Hohenstein Ernstthal/ Sachsenring. Neben der Marke Moto Guzzi, die am 15. März 100 Jahre alt wurde (BLICK berichtete), feiern in diesem Jahr weitere ruhmreiche italienische Motorradhersteller einen runden Geburtstag - zum Beispiel Benelli.
Am Motorradsport beteiligte sich der Hersteller aus Pesaro eher schubweise und brachte es in seiner seit 1921 währenden Motorrad-Ära, gemessen an den zahlreichen italienischen Mitbewerbern, nur zu zwei Weltmeistertiteln. Das war 1950 und 1969, als der Italiener Dario Ambrosini bzw. der Australier Kel Carruthers in der 250-ccm-Klasse triumphierten.
Benellis Sachsenring-Bilanz
Auf dem Sachsenring setzte 1936 der Belgier Ivan Goor mit Platz vier im Europameisterschaftsrennen der Klasse bis 250 ccm ein erstes Benelli-Ausrufezeichen. Im Weltmeisterschaftsjahr 1969 der italienischen Marke war die Weltelite im Zuge der ersten WM-Ära des Sachsenrings (1961 bis 1972) hier mit Renzo Pasolini und Kel Carruthers werksseitig ebenfalls hier zu Gast. Während der italienisch 350er-Vizeweltmeister des Vorjahres das Rennen der Viertelliterklasse hauchdünn vorm Spanier Santiago Herrero auf einer Ossa gewann, wurde der Aussie "nur" Fünfter. Renzo Pasolini gewann in jener Saison zwei weitere Grand Prix, verpasste allerdings verletzungsbedingt einige Rennen und landete so in der WM-Endabrechnung nur auf Platz vier. Kel Carruthers siegte hingegen drei Mal und feierte zudem vier weitere Podestplätze, was in Anbetracht der Streichresultate (die besten sieben Ergebnisse von insgesamt zwölf Rennen) zum Gewinn des Weltmeistertitels vorm schwedischen Yamaha-Piloten Kent Andersson reichte.
Ein Jahr später belegte Renzo Pasolini im Rennen der 350-ccm-Klasse hinter dem großen Giacomo Agostini mit seiner Benelli den zweiten Platz. Kel Carruthers, der inzwischen Yamaha fuhr, durfte als Dritter ebenfalls der Siegerzeremonie beiwohnen. Am Jahresende wurde Renzo Pasolini hinter "Ago nazionale" und Kel Carruthers WM-Dritter.
Danach wurde es in der WM still um die Marke Benelli.
Muttis Wunsch
Die Entstehung von Benelli geht auf das Jahr 1911 zurück und ist einer Frau zu verdanken. Teresa Boni Benelli war Witwe und Mutter von sechs Söhnen. Ihr größter Wunsch war, dass Giuseppe, Giovanni, Francesco, Filippo, Domenico und Antonio zusammenhalten und möglichst in ihrer Heimatstadt eine gemeinsame Arbeit fänden. 1911 kaufte sie in Pesaro an der italienischen Adriaküste kurzerhand Werkzeugmaschinen und vergatterte ihre Söhne quasi zur gemeinsamen Arbeit.
Die Brüder gründeten schließlich zunächst das kleine Familienunternehmen Officina Meccanica Benelli. Anfangs gab man sich dem Reparieren des spärlichen Fahrzeugbestandes im Umkreis hin. Doch ein Traum blieb - die Entwicklung und Fertigung eines eigenen Motorrades. Mit dem erstem Weltkrieg und einem schweren Erdbeben 1916, bei dem die Stadt und so auch die Werkstatt der Benellis in Schutt und Asche gelegt wurden, hatte man zunächst ein paar herbe Rückschläge zu überstehen.
Von der mechanischen Werkstatt zum Motorradhersteller
1919 war dann aber der erste Schritt getan, als man auf der Mailänder Mustermesse einen 75-ccm-Motor ausstellte. Mit dem Motor allein war man aber noch nicht am Ziel angelangt. Es dauerte weitere zwei Jahre, bis die erste komplette Benelli, jetzt mit 98-ccm-Zweitaktmotor, einem Zweiganggetriebe und Kettenprimärtrieb, der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte.
Weitere Serienmodelle mit 125 und 147 ccm Hubraum folgten. Aus der 147er wurde auch Benellis erste Rennversion entwickelt. Während sich Giovanni als der führende Kopf der Firma herauskristallisierte, wurde der 1923 20-jährige Tonino als Fahrer der hauseigenen Rennmaschine auserkoren. Trotz einiger Erfolge gaben sich die Benellis nicht mit der Konsequenz dem Rennsport hin, der notwendig gewesen wäre. Einzig Tonino forderte, die Aktivitäten auszubauen.
Mit einem Nachteil von über 25 ccm Hubraum gegenüber der Konkurrenz in der 175-ccm-Klasse und auch sonst einiger konstruktiver Probleme, drohte der inzwischen erfolgreiche Jüngste für andere Marken zu fahren. Die das Sagen hatten, lenkten schließlich ein.
Erfolge im Rennsport
1927 war mit der Einführung der italienischen Motorradmeisterschaft der erste hochmoderne Prototyp mit 172-ccm-Viertaktmotor und obenliegender Nockenwelle fertig. Tonino gewann in jenem Jahr ein ums andere Mal und holte sich und dem Familienunternehmen den Titel. "Tonino volante", der fliegende Tonino, raste in der Folgezeit weiter in stets halsbrecherischer Manier von Sieg zu Sieg bis er 1932 einen schlimmen Unfall hatte und er zwei Wochen gegen den drohenden Tod kämpfte. Er gewann den Kampf, stieg aber nie mehr auf ein Rennmotorrad. Stattdessen lenkte und leitete er nach seiner Genesung die sportlichen Aktivitäten des Hauses.
Doch Benelli-Motorräder wurden vor allem in der 175-ccm-Klasse auch von anderen Fahrern erfolgreich pilotiert. So wurden Carlo Baschieri 1932 und Ivan Goor 1934 damit Europameister.
Einen weiteren Meilenstein setzte der Brite Edward "Ted" Mellors 1939 auf der Isle of Man, als er mit einer 250er-Benelli im Regen die übermächtige kompressoraufgeladene Konkurrenz besiegte und die "Lightweight-TT" gewann. Diesen Triumph erlebte Tonino nicht mehr mit. Er war zwei Jahre zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Als man sich auch in Pesaro mit Kompressormotoren beschäftigte, brach der Zweite Weltkrieg aus und unterband fast jegliches Zivilleben.
Nach dem Ende des Wahnsinns standen die Benelli-Brüder wieder vor dem Nichts, rappelten sich aber erneut auf.
Zunächst fand man mit dem Umbau zusammengeklaubter Militärmotorräder wieder Anschluss, bis man 1949 den Bedarf an schlichten und kostengünstigen Leichtkraftfahrzeugen erkannte und mit dem 98-ccm-Modell "Letizia" etwas zu bieten hatte. Ein Modell mit 125 ccm folgte zwei Jahre später.
Erster WM-Titel
Auch im Motorsport engagierte man sich recht bald wieder. Doch da aufgeladene Motoren in der ab 1949 ausgeschriebenen Straßenweltmeisterschaft verboten waren, griff man im Wesentlichen auf die Konstruktion des 250-ccm-Motors der 1930er-Jahre zurück. Doch der Doppelnockenwellenmotor war mit niedrig-oktanigem Benzin sehr anfällig, sodass sich Dario Ambrosini, der neue Star im Benelli-Lager, vorerst noch mit einem Laufsieg in Monza und dem Vize-WM-Titel hinter Bruno Ruffo auf Moto Guzzi begnügen musste.
Erst 1950 wurde die Benzinvorschrift seitens der FIM geändert und Dario Ambrosini brauste mit der nun 27 PS leistenden 250er-Benelli zum WM-Titel. Gleich beim Saisonauftakt auf der Isle of Man gelang dem Novize ein vielbeachteter Sieg, den er auch Dank des übergroßen Spezialtanks herausfahren konnte. Auch im schweizerischen Genf und in Monza hieß der Sieger Dario Ambrosini. Dazwischen wurde er zudem in Ulster Zweiter.
1951 waren dann die Moto Guzzi in der Viertelliterklasse zahlen- und leistungsmäßig überlegen, doch Dario Ambrosini siegte wieder beim ersten Rennen der Saison, diesmal in Bern. Auch nach Platz zwei auf der Isle of Man schien wieder alles möglich, doch bei der dritten Station kam der begnadete Italiener am 14. Juli im französischen Albi ums Leben. Benelli verabschiedete sich daraufhin vom Rennsport.
WM-Titel Nummer zwei
1958/1959 tauchte man dann erneut auf den Rennstrecken Europas auf, doch mit dem in der Entwicklung weitestgehend stehen gebliebenen Einzylinder-Motorrad hatten auch solche Fahrgenies wie Geoff Duke und Dickie Dale gegen die Zweizylinder-MV-Agsuta und Zweitakt-MZ keine Chance. Als Honda mit einer Vierzylinder auftauchte, wurden die Schwächen der Benelli noch augenscheinlicher. Nun orientierte sich auch Benelli um und entwickelte ein Motorrad mit luftgekühltem Vierzylinder-Reihenmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen, zwei V-förmig hängenden Ventilen pro Zylinder und Sechsganggetriebe, das bei 13.000 U/min 40 PS leistete.
Die ersten Siege fuhr damit Tarquinio Provini 1964 in Spanien sowie 1965 auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Monza ein, als er alle Konkurrenten, inklusive den Zweitplatzierten Heinz Rosner auf einer MZ, überrundete.
Aus der 250er entstand später eine 350er mit 58 PS bei 14.000 U/min sowie eine 500er (491 ccm) mit 75 PS bei 12.800 U/min. Während man in den großen Klassen gegen die übermächtige MV Agusta unter Giacomo Agostini kein Land sah, hatte man 1969 in der Viertelliterklasse ein fast unschlagbares Fahrerduo. Renzo Pasolini war am Saisonbeginn verletzt und der Australier Kelvin "Kel" Carruthers kam ins Team. Gleich beim vierten von elf Rennen kam die Wende. Kel Carruthers gewann auf der Isle of Man sowie danach in Ulster und in Opatija. Pasolini fuhr in Assen, auf dem Sachsenring und in Brünn als Sieger ins Ziel. Nach Streichresultaten hieß der Weltmeister am Jahresende Kel Carruthers. Für Renzo Pasolini reichte es immerhin noch zu Endrang vier, womit gleichzeitig die Markenweltmeisterschaft sicher gestellt wurde.
Ab 1970 reglementierte die FIM die Viertelliterklasse auf nur noch maximal zwei Zylinder. Da zudem auf Grund der japanischen Konkurrenz die Verkaufszahlen sanken, fiel es den neuen Besitzern, die in der Folgezeit mehrfach wechselten, nicht schwer, sich beim Rennsport stark einzuschränken.
Der 20. Mai 1973 ist noch ein besonderer Tag in der Benelli-Firmenhistorie. Walter Villas schnelle 250er-Benelli war es damals, die die Strecke von Monza mit Öl einsudelte. Im wenig später gestarteten 350er-Rennen verloren Renzo Pasolini und Jarno Saarinen ihr Leben.
Halbherziges Comeback in der Superbike-WM
Das letzte halbseidene motorsportliche Aufbegehren gab es Anfang des neuen Jahrtausends, als die Benelli "Tornado" mit 900-ccm-Dreizylindermotor in der Superbike-Weltmeisterschaft auftauchte. Allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. 2001 war man mit Peter Goddard als Benelli-Einzelkämpfer nur bei einem Teil der Rennen am Start. In zwölf Rennen fuhr der Australier nur drei Mal in die Punkteränge. Ein Jahr war man permanent mit von der Partie, wobei Peter Goddard neun Mal etwas Zählbares einfahren konnte. Sein bestes Ergebnis war ein elfter Platz in Assen. In der Gesamtwertung belegte er am Ende den 22. Rang. Anschließend zog sich Benelli aus der seriennahen Motorrad-WM zurück, sodass es leider wieder ruhig um Rennmotorräder mit dem einst markanten Sound geworden ist.
erschienen am 21.03.2021