zu potenziellen Mietern, sondern auch zu Laufwegen und baulich nötigen Optimierungen. So benötigt jede/r Mieter/in für sein Geschäft eine spezifische Ausstattung, die dafür erforderlichen baulichen Maßnahmen nehmen oft viel Zeit in Anspruch. Auch wenn die Eigentümer:innen gern auf die Wünsche der Händler:innen und Gastronomen eingehen, müssen dafür dann eher langfristige Mieterverträge abgeschlossen werden.
  • Fachkräftebörsen (die nächsten werden in der Innenstadt auf dem Weinfest und der Verlängerung des Weihnachtsmarktes durchgeführt)
  • Initiative Chemnitz City hat derzeit über 30 Mitglieder und wird durch Neu-Akquise weiterer Partner gestärkt, denn auch Industrieunternehmen wollen sich stärker einbringen und Mitglied werden.
  • Förderprogramm Kreativachse (Leerstandsbekämpfung im Projektgebiet des Brühls sowie Sonnebergs und der Straße der Nationen als Bindeglied zur Kerninnenstadt)"

Brachland oder Wohlfühloase?

Es wird sich viel bis Ende des Jahres noch in der Innenstadt tun, aber dass sich die Situation bis nächstes Jahr verändert, glaube ich nicht so richtig. Es ist gewiss nicht alles schlecht, die Stadt bringt sich viel ein (siehe oben) und versucht zu vermitteln, bei einigen Angeboten schien sie aber in der Vergangenheit auch eher die Bremse als die helfende Hand zu sein (siehe Filmnächte). Ich werde bis zum Schluss jedoch das Gefühl nicht los, dass schon viel geholfen wäre, wenn es eine Art Mietpreisbremse für Gewerbeflächen gäbe, sodass den Gastronomen und Einzelhändlern ein wenig entgegen gekommen werden könnte. Aber das ist wohl unrealistisch. 

Es stellt sich mir am Ende gar nicht die Frage - Brachland oder Wohlfühloase - da die City nichts von beidem ist. Aber was ist sie dann? Mir kommt zuerst das Wort nett in den Sinn. Aber wollen wir eine nette Innenstadt? 

Was bleibt?

Schätzen wir zum Schluss einfach die paar teuren Kleinigkeiten, die bereits zur Verschönerung der Innenstadt beigetragen haben, wie den Marktbaum, neue bunte Sitzmöbel, ein paar Lampions, die neuen Brunnen oder das I<3C-Schild. (BLICK.de berichtete über alle)

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