Hof. Im Rahmen von "100 Jahre Handball" hat der SV 04 Oberlosa eine 100seitige Chronik präsentiert. Drin stehen einige Unglaublichkeiten. Das finden zumindest die Autoren. Unter anderem fand Sportreporter Karsten Repert eine phantastische Ost-West-Story. Sie sorgte für großes Aufsehen.
1988: Zwölf Plauener durften in den Westen
Das ist wirklich eine Sensation! Der heutige SV 04 Plauen-Oberlosa e.V. hat es 1988 trotz eisernem Vorhang gemeinsam mit dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß auf die Titelseite der Frankenpost geschafft! In der Wochenendausgabe vom 23./24. April 1988 kündigen die oberfränkischen Pressekollegen direkt neben dem Aufmacher einen Innenseitenbeitrag "Handballer aus Plauen zu Gast in Hof" an. Wie bitte? Zu DDR-Zeiten hat Oberlosa in Hof gespielt? Und kaum einer in der Vogtlandmetropole hat es erfahren? "Stimmt", sagt Jörg Scholz. "Wir waren 1988 im Westen und haben mit 25:21 gewonnen", berichtet Jörg, der zu den zwölf glücklichen Spielern gehörte, die dabei sein durften. Trainer Siegfried Wolf hatte diesbezüglich kein Glück. Dem Plauener Übungsleiter wurde die Ausreise untersagt und so fuhr die BSG TSI Plauen-Oberlosa mit dem Spieler Ulrich Dressel als Ersatztrainer "rüber".
Seit 1936 gibt es Handballspiele zwischen Hof und Plauen
Die Historiker begründen die für damalige Verhältnisse spektakuläre Auswärtsfahrt so: "Die guten Traditionen, die bereits seit 1936 bestehen, wurden kurz vor der Deutschen Wiedervereinigung neu belebt. Am 23. April 1988 reiste die Bezirksligamannschaft TSI Plauen-Oberlosa im Rahmen der Städtepartnerschaft Hof-Plauen zu einem Freundschaftsvergleich in die Partnerstadt. Vor über 250 Zuschauern siegten die Oberlosaer mit 25:21." So lautet die Mitteilung der damaligen Betriebssportgemeinschaft.
Aber es steckte mehr dahinter...
Doch hinter diesem Spiel steckte deutlich mehr. Plauen - die Stadt beklagte wegen der Unzufriedenheit in der Bevölkerung den statistisch gesehen höchsten Wert an Ausreiseanträgen in der gesamten DDR - sollte als Exempel dienen. Die DDR-Bonzen wollten glänzen und in sportlichem Rahmen den "kleinen Grenzverkehr" erlauben. "Ein irres Ding. Wir durften urplötzlich in den Westen fahren, um dort Handball zu spielen. Die Bezirksleitung hat uns einen nagelneuen Robur aus Karl-Marx-Stadt bereitgestellt", erinnert sich Bernd Märtner. Weil der Robur LO 3000 nur 19 Plätze zur Verfügung hatte, konnten lediglich 17 Oberlosaer, eine Delegationsleiterin und der Busfahrer die Reise antreten.
Jörg Scholz weiß "noch ganz genau wie aufgeregt wir alle waren. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Ein absoluter Kulturschock. Wir haben gewonnen und waren stolz wie Bolle." Auch im Arbeiter- und Bauernstaat war man mit der Leistung der Oberlosaer Handballer sehr zufrieden. Am 1. Mai - zum großen Kampftag der Deutschen Demokratischen Republik - begrüßten die Sprecher zur Maidemonstration die vorbeiziehenden Sportler mit den Worten: "Sie, liebe Männer von der BSG TSI haben unser Land beim Klassenfeind würdig vertreten und mit Ihrem Sieg unserer Republik alle Ehre gemacht!" (Sinngemäß überliefert).
Im Osten wollte keiner drüber reden...
Während im Westen des heute wieder vereinten Vogtlandes mindestens fünf Zeitungsbeiträge veröffentlicht wurden, war dem Osten dieses Ereignis nur 22 Druckzeilen wert. Erst heute, 34 Jahre danach, werden dieses legendäre Spiel und vor allem die anschließende Feierlichkeit auch in Plauen ausführlich publik. "Als wir mit unserem Robur durch Hof fuhren, staunten die Oberfranken Bauklötzer. Solch ein Fahrzeug hatten sie noch nie gesehen. Die geringe PS-Zahl hatte zur Folge, dass wir mit dieser Kiste beim Anfahren an jeder Kreuzung überholt wurden und uns die Autofahrer in unserer lustigen Schüssel amüsiert zugewinkt haben", schildert Ulrich Dressel das Gelächter im Bus. Ganz Hof hatte mitbekommen, dass da irgendjemand von "drüben aus dem Osten" zu Gast sein muss. Die Plauener waren vom Westen begeistert.
Bis 1.30 Uhr wurde gefeiert
Unvergessen bleibt die anschließende Feier. Die sollte eigentlich auf Geheiß vom Rat des Kreises um 23 Uhr enden. Doch die Delegationsleiterin drückte ein riesengroßes Auge zu. "Wir haben unseren Ulli Dressel beauftragt, mit unserer Delegationsleiterin zu sprechen, weil wir länger feiern wollten", erinnert sich Jörg Scholz. Der Plan ging auf. "Ulli platzierte die Hofer Offiziellen stets so geschickt, dass Beate ständig mit anstoßen musste. Der Höflichkeit wegen hat sie das natürlich auch gemacht", lachte Jörg Scholz. Und so kam es wie es kommen musste. Irgendwann war die Tanzrunde eröffnet und es gab kein Halten mehr. Ulli Dressel erinnert sich noch an ein weiteres Detail: "Wir haben in Hof zum ersten Mal in unserem Leben Schnapsflaschen gesehen, die an die Wand montiert waren und auf dem Kopf standen." Überliefert ist, dass es sich unter anderem um Jacobi-Weinbrand handelte, der im Osten ein kleines Vermögen kostete. Bis 1.30 Uhr wurde gefeiert. Erst jetzt ordnete die Delegationsleiterin den geordneten Rückzug an.
Die Chronik "100 Jahre Handball" hat der SV 04 Oberlosa herausgegeben. Rund 400 Bilder sind drin. E-Mailkontakt: [email protected]