Bei der Ankunft am Teamhotel im tristen Frankfurter Nieselregen erwarteten Julian Nagelsmann Nachrichten, die zum Wetter passten. Von neun angeschlagenen Spielern berichtete der Bundestrainer vor den abschließenden Nations-League-Spielen gegen Bosnien-Herzegowina und in Ungarn. "Eine Gratwanderung" sei der Jahresabschluss deshalb, irgendwo zwischen: Es dürfen sich nicht noch mehr Profis verletzen. Und: Die Nationalmannschaft soll trotzdem begeistern.

"Zwischen den Ambitionen, die wir haben, und den berechtigten Ansprüchen der Clubs", bewege er sich, sagte Nagelsmann recht pragmatisch vor der ersten Trainingseinheit des November-Lehrgangs, der vor einem Jahr noch dramatisch schiefgegangen war. "Der war der Schlechteste", sagte Nagelsmann beim Blick zurück auf das 2:3 gegen die Türkei und das 0:2 in Österreich. Jetzt aber sei die Ausgangslange eine andere, und die Verletztenliste indirekt auch ein Beleg dafür.

Angeschlagen - und trotzdem dabei 

"Gerade ganz treffend" sei das Beispiel mit den angeschlagenen Profis, die "sehr viele Minuten" in den Beinen und "so ein paar Wehwehchen" hätten. "Wenn man ein Jahr zurückdenkt, glaube ich, das ist hypothetisch, dass unter Umständen einige vorher angerufen und gesagt hätten, ich habe ein bisschen Probleme, ich komme nicht, ich brauche meine Kraft für meinen Verein", sagte Nagelsmann. "Und jetzt sind trotzdem alle da."

Vor der Partie gegen Bosnien-Herzegowina am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Freiburg, in der ein Sieg den Gruppensieg bedeutet, nannte Nagelsmann die Jungstars Jamal Musiala (FC Bayern) und Florian Wirtz (Bayer Leverkusen), sowie Angelo Stiller (VfB Stuttgart) und Robin Koch (Eintracht Frankfurt). Angeschlagen ja, aber trotzdem hätten alle "Lust, zu trainieren und Lust, zu spielen".

Mit diesen "spezielleren Voraussetzungen" wird Nagelsmann in Freiburg und am folgenden Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) in Budapest aller Voraussicht nach mehrere personelle Änderungen vornehmen. Durch die komfortable Gruppenkonstellation - Deutschland führt mit 10 Punkten vor den Niederlanden, Ungarn (beide 5) und Bosnien-Herzegowina (1) - kann er umso mehr Rücksicht nehmen auf den ein oder anderen mahnenden Vereinstrainer.

Ein letztes Mal Kompromisse

"Ich bin absolut bereit, in diesem Lehrgang auch gewisse Kompromisse einzugehen", sagte Nagelsmann, er schob aber auch gleich hinterher: "Das ist aber auch der letzte Lehrgang, was auch jeder Vereinstrainer versteht." Im März geht es mit dem Viertelfinale der Nations League weiter (Gegner offen), im Sommer dann bestenfalls mit dem Finalturnier. Der Blick geht zudem Richtung WM-Qualifikation. Den Titel 2026 in Amerika hat Nagelsmann bereits vor Wochen als Ziel ausgegeben.

"Da werde ich nicht anfangen, mit den Vereinstrainern zu diskutieren", ob ein Spieler "60, 75, 45 Minuten oder gar nicht spielt", sagte Nagelsmann. "Jetzt mache ich das gerne, weil ich auch Vereinstrainer war." Zudem gehe es im November auch um psychische Dinge für die Spieler: Der Bundestrainer nannte Vitamin-D-Mangel, kürzere Tage, Regen - auch das werde er versuchen, zu berücksichtigen.

Bei aller Tristesse bleiben die Ziele aber unverändert. Die DFB-Auswahl solle weiter an ihrem Selbstverständnis arbeiten, zu gewinnen. Auch unter widrigen Umständen wie im Oktober in Bosnien-Herzegowina (2:1) mit noch mehr Verletzten. Es falle immer wieder das Wort "Freude", sagte Nagelsmann, das gelte für die Spieler, die in der DFB-Auswahl spielen, aber auch für das, was die Nationalmannschaft verbreiten wolle. 

Das gelte auch in politisch schwierigen Zeiten, wenngleich Nagelsmann den Fußball in dieser Hinsicht auch nicht "zu groß" machen wollte. Vielleicht könne man "dem ein oder anderen Politiker wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern mit zwei guten 90 Minuten, der zuletzt nicht so viel zu lachen hatte", sagte Nagelsmann.

Sané darf sich wieder beweisen

Verletzungsbedingt absagt hatte bislang nur Stuttgarts Deniz Undav, deshalb darf sich Leroy Sané nach längerer Pause wieder in der DFB-Auswahl beweisen. Die Erwartungen an den Bayern-Profi bespreche er mit diesem persönlich, nicht in der Öffentlichkeit, sagte Nagelsmann. Jeder wisse aber, dass Sané, einer der besten Spieler des Landes sei, wenn dieser sein Potenzial auch abrufe - gelungen war das in der Nationalmannschaft kaum.