Der Begriff Kinderkrankheiten ist ein wenig irreführend. Man könnte denken: Betrifft nur Kinder, Erwachsene sind fein raus. Doch das ist ein Trugschluss.
Scharlach, Ringelröteln, Windpocken, Hand-Mund-Fuß-Krankheit und Co. treffen zwar vorwiegend Kinder. Sie können aber auch Mütter und Väter, Omas und Opas, Onkel und Tanten erwischen. Die fühlen sich dann oft sogar noch viel kränker als die Kleinen.
Medizinerinnen und Mediziner haben dafür einen möglichen Grund ausgemacht: Das Immunsystem von Erwachsenen ist schon viel besser trainiert und reagiert deshalb heftiger auf Infektionen.
Kinderkram sind Kinderkrankheiten jedenfalls nicht. Sie können teils gefährliche Folgen haben. Die wichtigsten Fakten:
Welche Kinderkrankheiten kommen bei Erwachsenen häufig vor?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Was schon daran liegt, dass der Begriff Kinderkrankheit selbst nicht klar definiert ist.
- Masern, Scharlach, Röteln, Ringelröteln, Drei-Tage-Fieber sowie Mumps und Windpocken zählen dazu.
- Diphtherie, Polio und Keuchhusten werden meist mit Kindern in Verbindung gebracht, ebenso Rotaviren und die Hand-Mund-Fuß-Krankheit. Doch bei diesen fünf Krankheiten passt der Begriff aus verschiedenen Gründen streng genommen nicht.
Einen Eindruck zur Verbreitung von Kinderkrankheiten liefert die Datenbank des Robert Koch-Instituts (RKI).
Dort lassen sich zu den in Deutschland meldepflichtigen Krankheiten Fallzahlen abrufen - was einen Großteil der genannten umfasst. Zu Ringelröteln, Drei-Tage-Fieber und Hand-Mund-Fuß gibt es keine Daten.
Ein Blick auf das Jahr 2023 zeigt:
- Windpocken treten bei Kindern wesentlich häufiger auf: In der Altersgruppe bis 14 Jahre wurden 14 662 Fälle gemeldet (82 Prozent). Für Jugendliche ab 15 Jahre und Erwachsene waren es 3153 Fälle (16 Prozent).
- Keuchhusten war zwar mit 5095 Fällen mehr in der Altersgruppe bis 14 Jahre verbreitet (57 Prozent). Doch gab es mit 3872 Fällen auch einen beachtlichen Anteil an Über-14-Jährigen (43 Prozent).
- Mumps kam bei den Kindern dagegen seltener vor als bei Menschen ab 15 Jahren (175 zu 423 Fälle). Das Gleiche galt für Masern (62 zu 77 Fälle).
Fazit: Vermeintliche Kinderkrankheiten treffen eben nicht nur Kinder. Teils kommen sie bei Erwachsenen sogar häufiger vor.
Welche Kinderkrankheiten sind für Erwachsene gefährlich?
- Masern sind am gefährlichsten, weil sie auch tödlich verlaufen können, wie Hausarzt Bernhard Riedl sagt. Er ist Lehrkoordinator für Allgemeinmedizin an der TU München.
- Auch Windpocken können gerade bei Erwachsenen schwerere Verläufe hervorrufen. "Die Menschen sind oft drei, vier Wochen krank und können zum Beispiel schwere Lungenentzündungen bekommen", so Riedl.
- Für Schwangere zählen Windpocken und Röteln zu Krankheiten, vor denen sie sich schützen sollten. "Da das ungeborene Kind davon schwer krank werden kann", sagt Riedl.
- Das gilt auch für Ringelröteln, die mit Röteln bis auf den Namen nichts gemeinsam haben. Gegen sie gibt es - im Gegensatz zu Röteln - keinen Impfschutz.
Gut zu wissen: Ob man die Infektion schon einmal durchgemacht hat und ausreichend Antikörper in sich trägt, lässt sich über einen Bluttest ermitteln. Wer keinen Immunschutz hat, sollte Kindergärten und Schulen meiden, sofern dort Ringelröteln-Fälle aufgetreten sind.
- Mumps wiederum laufe im Kindesalter normalerweise recht unproblematisch ab, sagt der Fachmann. Bei Männern, also Erwachsenen, kann die Infektion allerdings Hodenentzündungen hervorrufen. Das führt schlimmstenfalls zur Unfruchtbarkeit.
Krankheit als Kind gehabt: Bin ich als Erwachsener immun?
- Bei Mumps, Masern und Röteln kann man davon ausgehen, dass man sein Leben lang immun ist, so Allgemeinmediziner Riedl.
- Gleiches gilt für Windpocken. Den Erreger aus der Familie der Herpesviren trägt man aber sein Leben lang in sich. Das gilt auch für Menschen, die gegen Windpocken geimpft wurden.
Gut zu wissen: Stress etwa kann dazu beitragen, dass die im Körper sitzenden Varizella-Zoster-Viren im Erwachsenenalter reaktiviert werden und Gürtelrose auslösen. Auch dagegen gibt es eine Impfung, die allen Menschen ab 60 Jahren von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen wird. Bei einer Immunschwäche oder bestimmten Grunderkrankungen wie Diabetes gilt die Empfehlung zur Gürtelrose-Impfung schon ab 50 Jahren.
- Scharlach zählt wiederum zu den Kinderkrankheiten, die man immer wieder bekommen kann. Die von A-Streptokokken-Bakterien verursachte Infektion geht häufig mit einem Ausschlag und der typisch geröteten "Himbeerzunge" einher.
- Bei Keuchhusten, der meist vom Bakterium Bordetella pertussis ausgelöst wird, ist die Immunität ebenfalls nicht von Dauer.
- Gleiches gilt auch für die von Viren ausgelöste Hand-Mund-Fuß-Krankheit. Wichtig zu wissen: Laut RKI verläuft sie gerade bei Erwachsenen häufig asymptomatisch.
Wie kann man sich vor Kinderkrankheiten im Erwachsenenalter schützen?
Gegen viele der genannten Infektionen gibt es Impfungen.
Tipp: Wer sich unsicher ist, wie es um seinen Impfstatus bestellt ist, sollte seinen Impfausweis zum nächsten Termin bei der Hausärztin oder dem Hausarzt mitnehmen und das prüfen lassen.
Beispiel 1: Für Mumps, Masern und Röteln empfiehlt die Stiko allen nach 1970 geborenen Erwachsenen, die in ihrer Kindheit keine oder nur eine Impfung erhalten haben oder ihren Impfstatus nicht kennen, sich noch einmal eine Dosis des Kombinationsimpfstoffs geben zu lassen.
Für medizinisches Personal oder in der Pflege Tätige, auf die diese Kriterien zutreffen, wird eine zweimalige Impfung empfohlen.
Beispiel 2: Wer bei Windpocken keinen Eintrag im Impfpass findet, sollte zunächst seine Eltern fragen, ob man die Infektion durchgemacht hat. "An den Streuselkuchen auf der Haut können die sich oft erinnern", sagt Hausarzt Riedl. Alternativ bringt ein Bluttest Klarheit. Dann kann in den Impfpass hineingeschrieben werden, dass man die Erkrankung durchgemacht hat.
Anders als bei Kindern und Jugendlichen wird die Windpocken-Impfung für Erwachsene, die nicht bereits geimpft sind und bisher keine Infektion durchgemacht haben, nicht generell empfohlen.
Von dieser Empfehlungen gibt es Ausnahmen für folgende Personen:
- Frauen mit Kinderwunsch
- Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten
- Tätige im Gesundheitsdienst
- Menschen mit starker Neurodermitis
Hilfreich ist ein Blick in den Impfkalender der Stiko. Dieser empfiehlt auch Erwachsenen eine Impfung gegen Polio, Diphtherie und Keuchhusten (Pertussis) - sofern Impfserien noch unvollständig sind oder man Auffrischungen braucht.
So ist etwa für Diphtherie alle zehn Jahre eine Auffrischung fällig. Für Keuchhusten wird sie einmalig im Erwachsenenalter empfohlen.
Sind Erwachsene nachlässiger beim Impfen?
Bei Kindern werden die empfohlenen Impfserien oft noch sehr gut eingehalten - auch dank regelmäßiger U-Untersuchungen.
Anders bei Erwachsenen: Sie handhaben Auffrischungen schlampiger, heißt es im "Impfbuch für alle", einem Ratgeberheft des RKI und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Zwei Beispiele:
- Ein Viertel der über 18-Jährigen in Deutschland ist demnach nicht mehr ausreichend gegen Tetanus geimpft.
- Nur noch ein Zehntel ist immun gegen Keuchhusten.
Allgemeinmediziner Riedl sagt: "Man sollte immer versuchen, die Leute zu Impfungen zu bringen - das ist die wichtigste Botschaft."
Drei wichtige Gründe lassen sich fürs Impfen nennen:
- Häufig sind die vermeintlichen Kinderkrankheiten auch für Erwachsene gefährlich oder mindestens unangenehm.
- Mit einem besseren eigenen Immunschutz schützen Sie indirekt auch andere Menschen, die womöglich gefährdeter sind für Ansteckungen und schwere Krankheitsfolgen.
- Krankheiten wie Masern, Diphtherie oder Polio konnten durch die Impfungen massiv zurückgedrängt werden. Aber sie sind - anders als die Pocken - keineswegs ausgerottet. Lässt der Schutz in der Bevölkerung nach, drohen wieder mehr Fälle.