Kam ein Wanderer des Wegs

MOTORSPORT 2022 war auch für ehemaligen Schönauer Motorrad-Hersteller ein Jubiläumsjahr

Heute geht das Jahr 2022 nun zu Ende und damit einhergehend auch das Jubiläumsjahr 100 Jahre Motorradbau in Zschopau. Aber auch in Chemnitz gab es 2022 ein Jubiläum zu feiern, denn vor sogar 120 Jahren stieg Wanderer in den Motorradbau ein.

 

Ursprung im heutigen Chemnitzer Stadtteil Schönau

Der Ursprung der Firma geht bis ins Jahr 1885 zurück. Konkret am 15. Februar 1885 gründeten Johann Baptist Winklhofer und Richard Adolf Jaenicke in Schönau bei Chemnitz, welches sich erst 1935 mit Siegmar vereinigte und 1950 schließlich von Chemnitz eingemeindet wurde, die Fahrradverkaufs- und -reparatur-Firma "Chemnitzer Veloziped-Depot Winklhofer & Jaenicke". Wenig später begann man dann schon mit der Produktion von eigenen Fahrrädern.

Am 15. Mai 1896 erfolgte die Umfirmierung in die "Wanderer Fahrradwerke AG", die zu einem der bedeutendsten Fahrradhersteller aufstieg. Nachdem man 1899 das Produktportfolio mit den ersten Fräsmaschinen erweitert hatte, stieg Wanderer 1902 in die Motorrad-Produktion ein. Ein weiteres Jahr später stellte man die ersten Schreibmaschinen unter dem Namen Continental her. Ebenfalls bis ins Jahr 1903 reichen die ersten Pläne für ein erstes Automobil-Modell der Wanderer-Werke zurück. Bis zum Einstieg in die serienmäßige Autoproduktion sollten aber noch zehn Jahre vergehen.

Um die Jahrhundertwende 1800/1900 war es nicht unüblich, dass Fahrradhersteller ihre Fahrzeuge motorisierten, was auch der inzwischen alleinige Firmeninhaber Johann Baptist Winklhofer für sich als neuen Produktionszweig entdeckte. Richard Adolf Jaenicke hatte sich da schon ins Privatleben zurück gezogen.

 

Das erste motorisierte Zweirad

1902 präsentierte Wanderer auf der Berliner Automobilmesse sein erstes Motorrad, oder besser gesagt erstes Fahrrad mit Hilfsmotor, denn die Pedalerie blieb vorläufig noch an Bord. Der Motor leistete mit seinen 217 ccm Hubraum 1,5 PS, was für eine Geschwindigkeit bis zu 50 km/h gut war. Die Kraftübertragung erfolgte mittels eines Rundriemens zur geleimten Holzriemenfelge am Hinterrad. Gemäß zeitgenössischer Unterlagen wurden 55 dieser Motorräder im ersten Jahr gebaut und verkauft.

1903 folgte ein Modell mit 2 PS, welches immer noch sehr hochbeinig war. 1905 brachte Wanderer zwei neue Modelle mit V-Zweizylindermotoren und 538 ccm Hubraum für Motorradfahrer mit gehobenen Ansprüchen auf den Markt.

Die ersten Federgabeln für die Fahrzeugfront waren schon kurz nach der Jahrhundertwende aufgekommen. 1910 waren es Wanderer und NSU, die als Erste auch den gefederten Hinterrahmen bei ihren Motorrädern einführten.

Wanderer-Motorräder erfreuten sich immer weiter wachsender Beliebtheit und im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 lieferte Wanderer knapp die Hälfte der deutschen Heeresmotorräder.

 

Deutscher Meister mit Albert Schuster

Natürlich nutzte auch Wanderer den Motorsport zur Verkaufsförderung, betrieb diesen allerdings eher auf Sparflamme. So war man vor allem durch die Beteiligung von zahlreichen Privatfahrern mit ihren seriennahen Zweizylindermodellen ziemlich erfolgreich vertreten. Den größten Erfolg feierte allerdings der Chemnitzer Werksrennfahrer Albert Schuster, der 1924 auf einer 18 PS leistenden und nur 125 Kilogramm wiegenden 750er-Wanderer in der Klasse über 500 ccm einer der ersten "Deutschen Bahn- und Straßenmeister" wurde.

Beim ersten Badberg-Vierecksrennen auf dem späteren Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal gewann 1927 der spätere Autorennfahrer der Auto Union, der Mittweidaer Rudolf Hasse, auf einer Wanderer die Klasse bis 750 ccm. Ebenso war bei den Motorrädern mit Seitenwagen bis 1.000 ccm in der Junioren-Klasse der Dresdner Albert Richter siegreich.

 

Schritt zurück

Hatte Wanderer den ersten Weltkrieg noch gut überstanden, setzte die Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er-Jahre den Unternehmen stark zu. Mangels Kaufkraft machte auch Wanderer wieder einen Schritt rückwärts und produzierte vornehmlich wieder Fahrräder mit Hilfsmotoren als billiges Fortbewegungsmittel.

Als eine weitere Folge der Finanzkrise kam es Anfang der 1930er-Jahre zu diversen Firmenzusammenschlüssen. Einer der bedeutendsten war die Gründung der Auto Union in Westsachsen. Auf Initiative, oder besser gesagt Druck der Sächsischen Staatsbank wurden am 29. Juni 1932, rückwirkend zum 1. November 1931, die führenden sächsischen Automobil- und Motorrad-Hersteller Audi, DKW und Horch sowie die Wanderer-Automobilsparte vereint.

Bereits 1929 gab es erste Verhandlungen über eine Verkaufsgemeinschaft von Wanderer (Motorräder) und NSU, die 1930 zum Abschluss kamen. Fortan gab es Wanderer-Motorräder mit 200, 500 und 750 ccm unter der Bezeichnung NSU-Wanderer. Ebenfalls in diese Zeit fiel der Verkauf von Lizenzen für die Produktion schwerer Motorräder von Wanderer an den tschechischen Industriellen Frantisek Janecek, der damit mit den Anfangsbuchstaben von Janecek und Wanderer die Motorradmarke Jawa gründete.

 

Neuanfang im Westen

Bis zum Zweiten Weltkrieg produzierte Wanderer noch Fahrräder mit Hilfsmotoren und Leichtmotorräder. Nach dem Wahnsinn enteigneten die sowjetischen Befreier und zugleich Besatzer die großen Firmen bzw. bauten den Großteil der Produktionsanlagen auf dem Gebiet ihrer Besatzungszone als Reparationsleistungen ab und verbrachten diese in ihr Land. So erging es auch Wanderer. Das Gros der leitenden Mitarbeiter flüchtete in die amerikanische Besatzungszone nach München, wo unter der Bezeichnung Wanderer-Werke München AG noch bis 1958 Fahrräder, Mopeds und Motoren gefertigt wurden.

Die Automarke Wanderer fand bei der neuen in Ingolstadt gegründeten Auto Union (heute Audi) keinen Platz mehr. Der Name Wanderer existierte allerdings als Hersteller verschiedener immer wieder wechselnder Güter wie Büromaschinen oder Fahrräder bis zur Insolvenz 2010 weiter.

 



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