WM-Check mit Sven Köhler: Warum Kimmich ein Ochse ist und Hertha sich eine Backpfeife geben sollte

EXPERTENINTERVIEW Sven Köhler hat mit dem FC Karl-Marx-Stadt Europapokal gespielt und stieg 1999 mit den Himmelblauen in Liga 2 auf. Später feierte er mit Halle den Drittliga-Aufstieg und trainierte den CFC. Aktuell betreut er den VfB Auerbach. Im BLICK-Interview spricht er über das anstehende Turnier, den Fußball in der Region und wieso ihn Hans Meyer einst daheim besuchte.

Es gab im Vorfeld ja bereits viele Spekulationen um Spieler wie Niclas Füllkrug und Mario Götze. Hätten Sie beide ebenfalls mitgenommen und welche Nominierung kam für Sie überraschend?

Hansi Flick hat einen sehr ausgewogenen Kader für das Turnier in Katar gewählt. Mario Götze bringt eine Menge Erfahrung mit und ist aktuell durch seine starken Spiele für Frankfurt wieder in ausgezeichneter Form. Niclas Füllkrug ist ein ganz anderer Stürmertyp als die anderen Angreifer, die Flick zur Verfügung hat. Seine Nominierung ist angesichts der vielen Tore in der Bundesliga ebenso gerechtfertigt. Antonio Rüdiger ist unser bester Abwehrspieler und daher für mich klar der Chef der Defensive. Dahinter stehen mit Schlotterbeck und Süle zwei ebenfalls starke Innenverteidiger. Deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass der Bundestrainer auf Mats Hummels verzichtet hat. Karim Adeyemi kommt mit viel Schnelligkeit und ist daher sicherlich ein guter Ersatz für den verletzten Timo Werner. Er steht ebenso wie Moukoko und Musiala für die Zukunft des DFB-Teams, auch im Hinblick auf die EM 2024 im eigenen Land.

 

Welche 5 Spieler würden das Grundgerüst der DFB-Elf bilden, wenn Sven Köhler Bundestrainer wäre?

Das Gerüst sollten in meinen Augen Profis von Bayern München bilden, da diese aktuell sehr gut in Form sind. Über Manuel Neuer brauchen wir nicht zu sprechen. Dann sehe ich Kimmich als Mittelfeldmotor, der sich auch nicht zu schade ist, mal mit der groben Klinge zu Werke zu gehen. Ein echter Ochse eben. Gnabry und Sane haben jüngst ihre stark ansteigende Form unter Beweis gestellt und in der Hinterhand hat man mit Thomas Müller einen Spieler, der der Mannschaft als Typ immer helfen kann. Sowohl von Beginn an als auch als Einwechselspieler. Bayern hat die stärksten Typen in ihrer Mannschaft, die sich auch von Widrigkeiten im Spiel nicht beeindrucken lassen.

 

Wer sind aus Ihrer Sicht die Favoriten auf den Titelgewinn? Was trauen Sie der deutschen Elf bei der WM 2022 zu?

Ich sehe die beiden südamerikanischen Top-Teams weit vorn. Auch wenn Brasilien dieses Mal vergleichsweise wenig Europa-Legionäre im Kader hat, ist mit ihnen zu rechnen. Bei Argentinien greift Lionel Messi nach seiner wohl letzten Chance, den WM-Titel zu gewinnen. Auch Holland wird eine gute Rolle spielen. Während ich England trotz des starken Vereinsfußballs eher weniger zutraue, ganz vorn zu laden, zählt für mich die deutsche Nationalmannschaft zum erweiterten Favoritenkreis.

 

War es richtig, die FIFA-WM 2022 angesichts der dortigen Situation ins Emirat Katar zu vergeben?

Es ist natürlich eine skurrile Situation, dass wir uns aktuell in Deutschland darüber unterhalten, ob wir bei 18 Grad mit Pullover im Büro sitzen und dort während des Turniers über spezielle Kühlanlagen die Stadiontemperatur auf ein für Sportler erträgliches Maß heruntergeschraubt wird. Noch komischer ist aber für mich der Zeitpunkt dieses Championats. Bisher war man ein solches Turnier stets im Sommer gewohnt. Eine Chance sehe ich aber in der Qualität der Spiele. Jetzt, wo die Topspieler noch kein Mammutprogramm mit teilweise über 60 Saisonspielen in den Knochen haben, könnten es qualitativ sogar noch etwas besser werden im Vergleich zu den bisherigen großen Turnieren.

 

Aktuell liegen die westsächsischen Vereine Chemnitzer FC und Erzgebirge Aue hinter den Erwartungen, die man vor der Saison hegte. Wo sehen Sie die Gründe und trauen Sie einem der beiden Clubs zu, das Blatt im weiteren Saisonverlauf noch deutlich zu wenden?

Generell ist die Erwartungserhaltung beim CFC durch die Vergangenheit in der zweiten Liga immer sehr hoch. Sie haben zuletzt wieder einige gute Spiele abgeliefert. Gerade das 4:2 beim Spitzenreiter BAK und das 2:0 bei Babelsberg können das Team auch in den nächsten Spielen ein Stück weit tragen. Man muss aber auch ehrlich sagen, dass die Regionalliga inzwischen fast eine Profiliga geworden ist. Die Hälfte des Klassements möchte am Saisonende Meister werden. Bei Erzgebirge Aue habe ich gedacht, dass es mit dem guten Kader zwangsläufig wieder nach oben geht und man sich trotz des schlechten Starts in der dritten Liga etabliert. Dass man nun so tief im Schlamassel steckt, hängt offenbar auch mit vielen unglücklichen Entscheidungen zusammen, die in der jüngeren Vergangenheit im Verein getroffen wurden.

Grundsätzlich hoffe ich, dass der CFC noch richtig oben mitspielt im weiteren Saisonverlauf und auch, dass Erzgebirge Aue die Klasse hält.

 

Warum fällt es so viele Fußballvereinen aus den neuen Bundesländern schwer, sich in den oberen Fußballligen zu etablieren?

Zunächst einmal muss man es sagen, dass es allen voran Union Berlin sowie Rostock und Magdeburg sehr ordentlich machen. Wenn die beiden Zweitligaclubs am Ende der Saison die Klasse halten, wäre das ein großer Erfolg. Mittelfristig erwarte ich, dass sich Dynamo Dresden stabilisiert und wieder in die zweite Bundesliga zurückkehrt. Ihnen wäre aus sächsischer Sicht längerfristig auch die Bundesliga zuzutrauen. Und es gibt ja auch positive Beispiele: Wer hätte gedacht, dass Erzgebirge Aue sich insgesamt zehn Jahre in der 2. Bundesliga gehalten hat?

 

Ein absolutes Positivbeispiel im Ostfußball ist aktuell Union Berlin. Was trauen sie der Elf von Urs Fischer am Saisonende zu?

Union Berlin leistet wahnsinnig gute Arbeit. Da ist Ruhe im Verein und Trainer, Manager sowie Vereinsführung ziehen an einem Strang. Hertha BSC müsste sich eigentlich jeden Tag eine Backpfeife geben, wenn sie sehen, was in Köpenick erreicht wurde. Ganz oben werden die Eisernen am Ende nicht ankommen, aber den erneuten Einzug in den Europapokal traue ich ihnen definitiv zu.

 

Hans Meyer feierte vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag. Was haben Sie aus der Zeit mit ihm für Ihre Trainertätigkeit mitgenommen? Was zeichnete ihn aus?

Er hat es nach seinem Dienstantritt in Chemnitz verstanden, eine ganz junge Truppe zu motivieren und zu formen. Wir waren damals viele Jahre im Tabellenmittelfeld und er hat uns vom Europapokal erzählt. Das hat natürlich ungemein motiviert. Ich habe ihn als einen strengen, aber sehr fairen Trainer erlebt, der auch nicht davor zurückgeschreckt ist, personelle Konsequenzen zu ziehen. Das Training war für damalige Verhältnisse sehr modern. Wir haben beispielsweise schon Videoanalyse betrieben, hatten einen Torwart- und einen Athletiktrainer und es wurde auch auf das Gemeinschaftsgefühl viel Wert gelegt. Dazu gehörten beispielsweise ein gemeinsames Mittagessen, Besuche bei den Spielern daheim und einen Sportgruppe mit den Spielerfrauen. Auch eine Viererkette hat er Ende der 1980er Jahre bereits mit dem damaligen FC Karl-Marx-Stadt probiert. Ich habe einige Sachen für meine Arbeit als Trainer von ihm übernehmen können.

 

Abschließend noch ein paar persönliche Fragen: Wie sieht momentan der Alltag von Sven Köhler aus?

Wir haben beim VfB Auerbach viermal pro Woche abends Training. Eher geht es durch Beruf oder Studium der Spieler meist nicht zu realisieren. Ich fahre dann gegen Mittag nach Auerbach. Vorher studiere ich daheim an ein bis zwei Tagen pro Woche die kommenden Gegner. Auch das ist in der Oberliga nicht so einfach, da es wenig verwertbares Videomaterial gibt und man schon eine Weile suchen muss, um die entsprechenden Infos über den Gegner zu bekommen.

 

Wie waren Ihre Erfahrungen als TV-Experte beim MDR?

Es war sehr angenehm, das Geschäft mal eine Saison lang von einer anderen Seite kennenzulernen. Auch die Rückmeldungen, die ich von den Verantwortlichen beim MDR und von Kollegen bekommen habe, war sehr positiv. Natürlich war ich damals als arbeitsloser Trainer auch eine günstige Alternative für den Sender. (lacht).

 

Wie regelmäßig ist Ihr Kontakt zum CFC und dort zu einzelnen Personen und ehemaligen Mitspielern?

Ich habe einen sehr guten und engen Kontakt zu Christoph Franke. Wir tauschen uns mehrmals pro Woche über den Chemnitzer FC und natürlich auch meine Arbeit in Auerbach aus. Auch mit Teammanager Torsten Bittermann spreche ich ab und zu und Jens Schmidt sehe ich im Sportfachgeschäft, wenn ich mal ein paar Sachen für den VfB Auerbach dort abhole. Vor der Corona-Pandemie gab es jährlich vor Weihnachten ein großes Treffen von ehemaligen Spielern und Verantwortlichen der Himmelblauen im Sportforum. Ich hoffe sehr, dass das dieses Jahr wieder stattfinden kann.

 



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