In langjährigen Beziehungen kommen viele Paare irgendwann an diesen Punkt: Nichts ist richtig schlecht, aber die Luft ist raus. Man liebt den anderen, aber hat sich keine wahnsinnig spannenden Dinge mehr zu sagen, erlebt nichts Aufregendes mehr.
Auch die Leidenschaft ist irgendwie raus. Sex ist selten geworden. Wenn er stattfindet, fühlt er sich an wie Pflichtprogramm.
Manche Partner sagen sich dann: Da kann man nichts machen, so ist es eben irgendwann. Doch Beziehungsforscherinnen und Paartherapeuten widersprechen: Man kann sehr wohl etwas tun, um die Beziehung wieder neu zu beleben. Oft reichen schon Kleinigkeiten.
Wie verändern sich Beziehungen mit der Zeit?
Beziehungen verändern sich, diese Erfahrung macht jedes Paar. Und das ist auch völlig normal. Alles andere wäre unnatürlich.
Der Paartherapeut Eric Hegmann aus Hamburg skizziert, welche Phasen der Beziehung zwei Menschen üblicherweise durchlaufen:
- Die symbiotische Phase: Man ist verliebt und will möglichst viel Zeit miteinander verbringen. Man fühlt sich unzertrennlich und möchte förmlich mit dem anderen verschmelzen. In diesen ersten ein oder zwei Jahren sind beide Partner stark aufeinander fokussiert.
- Differenzierung: Ein gesunder Prozess der Abgrenzung kommt in Gang. Beide drücken ihre Wünsche, Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte gegenüber dem anderen aus. Und diese können unterschiedlich sein. Das ist völlig in Ordnung. Beide tolerieren, dass der Partner ein separates und eigenständiges Ich besitzt, sagt Hegmann.
- Selbstbestimmung: Jeder Partner wendet sich verstärkt anderen Dingen als der Beziehung zu. Beide konzentrieren sich etwa auf ihre Arbeit und Hobbys. "In dieser Phase entwickelt sich Selbstwertgefühl unabhängig davon, wie es um die Beziehung bestellt ist", erklärt Hegmann. Doch man kehrt immer wieder zueinander zurück, als Quelle des Trostes, der Unterstützung. Und beginnt damit, etwas gemeinsam zu unternehmen oder zu zweit etwas zu schaffen.
Nach diesen Phasen entsteht laut Hegmann eine Verbindung, die sich im positiven Sinne als wechselseitige Abhängigkeit bezeichnen lässt. Man ist aufeinander angewiesen und schöpft daraus Energie.
Warum verschwinden Gefühle mit der Zeit?
Bei manchen passiert es früher, bei anderen später: Die große Phase der Verliebtheit geht zu Ende. Das heißt aber nicht, dass die Gefühle füreinander verschwinden. Sie ändern sich bloß.
Die US-amerikanische Anthropologin Helen Fisher hat die Natur der romantischen Liebe in verschiedenen Studien erforscht. Sie hat per Hirnscanner untersucht, was dabei in unseren Köpfen passiert.
Ihr zufolge lässt sich das, was wir mit Liebe in Verbindung bringen, in drei verschiedene evolutionäre Antriebe zurückführen.
Diese werden durch unterschiedliche Botenstoffe ausgelöst und aktivieren jeweils andere Bereiche des Gehirns.
- Lust: Sexuelle Begierde wird sowohl bei Männern als auch bei Frauen vor allem durch Testosteron ausgelöst.
- Verliebtheit: Das starke romantische Verlangen wird durch Dopamin ausgelöst. Auch Serotonin und Norephedrin sind beteiligt.
- Verbundenheit: Hier treten Oxytocin und Vasopressin auf den Plan. Die Gefühle füreinander werden ruhiger und tiefer.
Dieser Cocktail im Gehirn sorgt dafür, dass die Liebe uns oft so kompliziert erscheint. Jeder der drei Triebe weckt unterschiedliche Verhaltensweisen, Hoffnungen und Träume in uns, erklärt Fisher in ihrem Buch "Warum wir lieben". Und sie beeinflussen einander.
Wenn Menschen erklären, dass ihre Gefühle für den Partner nachlassen, dann meinen sie häufig den anfänglichen Dopaminrausch. An dessen Stelle tritt vor allem das Gefühl, sicher verbunden zu sein.
Das Feuer der Liebe ist nicht aus, es glimmt angenehm vor sich hin.
Paartherapeut Hegmann beobachtet jedoch oft eine "Disneyfizierung der Liebe": Viele Menschen glauben, dass die Verliebtheit ewig anhalten muss. Sie sind überzeugt, dass die Beziehung ohne große romantische Gefühle in Schieflage gerät. "Das Gegenteil ist der Fall."
Nicht umsonst heißt es: Liebe ist irgendwann auch eine Entscheidung.
Romantiker würden es so sagen: Man kann das Feuer der Liebe erlöschen lassen oder es anschüren, damit es wieder stärker lodert.
Helen Fisher formuliert es so: "Wir können unseren Drang zu lieben kontrollieren." Und zwar nicht nur das Gefühl der Verbundenheit, sondern auch das romantische Verlangen nach dem anderen.
Prof. Beate Ditzen vom Institut für Medizinische Psychologie an der Uni Heidelberg bestätigt das: "Unsere Hormone lassen sich stark durch unser Verhalten beeinflussen", sagt die Forscherin, die sich mit den neurobiologischen Mechanismen von Paarbindung beschäftigt.
Was genau hilft Paaren? Hier kommen Hinweise und Ratschläge.
Nostalgie hilft: Was hat uns früher gutgetan?
Vielleicht hat das Paar es während des gemeinsamen Studiums besonders genossen, Badminton zu spielen. Später blieb dafür selten Zeit. Oder man ist zusammen an die See gefahren und stundenlang am Strand entlang spaziert. Wie wäre es, das wieder zu tun?
Paaren kann es helfen, sich auf Vergangenes zu besinnen, sagt die Diplom-Psychologin und Paarberaterin Sarah Willeke aus Siegen. Und das wiederzubeleben, was sie einmal verbunden hat.
Manchmal kann es schon reichen, gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen und sich an unbeschwerte Zeiten zu erinnern.
Für mehr Verbundenheit: Sich gemeinsam Ziele setzen
Statt von Woche zu Woche zu leben, sollten sich Paare wieder gemeinsam auf die Zukunft ausrichten.
"Gemeinsame Ziele halten eine Beziehung am Leben", sagt Sarah Willeke. "Das muss nicht so weit gehen, dass ständig irgendwelche Teilziele gemeinsam evaluiert werden."
Es müssen auch keine großen Ziele sein, wie ein gemeinsamer Lebensabend im Ausland. Es reiche schon, den nächsten Urlaub gemeinsam zu planen, sagt Willeke. "Viele Paare machen das ganz natürlich. Es wird aber dann wichtig, wenn man eine eingeschlafene Beziehung wieder neu beleben möchte."
Über Emotionen reden: Was hat das mit dir gemacht?
Manche Paare tauschen sich nur noch über Alltagsfragen aus. Wer geht einkaufen? Wer bringt die Kinder zum Sport? Praktische Dinge zu besprechen, die beide betreffen, muss natürlich sein.
Psychologin Willeke rät jedoch auch dazu, den anderen wieder mehr am eigenen Erleben teilhaben zu lassen.
Ihr Tipp: Legen Sie auf dem Handy eine Liste an mit Dingen, die Ihnen tagsüber aufgefallen sind, die Sie erfreut oder auch geärgert haben. "Und dann holen Sie abends die Liste raus und teilen diese alleine erlebten Alltagssituationen mit dem Partner."
Das Ergebnis: Man redet plötzlich wieder über Emotionen.
Darüber landet man irgendwann vielleicht bei der Frage: Was wünsche ich mir eigentlich - für mich selbst und für uns als Paar?
Der positive Blick: Was zieht mich am anderen an?
Um körperliche Anziehung wieder zu wecken, hilft es, sich auf positive Eigenschaften des anderen zu fokussieren und dazu eine Rückmeldung zu geben. Besonders dazu, was man attraktiv findet.
"Das kann sehr positiv wirken. Das wissen wir aus verschiedenen Studien", sagt Beate Ditzen. Sie fragt Paare dann:
- Was empfinden Sie an Ihrem Partner als besonders weiblich bzw. männlich? Was empfinden Sie als attraktiv?
- Was denken Sie, findet der andere bei Ihnen attraktiv?
- Gibt es im Alltag Momente, in denen Sie sich selbst besonders attraktiv und erotisch wahrnehmen?
"Das müssen keine körperlichen Merkmale sein", sagt Ditzen. "Das können zum Beispiel auch Witz und Humor, die Stimme oder der Intellekt sein."
Weg von der Couch: den Körper ausführen
Bei vielen Paaren reicht es irgendwann nur noch für den gemeinsamen Fernsehabend auf dem Sofa. Das fühlt sich vertraut und bequem an. Nur entsteht so selten wieder gegenseitige Anziehung.
Beate Ditzen rät dazu, sich stattdessen zurechtzumachen, sich etwas Schönes anzuziehen, das Haus zu verlassen und etwas zu unternehmen.
Und was? Das ist nicht so wichtig. "Alles, wobei man den Körper aus den eigenen vier Wänden ausführt - und eine Situation schafft, die von beiden als besonders wahrgenommen wird."
Manche Paare nennen das ihre Date Night. Oft ist auch von Quality Time die Rede. Auch wenn es zunächst vielleicht unromantisch wirkt, sich für die Romantik zu verabreden - es wirkt.
"Die Erfahrung, dass so etwas guttut, führt dazu, dass es relativ schneller wieder locker wird", sagt Sarah Willeke. "Beim dritten Mal kommt es dem Paar dann nicht mehr künstlich vor."
Sich näher kommen durch gemeinsame Aktivitäten
Viele wünschen sich wieder mehr Körperkontakt und Intimität mit dem Partner. Das muss nicht immer gleich Sex sein. Man kann sich auch erst einmal auf andere Weise näherkommen.
"Durchgängig positive Effekte haben gemeinsame Kurse und Veranstaltungen, die den Körper einbeziehen", berichtet Ditzen. "Dafür müssen Sie nicht in den Swingerclub, da reicht auch ein Tanzkurs." Es müsse auch kein Sport sein, auch ein gemeinsamer Theaterbesuch wirke positiv.
Sehr positiv über alle Altersgruppen hinweg wirke auch körperliche Anstrengung gemeinsam als Paar, weiß die Forscherin. Also einfache Dinge wie Wandern, Schwimmen, Rudern oder Segeln.
Auch Anthropologin Fisher rät dazu, gemeinsam als Paar neue, aufregende Dinge zu tun. Denn Abwechslung stimuliert das Lustzentrum im Gehirn, der Körper schüttet wieder mehr Dopamin aus. Das könne romantische Gefühle verstärken, schreibt die Autorin.
Sex nicht überbewerten
Eines vorweg: Wenig oder kein Sex ist solange kein Problem in einer Beziehung, wie beide sich damit wohlfühlen.
Trotzdem bleibt Sex auch in langjährigen Beziehungen meist ein wichtiges Thema. Dabei sollte es nicht um Performance gehen, sondern um Nähe und Intimität, schreibt der Klinische Sexualpsychologe Christoph J. Ahlers. Und die entstehe nur, wenn eigentlich nichts passieren müsse - zum Beispiel ein Orgasmus.
Es hilft also, die Erwartungen herunterzuschrauben.
Ahlers rät dazu, Sex als etwas zu sehen, was man einfach regelmäßig miteinander tut, wie gemeinsames Mittagessen. Und ohne die nötige Vorbedingung, unbedingt besonders scharf aufeinander zu sein. So kommt das Interesse daran vielleicht ganz von selbst zurück.
Auch hier zeigt sich laut Helen Fisher eine Wechselwirkung: Die reine Tatsache, dass man miteinander schläft, kann wieder alte romantische Gefühle verstärken. Der Grund: Die Ausschüttung von Testosteron beim Sex begünstigt, dass auch Dopamin produziert wird.
Wann eine offene Beziehung helfen kann
Nicht jeder Mensch möchte durch Sex ausschließlich exklusive Verbundenheit ausdrücken - auch nicht in langjährigen Beziehungen. Manchen geht es um die Lust und neue Erfahrungen.
Dann stellen sich Paare vielleicht die Frage, ob eine offene Beziehung die Partnerschaft neu beleben kann.
Wenig überraschend gibt es darauf keine pauschale Antwort. "Für manche Paare ja, für manche nein", sagt Eric Hegmann.
Während Beziehungen früher oft heimlich und einseitig geöffnet wurden, wollen Paare heute auf Augenhöhe über ihre Bedürfnisse verhandeln, beobachtet der Paartherapeut. In der Theorie klingt das sehr erwachsen. Doch die Umsetzung ist oft schwierig.
Nach Ansicht von Sarah Willeke sollte eine offene Beziehung gar nicht erst dazu dienen, eine angeknackste Partnerschaft zu retten. Sondern eine Möglichkeit bieten, neue Erfahrungen zu machen.
"Das ist etwas für Menschen, die sich sehr sicher gebunden fühlen in der Beziehung." Doch häufig geht ein Partner diesen Schritt nur mit, weil er Angst hat, die andere oder den anderen zu verlieren.
"Wichtig sind Regeln, damit keine Verletzungen entstehen", sagt Willeke. Vertrauen in die Partnerschaft sei essenziell. Emotionale und körperliche Nähe müsse man trennen können.
Das kann klappen. Aber: "Es ist sehr viel schwieriger, die Beziehung zu öffnen, nachdem sie exklusiv war, als von vorneherein offen zu starten", sagt Paarforscherin Beate Ditzen.