"Ich will mehr davon!" - Schauspielerin Cordelia Wege schwärmt von ihrer Kommissarinnen-Rolle

Neuer Krimi im Ersten "Eine wirklich starke Frauenfigur" spielt Cordelia Wege im Krimi "Nord bei Nordost - Westend", der bei Erfolg als Reihe fortgesetzt werden soll. Die 48-jährige Vollblutschauspielerin, bekannt aus etlichen TV- und noch mehr Theaterrollen, freut sich, mit veralteten Rollenbildern aufräumen zu dürfen.

Cordelia Weges neue Figur, die TV-Kommissarin mit dem schönen Namen Nina Hagen, hat den spröden Charme einer Brombeerhecke. Um so bemerkenswerter, dass man im Gespräch mit ihr viel Freundlichkeit, Besonnenheit und nicht zuletzt Humor erlebt. Die 48-jährige Schauspielerin, die trotz etlicher TV-Rollen ("Tatort", "Wendland") dem Theater treu geblieben ist und dort auch als Regisseurin von Stefan Zweigs "Amok" für Aufsehen sorgte, hat, statt diesen Sommer Urlaub zu machen, lieber die Werbetrommel für "Westend" gerührt. Das ist der Pilotfilm zur geplanten neuen Krimi-Reihe "Nord bei Nordost", der am Donnerstag, 3. Oktober, im Ersten zu sehen ist und "eine wirklich starke Frauenfigur zeigt". Gedreht wurde dort, wo die gebürtige Hallenserin auch privat mit ihrem Mann und vier Kindern lebt: in Mecklenburg-Vorpommern. Dem Großstadtleben hat sie ganz bewusst den Rücken gekehrt, sie liebt die Ruhe und die Natur. Cordelia Wege über die Menschen in "ihrem" Bundesland, die Notwendigkeit, Fehler zu machen und die letzten fünf Minuten vor einem Theaterauftritt.

"Lachen ist für meine Figur Energieverschwendung"

teleschau: Warum heißt Ihre Figur in "Westend" ausgerechnet Nina Hagen, wie die punkige Sängerin?

Cordelia Wege: Meine Idee dazu ist, dass ihre Eltern sich einfach einen Spaß erlaubt haben und möglicherweise die Sängerin mochten. Unser Autor Holger Karsten Schmidt hat eine herrlich pragmatische Herangehensweise: Er sagt, es wird immer irgendjemanden geben, der denkt, er sei der Erste, der einen ganz tollen Witz über diesen Namen macht. (lacht)

teleschau: Kommissarin Hagen lacht praktisch nie, und über Witze über ihren Namen schon mal gar nicht ....

Cordelia Wege: Ich glaube, lachen ist für sie Energieverschwendung. Sie ist so bei sich, dass viel lachen irgendwie unnötig ist. So tickt Nina Hagen.

teleschau: Sie ist ganz anders als andere TV-Ermittlerinnen, hat zwei Männer gleichzeitig, startet keinerlei Charmeoffensiven. Welche Eigenschaften an ihr mögen Sie?

Cordelia Wege: Ihre Autonomie und Selbstbestimmtheit, dieses autark sein finde ich ganz wunderbar. Ich mag Ninas Art, effektiv mit ihren Gefühlen zu haushalten - Kräfte zu sparen, ist in unserem Alter ja sehr praktisch. Nina ist geradlinig und ehrlich, verwendet nicht viel Energie für Diplomatie. Höfliche Floskeln findet sie überflüssig. Im ersten Augenblick scheint sie deswegen vielleicht nicht besonders verbindlich zu sein, ist aber im Herzen ein sehr empathischer Mensch, besonders Opfern gegenüber. Diese Widersprüchlichkeit auszuloten, war für mich als Spielerin sehr reizvoll.

"Ein Wandel in Fragen der Altersstruktur"

teleschau: Hat eine solche Frauenfigur in der deutschen TV-Landschaft gefehlt?

Cordelia Wege: Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Es gibt durchaus bereits sehr eigenwillige, starke Frauenfiguren. Auch einige, die wie Nina dadurch interessant sind, dass sie Ecken und Kanten haben, die Widersprüchlichkeiten in sich vereinen dürfen und nicht mehr veralteten Rollenbildern entsprechen müssen. Aber es sind noch nicht genug, ich will mehr davon!

teleschau: Viele Ihrer Kolleginnen sagen, es gäbe kaum Rollen für Frauen um die 50, und man müsse froh sein, überhaupt eine Frau des eigenen Alters spielen zu dürfen. Wie empfinden Sie das?

Cordelia Wege: Als ich jünger war, habe ich, was das Berufliche angeht, mit etwas Sorge meinem jetzigen Alter entgegengeblickt. Jetzt merke ich, dass sich langsam eine Tür öffnet. Ich glaube, es findet momentan eine Veränderung statt, ein Wandel in der Sicht auf die Dinge, in Fragen der Altersstruktur. Immerhin sind in Deutschland fast 40 Prozent der Menschen zwischen 40 und 70 Jahre alt. Reife Frauen und Männer stellen also, das ist dem demografischen Wandel geschuldet, einen sehr großen Anteil der Gesamtbevölkerung. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, viel mehr Geschichten über Menschen dieser Altersgruppen zu erzählen, denn es gibt ja eine entsprechend große Zielgruppe. Zudem haben reifere Menschen schon viel erlebt, so dass die Menge an Sujets schier unerschöpflich ist. Wenn dieses Potenzial durch die Entscheidungsträger in der TV- und Medienlandschaft erst einmal deutlich wahrgenommen wird, denke ich, dass es für Schauspieler und Schauspielerinnen ab 40 nicht mehr so schauerlich aussieht, wie es uns vor 20 Jahren prognostiziert wurde.

Plan B: Tischlerin

teleschau: Wie war die Zusammenarbeit mit Franz Dinda und David Bredin, Ihren Kollegen in "Westend"?

Cordelia Wege: In dieser Konstellation zu dritt sind wir uns beim Casting zum ersten Mal begegnet, und wir haben gleich gemerkt, es funktioniert ganz fantastisch. Erstens ergänzen wir uns wunderbar, was unsere Zusammenarbeit bereichert. Und zweitens sind wir keine 20 mehr, nicht mehr fahrig und ungestüm, so dass wir uns ohne Ablenkung auf unsere Arbeit fokussieren konnten. Es ist eine spaßige und gleichzeitig konzentrierte Atmosphäre.

teleschau: Sind nach dem Pilotfilm "Westend" weitere Folgen in Planung?

Cordelia Wege: Wir haben bisher nur den Film "Westend" gedreht. Ob es eine Reihe wird, entscheiden die Zuschauerzahlen. Ich hoffe, dass wir viele Menschen für unsere Geschichte begeistern können und neugierig machen, wie es mit uns weitergeht.

teleschau: Wie sind Sie ganz ursprünglich zu Ihrem Beruf gekommen?

Cordelia Wege: Ich wollte eigentlich schon immer Schauspielerin werden. Dabei gab es keinerlei Bezug dazu über meine Familie oder Bekannte. Ich wollte es werden und bin es geworden (lacht).

teleschau: Und wenn das nicht geklappt hätte?

Cordelia Wege: Dann hätte ich etwas Handwerkliches gemacht. Tischlerin schwebte mir vor. Und mich hat auch die Restaurierung von alten Dingen sehr interessiert, ich hätte gerne mit Gips und Holz gearbeitet. Um diese Sachen zu lernen, hätte ich mich bemüht, wenn Plan B hätte greifen müssen.

teleschau: Also arbeiten Sie in Ihrer Freizeit gerne mit Gips und Holz?

Cordelia Wege: Ja, mit Holz. Allerdings in einer anderen Weise, als ich ursprünglich vorhatte: Meine Familie und ich leben auf einem Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern. Da wir im Winter unser Haus mit Holz heizen, müssen wir es sägen, spalten, transportieren und stapeln. Das ist alljährlich eine zeitaufwendige Arbeit, eine sehr befriedigende noch dazu. Man sieht, was man geschafft hat. Viel Sport muss ich da nicht mehr machen. Außerdem bin ich eine Leseratte geworden.

teleschau: Was lesen Sie gerne?

Cordelia Wege: Das geht absolut querbeet. Jetzt bin ich gerade wieder mit einem zeitgenössischen Soziologen beschäftigt und einem Anthropologen aus den 60er-Jahren. Ich lese aber auch Romane, viel Zeitgenössisches. Aber auch Klassiker wie Balzac und Dostojewski mag ich. Und wenn mir ein Buch mal nicht so gefällt, lese ich es meist trotzdem bis zu Ende, weil ich finde, ich bin es Autor und Buch irgendwie schuldig ...

teleschau: Sie sprachen auch von Sport ...

Cordelia Wege: Ich renne ab und zu durch die Gegend - oder sollte man es eher "schleichen" oder "kriechen" nennen (lacht)? Ich komme jedenfalls vorwärts. Weil ich auf dem Land lebe, habe ich viel Platz zum Laufen und bleibe dabei zum Glück unbeobachtet. Ein bisschen Yoga übe ich auch hin und wieder.

Auf dem Land zu Hause

teleschau: Sie haben vier Kinder - wie bekommen Sie Ihren zeitintensiven Beruf und Ihr Privatleben unter einen Hut?

Cordelia Wege: Ich habe drei eigene Kinder und inzwischen sind sie groß und recht selbstständig. Als sie kleiner waren, haben mein Mann und ich oft abwechselnd gearbeitet. Wir haben Prioritäten gesetzt: Die Kinder, die Familie waren immer das Wichtigste.

teleschau: Der Film wurde in Mecklenburg-Vorpommern gedreht, und hier leben Sie auch. Was zeichnet die Menschen in der Region aus, und inwiefern wird das im Film gespiegelt?

Cordelia Wege: Natürlich gibt es auch Action in unserem Film. Aber ich denke, es ist eine gewisse Ruhe, die dem ganzen Film seine Eigenheit verleiht. Diese Ruhe, die mit der Weite der Landschaft zu tun hat: Der Blick kann schweifen, und analog dazu hat man Zeit, der Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen kontemplativer zuzuschauen. Ich würde die Ruhe und das Nicht-Getriebene als starkes, beeinflussendes Moment benennen.

teleschau: Gefällt Ihnen das oder sind Sie selbst gern flotter unterwegs?

Cordelia Wege: Mir gefällt das sehr gut. Wir können es in unserer Schnelllebigkeit ganz gut gebrauchen, etwas Ruhe einkehren zu lassen, um dadurch Dinge intensiver zu betrachten, Themen genauer auszuleuchten. Und das gelingt mit Gelassenheit besser als mit Geschwindigkeit. Hier zu leben, war eine ganz bewusste Entscheidung.

teleschau: Sie haben auch in Leipzig, Berlin und Hamburg gelebt. Ein Leben in der Großstadt käme nicht mehr infrage?

Cordelia Wege: Es heißt zwar: "Sag' niemals nie" (lacht). Und wenn ich, wie so oft, behaupte, dass ich nie mehr in die Stadt zurück will, merke ich in dem Moment, in dem ich das ausspreche, wie gefährlich die Wörtchen "nie" und "immer" sind (lacht). Aber ich kann mir zurzeit wirklich nicht vorstellen, wieder in eine Stadt zu ziehen. Ich fühle mich wohl und geborgen hier, wo ich bin.

teleschau: Sie spielen sehr viel Theater und haben zuletzt neben der Hauptrolle in Stefan Zweigs "Amokläufer" auch die Regie übernommen. Was bedeutete Ihnen dieses Projekt?

Cordelia Wege: Als man sich im Theater coronabedingt nicht mehr begegnen durfte, wurden auch am Berliner Ensemble praktischerweise vermehrt Monologe auf die Bühne gebracht. Mir wurde angeboten und ermöglicht, einen zu erarbeiten, mit der besonderen Aufgabe, selber Regie zu führen. Ein "Allein-Projekt" sozusagen, das hatte ich noch nie zuvor gemacht. Dass ich - in Absprache mit der Leitung natürlich - auch den Stoff dazu selbst auswählen durfte, war überwältigend. Denn etwas aufzuführen, was einen thematisch ganz und gar interessiert, ohne Kompromisse, das erlebt man nicht oft. Ein Geschenk! Ich entschied mich für Stefan Zweig, der mit "Der Amokläufer" eine Novelle geschrieben hatte, in der er einen Machtkampf zwischen einem Mann und einer Frau schildert, den sie am Ende beide verlieren und bei dem sie sterben.

Stunt-Szenen? Immer gern!

teleschau: Was reizte Sie an Stefan Zweig, dessen Jahre im Exil ja 2016 verfilmt wurden?

Cordelia Wege: Da Zweig die Seite des Mannes sehr genau ausarbeitet und ich der Meinung war, dass die Perspektive der Frau zu kurz kommt, war es mein Anliegen, beide Seiten gleichermaßen zugänglich zu machen. Auch wollte ich zeigen, dass ein Kampf zu wenig Gutem führt. Hätten die beiden anders miteinander kommuniziert, wären sie am Leben geblieben und in einer Kooperation möglicherweise stark werden können. In einem körperlich sehr aufreibenden performativen Akt bin ich in die Punkte des gegenseitigen Missverstehens eingedrungen und habe so versucht, Gedanken- und Gefühlswelten beider Wesen hörbar, sichtbar und fühlbar zu machen. Diese Arbeit hat mir in jeder Hinsicht eine Menge abverlangt und dabei viel Freude und neue Erfahrungen geschenkt.

teleschau: Könnten Sie sich ein weiteres Theaterprojekt in dieser Größenordnung vorstellen?

Cordelia Wege: Das würde ich sehr gerne machen. Im Moment gibt es bei mir zwar eher eine Tendenz in Richtung Arbeit vor der Kamera, denn die habe ich für mich noch nicht zu Ende entdeckt. Das heißt aber nicht, dass ich dem Theater den Rücken kehre. Ich würde mich freuen, wenn wieder etwas Derartiges auf mich zukommt. Zur selben Zeit in einem Raum miteinander zu agieren, ist sehr kostbar, das will ich nicht missen.

teleschau: Wie erleben Sie im Theater die letzten fünf Minuten vor dem Auftritt?

Cordelia Wege: Darf ich mal kurz reinfühlen und überlegen (überlegt lange)? Aufgeregt bin ich, wenn ich das Theater betrete und auch noch, wenn ich in der Maske sitze und nach und nach auf alle Mitwirkenden treffe und sie begrüße. In den letzten fünf Minuten gehe ich in eine Hochkonzentration. Da kommt eine große Ruhe über mich, und ich erlebe eine tiefe Verbindung zu mir selbst, die sich sehr kraftvoll anfühlt. Ich habe dann den Eindruck, dass alles möglich wird. In solch einem Zustand betrete ich meistens die Bühne.

teleschau: Sie sagten gerade, Arbeit vor der Kamera sei Ihr Fokus. Was ist mit Arbeit hinter der Kamera? Hätten Sie beispielsweise Lust, ein Drehbuch zu schreiben?

Cordelia Wege: Im Moment zieht es mich ausschließlich vor die Kamera. Regie könnte ich mir nicht vorstellen, aber Stoffe, Geschichten und Drehbücher (mit-) zu entwickeln schon.

teleschau: Von welcher Rolle träumen Sie?

Cordelia Wege: Ich liebe es, actionreiche Szenen, zum Beispiel Kämpfe oder besondere körperliche Herausforderungen am Set, die normalerweise Stunt-Profis ausführen, zu einem Teil selber machen zu dürfen. Thriller finde ich extrem spannend, so derartig aufregend, dass ich manchmal nicht hinschauen kann. Aber in einem spooky Thriller mitzuspielen, das will ich gerne. Alles, was menschliches Miteinander ausmacht, interessiert mich.



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