Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer in Schlaganfall-Drama: "Frauen haben besser gelernt, Dinge zu ertragen"

Interview zum ARD-Film "Aus dem Leben" Im ARD-Film "Aus dem Leben" spielen die Eheleute Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer ein Paar, bei dem sich alles verändert, als die Frau einen Schlaganfall erleidet. Ein Gespräch über den "Pflegeschiefstand" zwischen Männern und Frauen und Lebenschancen, die wir dem Altern zu verdanken haben.

Zu Beginn zeigt der ARD-Mittwochsfilm "Aus dem Leben" (Mittwoch, 9. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste) ein routiniertes Ehepaar. Jeder hat seinen Platz im Leben gefunden, auch wenn die Beziehung ein wenig Rost angesetzt hat. Aber - man arrangiert sich. Die gelangweilte Zufriedenheit von Sabine (Ann-Kathrin Kramer) und Stefan (Harald Krassnitzer) ist plötzlich vorbei, als sie einen schweren Schlaganfall erleidet. Sabine überlebt, ist aber schwer gezeichnet und pflegebedürftig. Wie geht sie selbst, wie geht ihr Mann und das Umfeld der Familie damit um? Im Interview zu einem Thema, über das kaum jemand gerne spricht, denken die tatsächlichen Ehepartner Ann-Kathrin Kramer (58) und Harald Krassnitzer (64) darüber nach, wie sie selbst mit einer solchen Situation umgehen würden und wie wichtig es ist, den eigenen Verfall durchs Altern auch als Chance zu begreifen.

teleschau: 80 Prozent der Männer, deren Frauen einen schweren Schlaganfall erleiden, verlassen ihre Partnerinnen - sagt die Statistik. Waren Sie schockiert von dieser Zahl?

Ann-Kathrin Kramer: Die Zahl hat mich nicht völlig verwundert. Sie sagt etwas über unsere Gesellschaft aus. Damit meine ich nicht, dass Männer schlechter sind als Frauen. Aber Frauen übernehmen nun mal den größten Teil der "Carearbeiten". Sie haben besser gelernt, Dinge zu ertragen.

Harald Krassnitzer: Männer haben diesen Helfer-Reflex nicht. Sie bringen oft nicht die Anlagen mit, in die Pflege von Angehörigen einzusteigen. Grundsätzlich könnten Sie all diese Dinge natürlich auch übernehmen. Diese 80 Prozent verraten in der Tat viel über unsere Gesellschaft, denn sie ist sehr unrund.

teleschau: Wie ist es umgekehrt? Wie viele Frauen verlassen Ihre Männer, wenn sie wegen eines Schlaganfalls pflegebedürftig werden?

Ann-Kathrin Kramer: Da ist es genau umgedreht. 80 Prozent bleiben, nur 20 Prozent gehen.

"Man sagt immer 'mutig', wenn man in einer Rolle nicht gut aussieht"

teleschau: Manche sagen, es wäre ohnehin nicht gut fürs Verhältnis, Angehörige zu pflegen. Dass also Kinder sich um ihre Eltern kümmern oder auch Partner um ihre Partner.

Krassnitzer: Das ist eine schöne, neoliberale Idee. In einer hedonistischen Welt würde ich sie durchaus gelten lassen, aber letztendlich ist das Humbug. Wir sprechen hier über enge Beziehungen, und die enden ja nicht, weil einer von zwei Menschen pflegebedürftig wird. Natürlich kann man sagen, dass man sich nicht so gut dabei fühlt, einen nahen Angehörigen zu pflegen. Aber dann muss man schauen, woran das liegt, weil die Aufmerksamkeit und Fürsorge für den Kranken ja erst mal die normale Reaktion in einer engen Beziehung wäre. Ein anderer Punkt ist die Würde des Kranken. In unserem Film will der Mann seine Frau waschen, was ihm selbst nichts ausmacht, aber ihr unangenehm ist. So etwas hat mit Scham und eben Würde zu tun. Da muss man dann vielleicht eine andere Lösung für diesen Teilaspekt der Pflege finden.

teleschau: Wie haben Sie sich auf die Rolle einer vom Schlaganfall gezeichneten Frau vorbereitet?

Ann-Kathrin Kramer: Den körperlichen Aspekt muss man tatsächlich trainieren. Ich habe das unter Anleitung von Fachleuten gemacht, die mit Schlaganfall-Patienten zu tun haben. Wir hatten auch am Set eine Intensiv-Krankenschwester und Physiotherapeutin, die darauf achtete, dass ich nicht plötzlich etwas bewege, das ich nicht bewegen darf - als halbseitig Gelähmte. Sie war ganz toll und hat mir in der Rolle eine große Sicherheit gegeben.

teleschau: Wie viel Mut brauchten Sie für die Darstellung?

Ann-Kathrin Kramer: Man sagt immer "mutig", wenn man in einer Rolle nicht gut aussieht. Aber seien wir doch mal ehrlich: Als Schlaganfall-Patientin gut auszusehen, wäre ziemlich albern. Wenn man sich entscheidet, eine Rolle zu spielen, hat man die Verantwortung für einen bestmöglichen Realismus. Ich habe es eher als Geschenk betrachtet, in eine Geschichte und auch ihre Körperlichkeit eintauchen zu können. Es ist in diesem Film komplett unwichtig, ob die Frisur sitzt.

"Der Verlust von Gesundheit bedeutet definitiv Kontrollverlust"

teleschau: Wie viel Angst haben Sie davor, dass Ihnen ein Schicksalsschlag wie im Film selbst widerfährt?

Krassnitzer: Ich habe keine Angst davor, weil ich mich grundsätzlich nicht vor Dingen fürchte, gegen die ich nichts tun kann. Einfluss habe ich natürlich darauf, gesünder zu leben. Darüber mache ich mir schon Gedanken. Ich habe zum Beispiel mit dem Rauchen aufgehört. Aber nicht aus Angst, sondern weil es mir wichtig war und ich einfach keine Lust mehr drauf hatte. Wenn man sein Leben verändern will, sollte man dies mit positiven Gefühlen tun - nicht aus Angst. Etwas anderes ist es, wenn einen eine schwere Krankheit ereilt. Dass man dann Angst bekommt, wie es weitergehen soll, ist etwas völlig Normales. Es gibt Ereignisse im Leben, da wissen wir sofort, dass sich von nun an alles ändert. Wer dann keine Angst bekommt, hat entweder Nerven aus Stahl oder sehr starke Verdrängungsmechanismen. Kontrollverlust geht normalerweise immer mit Angst einher. Der Verlust von Gesundheit bedeutet definitiv Kontrollverlust.

teleschau: Wie stehen Sie generell zum Thema körperlicher Verfall? Manche Menschen können gut damit leben, dass bestimmte Dinge nicht mehr gehen, wenn sie älter werden. Andere hadern und können ganz schwer loslassen ...

Ann-Kathrin Kramer: Verfall kommt ja meist in Wellen. Manchmal steht man morgens vor dem Spiegel und denkt sich: "Was ist denn das da? Es war doch gestern noch nicht da" (lacht). Man muss sich mit all diesen Veränderungen anfreunden. Sie kommen und gehen, aber besuchen uns immer wieder. Es verschafft uns die Möglichkeit, sich mit dem Altern auseinanderzusetzen. Im Leben eines jeden Menschen, der nicht jung stirbt, ist das ein Riesenthema. Man redet immer so viel übers Aussehen. Viel drastischer ist es aber, wenn man bestimmte Sachen nicht mehr tun kann oder wenn Schmerzen kommen, die nicht mehr weggehen.

"Es ist eine große Chance, all den unnützen Kram zurückzulassen"

teleschau: Sie meinen Dinge, die das Leben einschränken?

Ann-Kathrin Kramer: Ja. Meine Falten im Gesicht schränken mich nicht wirklich ein. Ich kann mit ihnen alles tun, was ich auch vorher gerne getan habe. Anders ist es, wenn ich nicht mehr gut laufen oder auch andere geliebte Dinge nicht mehr ausführen kann. Es ist wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es hat auch eine Menge mit Selbstliebe zu tun. Je älter man wird, desto wichtiger wird sie. Wir müssen uns mehr Zeit zum Durchschnaufen geben. Wir müssen uns gestatten, runterzufahren. Natürlich gibt es Menschen, die das Gegenteil tun. Die dann, wenn sie älter werden, immer mehr machen, um sich zu beweisen, dass es noch geht. Dass es keine Grenzen gibt. Irgendwann kommt aber immer der Zeitpunkt, da ist das Erstere gefragt.

Krassnitzer: Ich finde Momente im Leben, in denen man die eigene Endlichkeit spürt, eigentlich sehr spannend. Da fragt man sich dann ganz blank, wie man seine restlichen Tage verbringen will. Was einem noch wichtig ist und in welche Richtung man etwas verändern muss. Man kann so etwas Krise nennen, aber eigentlich ist es eine große Chance, all den unnützen Kram zurückzulassen.

teleschau: Nennen Sie doch mal ein Beispiel?

Ann-Kathrin Kramer: Das beste Beispiel bei uns Schauspielerinnen ist natürlich das Aussehen. Mit 30 dachte ich mir, ich müsse immer gut aussehen, um in meinem Beruf erfolgreich sein zu können. Man sagt heute, das habe sich verändert, aber ich denke oft, dass dies eine pure Behauptung ist und die Schönheitsideale die gleichen und vor allem gleich eng sind wie früher. Doch das ist ein anderes Thema. Natürlich macht man sich den Druck, gut aussehen zu wollen, auch selbst. Ich habe es aber als sehr angenehm empfunden, als beides nachließ. Der gefühlte Druck von außen und auch jener in mir drin.

"Ein Film, der Resilienz in den Mittelpunkt stellt"

teleschau: Und wie ist es bei Ihnen, Herr Krassnitzer?

Krassnitzer: Ich genieße sehr die Gelassenheit des Alters, die sich aus der Lebenserfahrung speist. Als jüngerer Schauspieler hatte ich immer Angst, irgendwann keine Engagements mehr zu bekommen. Dass mich niemand mehr haben will. Irgendwann merkte ich aber, dass ich in diesem Beruf richtig bin, dass mich die Leute engagieren und sehen wollen. Mal mehr, mal weniger - aber mit diesen Wellen des eigenen Gefragtseins lernt man eben auch besser zu leben.

teleschau: Ihren Film werden viele Menschen sehen, die selbst ein ähnliches Schicksal erlitten haben, sei es nun als kranker Mensch oder Pflegender. Was wollen Sie diesen Menschen mit dem Film sagen?

Krassnitzer: Ich denke, es ist ein Film, der Resilienz in den Mittelpunkt stellt. Resilienz ist ja gerade in aller Munde, weil wir Menschen gerade mit so vielen Widrigkeiten kämpfen. Der Film zeigt, was man erreichen kann, wenn man sich kontinuierlich bemüht. Nicht im Sinne einer Heldengeschichte, aber dahingehend, dass Ausdauer und viele kleine Schritte in einer Verbesserung des Lebens und auch seiner Beziehungen münden können. Natürlich stehen wir auch zwei- oder dreimal im Film an einem Punkt, wo man denkt: Hier geht es nun nicht weiter. So etwas kann dann natürlich auch der Schlusspunkt sein. Dann hätte wieder ein Mann seine Frau verlassen. Doch hier machen die Protagonisten eben weiter.

Ann-Kathrin Kramer: Es ist auch eine Geschichte darüber, wie es ist, mit etwas zu leben - und nicht dagegen. Im Film sind das ja eher seltene Narrative. Meistens erfahren wir in ihnen von Menschen, die Dinge im großen Stil verändern. Ich glaube aber, dass es im wahren Leben viel öfter so ist, wie bei uns im Film.



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