Am heutigen Samstagabend jährt sich der Mauerfall zum 35ten Mal. Die deutsch-deutsche Teilung und damit 40 Jahre DDR - sie sind in Markt Stammbach auf dem Sportplatz sichtbar. Der Vogtland-Landrat Thomas Hennig hat aus dem Fichtelgebirge eine Geschichte mitgebracht, die er zunächst selbst gar nicht glauben wollte. "Es soll in Stammbach bei Münchberg eines unserer ehemaligen Grenzerhäuschen noch in Betrieb sein? Wie soll so eine Hütte von den Grenztruppen der DDR in den Westen nach Oberfranken gelangt sein?" Der Landrat fuhr mit vielen Fragen und mit seiner Familie ins Fichtelgebirge. "Und tatsächlich, in Stammbach standen wahrhaftig gleich zwei dieser Passkontrollstellen. Beide sind noch in Betrieb und werden genutzt", sah sich Thomas Hennig bestätigt. Die Geschichte ist ziemlich verrückt.

Ein Plauener sitzt im Grenzerhaus und macht die Durchsagen

Zu Ostzeiten hieß es hier: "Die Papiere bitte!" Landrat Thomas Hennig hatte mal so nebenbei den Tipp von einem Plauener bekommen. BLICK-Reporter Karsten Repert hat ausgerechnet nach Stammbach geheiratet und ist dort beim örtlichen Fußballverein seit fünf Jahren der "Stadionsprecher", wie die Stammbacher ihn nennen. "Dass ich als Ossi im Westen in einem DDR-Grenzabfertigungshaus zum Einsatz komme, das ist völlig schräg" lacht der gebürtige Plauener.

Nur wenige Stammbacher haben davon gewusst...

Der Landrat-Besuch verursachte in Oberfranken Wirbel. Frankenpost und das Stammbacher Marktblatt berichteten, auch bei Facebook erfuhren die Leser erstmals überhaupt von dieser abstrusen Geschichte. Denn das, was da vor 34 Jahren passierte, wusste kaum jemand. Es war eine Blitzaktion am helllichten Tag... Karsten Repert erzählt: "Keiner von den heutigen Kickern um FC-Rekordspieler Martin Endreß wusste, welch spektakuläre Historie sich in diesen beiden unscheinbaren Häusern verbirgt. Der VFC Plauen, der VfB Auerbach, der 1. FC Wacker Plauen: Sie alle haben hier gespielt und keiner hat es geahnt."

Der Zufall spielte mit...

Rückblick: Der FC-Vereinsvorsitzende David Benker hatte dem neuen Sportplatzsprecher eine dieser Hütten als Sprecherunterstand zugewiesen. In der Frankenpost erzählt der 54-Jährige: "Ich wurde sofort stutzig. Denn ich bin im Osten aufgewachsen. Und dort wurde wegen der Rohstoffengpässe ganz viel Aluminium verbaut. Das war billig. Wir hatten ja nüscht. Als ich dieses ursprüngliche Kassiererhaus betrat, fühlte ich mir irgendwie sofort zu Hause. Noch wusste ich aber nicht, weshalb." Dann spielte der Zufall mit.

Jürgen Wiesel kannte die unfassbare Story...

Unfassbar: Ausgerechnet dieser FC Stammbach hat den Fall der Mauer vor 35 Jahren ausgenutzt und von der Ost-West-Autobahn zwei dieser DDR-Aluhütten nach Oberfranken geholt. Vielleicht sind es bundesweit die letzten beiden Grenzabfertigungshäuschen, die noch "in Betrieb" sind. Wahrscheinlich ist das so. Es gibt weder eine Urkunde vom Ministerium, noch einen Kaufvertrag. Die Stammbacher sind einfach an die Grenze gefahren und haben diese Buden abgeholt. Kostenfrei. Der damalige 2. Vorstand Jürgen Wiesel ließ die Bombe platzen. Jürgen kannte die Geschichte aus den turbulenten Frühjahrstagen von 1990.

Nach 34 Jahren...

Es war in diesem Sommer. Nach 34 Jahren fragte Jürgen Wiesel den Sportplatzsprecher: "Weißt du eigentlich, dass du in einem Grenzpostenhaus stehst? Früher wurde da scharf geschossen", lachte Jürgen und ging. Wie bitte? Soll das wirklich wahr sein? Wenige Augenblicke vor dem Anstoß eines Kreisklassenspieles erfuhr Karsten Repert von diesem Kuriosum. Für den Plauener war das eine Sensation. Karsten Repert: "Und ausgerechnet an diesem Tag ist auch noch Wilfried Fischer auf unserem Fußballplatz. Der heute 78-Jährige war damals der Fahrer. Er erzählte mir, dass seinerzeit der Vereinsvorsitzende Hanns Sturm und Spielleiter Gerhard Stricker zusammen mit Volker Böttcher, Eduard Tögel und Helmut Wörth die verrückte Idee umsetzten."

Grenzkontrollhäuser einfach aus dem Osten geholt

Und so lief es ab: Die Stammbacher sind 1990 einfach mit dem Unimog nach Blintendorf an die Grenze gefahren. Dort standen die beiden verlassenen Grenzabfertigungshäuschen der DDR-Grenztruppen. Keiner brauchte die noch. Vier Monate zuvor war die Mauer gefallen. Kontrollen gab es nicht mehr. Die pfiffigen Stammbacher hatten mit der DDR-Volkspolizei Kontakt aufgenommen. Alles ging blitzschnell. "Wir haben die erste Hütte aufgeladen. Dann ist der Volkspolizist mit so einem schwarz-weißen Verkehrsstab auf die Fahrbahn gerannt und hat einfach die Autobahn gesperrt. Denn wir mussten ja auch noch wenden", erzählt Wilfried Fischer und lacht sich fast tot vor Freude, weil diese verrückte Geschichte ja über 34 Jahre nicht besprochen wurde.

Sie sind zweimal in den Osten gefahren

Die Stammbacher mussten sogar zweimal fahren. Denn die zweite Hütte passte nicht drauf auf den Unimog, der übrigens der Gemeinde gehörte. Unglaublich: Wieder regelte die Volkspolizei der DDR alles. Keiner fragte nach Genehmigungen. Das hatte was von Wildwest. Und beim Aufladen zeigte einer der DDR-Offiziere auf zwei parallel gegenüberliegende Löcher in den Fensterscheiben. "Da gab es einen Schuss", soll der Grenzer gesagt haben. Diese Legende hat bis heute überlebt. Prüfen kann das keiner mehr. Die kaputten Scheiben hat der Stammbacher Glaser längst ausgetauscht.

Fast hätte es Unfälle gegeben

Während des Transportes kam es übrigens mehrfach immer wieder zu Beinahe-Kollisionen auf der Autobahn. Denn im Westen kannte man solche Grenzabfertigungshäuschen nur aus der Tagesschau. Sie standen in der Todeszone. 260 Menschen verloren an dieser deutsch-deutschen Grenze ihr Leben. "Heute kann man in Stammbach zwei DDR-Grenzkontrollhäuser anschauen und gerne auch betreten. Zwei Leute passen bequem rein", schmunzelt Karsten Repert. Am 9. November, heute vor 35 Jahren fiel die Mauer und Deutschland wurde anschließend wieder eins.