Thun. Die Schweiz. Sie ist ein wahres Abenteuerland. Dort erlebt der berühmteste vogtländische Handballer derzeit ein besonders spannendes Kapitel seines ohnehin schon aufregenden Lebens. Benjamin Meschke aus Plauen ist mit seiner Claudia nach Thun gezogen. Im Berner Oberland richtet sich das beliebte Pärchen gerade häuslich ein. Mit einem großen Überseecontainer sind die Sachsen aus Westfalen angerückt. Zuletzt spielte Benny in Hamm. Die Eidgenossen empfingen die Deutschen im Sommer mit offenen Armen. Und bei Wacker Thun wurde für Benjamin Meschke etwas möglich, was in der Bundesrepublik nicht machbar gewesen wäre: "Ich gehe jeden Tag in Bern arbeiten. Mir gefällt es gut in der Bank. Ich befasse mich dort mit Geldanlagen. Auch im Handballverein kam ich sofort klar. Ich trainiere abends und an meinem freien Tag vormittags", berichtet Benny. Seine Claudia hat ebenfalls sofort Arbeit gefunden. Die pfiffige Volljuristin erteilte zunächst im Landratsamt in Sigmaringen Genehmigungen. Inzwischen ist die aus Bennewitz stammende Planerin in einem großen Ingenieurbüro in Bern tätig und an teils Großprojekten im Bereich Umwelt beteiligt.
Das Ziel des Vereins ist die Quali für den Europapokal
"Die Schweizer sind sehr fleißig!" Wenn Claudia das sagt, dann sieht sie unglaublich saubere Straßen und Gehwege in dieser kleinen Sportstadt Thun (40.000 Einwohner). In der sind auf engstem Raum die Wacker-Handballer (1. Liga) und die Fußballer vom FC Thun (2. Liga) zu Hause. Claudia ist keine klassische Spielerfrau. Die ehemalige Handballtorhüterin schaffte es einst immerhin bis zum HC Leipzig, bevor sie sich für ihre berufliche Laufbahn entschied. Ihre Fachkompetenz spürt man nicht nur auf der Tribüne. Sie ist auch ein Stück weit Lebenselixier für Benny, der nach zwölf Jahren Profihandball jetzt seine zweite Karriere vorbereitet. Beim Spieltagsbrunch am Vormittag erzählt "Big Ben" mit der Rückennummer 31 dem BLICK-Reporter: "Wir kämpfen heute Abend gegen Pfadi Winterthur. Wacker Thun hat einige neue Spieler und derzeit viele Verletzte. Das Ziel des Vereins ist aber trotzdem die Qualifikation für den Europapokal."
Mehr Mentalität gefordert
Benjamin Meschke - der Vogtländer, der einst beim SV 04 Oberlosa mit dem Handball begonnen hatte - gehörte hier auf Anhieb zu den Publikumslieblingen. Seine Autogrammkarte war fix vergriffen. Dieser riesige Teddybär passt mit seinen 1,96 Metern perfekt in die Alpenrepublik. Das wurde beim Spiel in der Lachenhalle deutlich. Denn der Kreisläufer kann eben auch anders. Die spanischen Schiedsrichter wissen das jetzt. "Aber die haben mich zum Glück nicht verstanden. Sonst wär' ich bestimmt vom Feld geflogen. In solch einem engen Spiel ist jeder Pfiff entscheidend. Und wenn du dann am Schluss vier knappe Entscheidungen gegen dich bekommst, ist das ungerecht." Dass auf der Gegenseite ein Spanier mit von der Partie war, erwähnt Benjamin nicht. Er ist Sportsmann. Stattdessen schimpfte Benny auch mit seinen eigenen Leuten und mit sich selbst: "Wir lagen mit vier Toren in Führung. Die Mentalität, diesen Vorsprung auszubauen, die müssen wir unbedingt reinbekommen in unser Team", fordert der 115-Kilo-Hüne.
"So eine Führung darf man nicht aus der Hand geben!"
Es kam wie es kommen musste: Neun Sekunden vor der Schlusssirene lag Thun gegen Winterthur mit 30:31 zurück. Doch Wacker hatte noch diesen einen Angriff. Und den versenkte der Gastgeber zum 31:31-Ausgleich. Während Publikum und Mannschaft ausgelassen jubelten, lehnte Benjamin Meschke seinen Kopf an den Torpfosten. "So eine Führung noch aus der Hand zu geben. Das darf uns nicht passieren. Wir müssen besser werden." Benjamin Meschke hat hier was vor. Der Weltenbummler studierte an der Universität in Leipzig Sportmanagement und hat auch einen BWL-Abschluss in der Tasche. Mit dem European Handball Manager als Zertifikatsstudiengang der Europäischen Handballförderation EHF meisterte der Vogtländer an der Sporthochschule Köln zudem auch eine der höchsten Hürden in seiner Sportart. Jetzt sammelt der Plauener im Schweizer Finanzwesen Berufserfahrung. Zur Arbeit fährt er übrigens mit einem Opel Grandland Hybrid aus dem Hause Exner (Oberfranken, Vogtland, Thüringen). Das Mehrmarken-Autohaus mit Hauptgeschäftsführer Jörg Neupert unterstützt den Breiten- und den Spitzensport seit vielen Jahren.
Wacker Thun ist ambitioniert
Die Schweizer sind fleißig. Handball ist hier noch eine Randsportart. Aber Wacker Thun ist ambitioniert. Mit seiner Art kommt Benjamin Meschke prima an bei den Einheimischen. Die Eidgenossen sind übrigens gemütlich, aber keinesfalls langsam oder rückständig! Im Gegenteil: Angefangen beim ÖPNV über die perfekte Abfallentsorgung inklusive Umweltbewusstsein bis hin zu einer besonders ausgeklügelten Binnennachfrage, die einen regionalen Wirtschaftskreislauf befeuert, der enorme Gehälter ermöglicht, sind die angeblich so lahmen Schweizer den Deutschen an einigen Stellen ziemlich überlegen. Es kann sein, dass so etwas nur in einem kleinen Land möglich ist. Es kann aber auch sein, dass es an den gelebten Werten der Schweizer liegt, die mit ihren konsequent durchgesetzten Regeln eine wirkliche Leistungsgesellschaft geschaffen haben. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die Schweiz viele Probleme zu lösen hat. Das Ziel von Wacker-Trainer Remo Badertscher ist es, mit Thun immer besser zu werden. Die Chemie zwischen dem Coach und seiner deutschen Führungskraft scheint zu stimmen. Mal sehen, was da noch kommt... Wacker Thun: Schweizer Meister 2013, 2018 | Schweizer Cupsieger 2002, 2006, 2012, 2013, 2017, 2019 | EHF Challenge Cup 2005.
erschienen am 14.11.2023