Wohin steuert der Wirtschaftsstandort Sachsen im kommenden Jahrzehnt? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Jahr lang ein unabhängiger Expertenrat, den Sachsens Wirtschaftsministerium im Jahr 2022 einberufen hatte. Ziel war es, die Rahmenbedingungen der Transformation des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Sachsen einzuordnen und eine Prognose seiner Entwicklung bis 2035 zu geben. Nun überreichten die sechs Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Analyse ihren Abschlussbericht an Staatsminister Martin Dulig. Ihr Fazit: "Sachsen steht am Scheideweg."
Von der "ostdeutschen Werkbank" zur wichtigen Innovationswirtschaft
Der Bericht wirft einen optimistischen Blick in die Zukunft: Die Verfasserinnen und Verfasser sehen Sachsen in einer zweiten Transformation nach 1989, welche die Fehler der ersten vermeiden und neue Perspektiven für das Land erschließen kann. Laut Expertenrat stehen die Chancen dafür gut, denn in den kommenden Jahren werden Investitionen von rund 30 Milliarden Euro durch Unternehmen, die EU, Bundesregierung und Landesregierung realisiert. Die potentielle Entwicklung von der "ostdeutschen Werkbank" zu einer wichtigen Innovationswirtschaft in Deutschland sei bereits sichtbar. Ostdeutschland und speziell Sachsen ziehe Weltkonzerne an und erreiche damit eine neue Sichtbarkeit weit über Europa hinaus.
Verunsicherung in der Gesellschaft überwinden
Die Transformationsprozesse treffen dabei allerdings auf eine verunsicherte Gesellschaft, bei der die vielen Veränderungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte auch zu einer großen Skepsis gegenüber positiven Zukunftsperspektiven geführt hat. Manche Innovation könnte so ausgebremst werden, befürchten die Verfasser. Sachsens Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig beurteilt die Lage besser als die Stimmung: "Der Bericht zeigt deutlich, in welchen Bereichen wir in der Politik handeln müssen. Er zeigt die Herausforderungen und gleichzeitig die riesigen Chancen, die Sachsen hat, wenn Politik, Unternehmen und Gesellschaft die Herausforderungen annehmen und gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Chancen auch zu ergreifen. Sachsen nimmt Anlauf, um einen riesigen Sprung nach vorne zu machen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns dabei nicht selbst ein Bein stellen."
Empfehlungen des Expertenrates
Empfohlen werden unter anderem Investitionen des Staates in dringend benötigte Pflege und Ausbau von Infrastruktur. Dazu zählt der zügige Ausbau der Strom-, Wasserstoff- oder Breitbandnetze, der vom Ausbau der erneuerbaren Energien und der Digitalisierung der Verwaltung begleitet wird. Empfohlen wird ebenfalls ein massiver Ausbau von Wind- und Solaranlagen und der netzgebundenen Infrastruktur wie Strom- und Wasserstoffleitungen sowie Ladeinfrastruktur und Speicher. Das Ziel: Vor Ort müssen Unternehmen und Menschen von dem Ausbau stärker profitieren. Insgesamt brauche es einen stärkeren Transfer von Digitalisierung und Automatisierung hin zu den kleinen Unternehmen.
Kulturwandel in den Unternehmen
Um Fach- und Arbeitskräfte zu gewinnen und zu binden, benötige Sachsen bestmögliche Rahmenbedingungen. Dazu zähle der Kulturwandel in den Unternehmen hin zu attraktiven Arbeitsbedingungen und guten Löhnen genauso wie der nötige Kulturwandel in den Ämtern beim Anwerbeprozess von Fachkräften. Es brauche eine neue Akzeptanz und neue Kompetenzen in den Unternehmen in Bezug auf Integration - sowohl in den Unternehmensführungen als auch bei den Beschäftigten. Entscheidend sei außerdem eine Kultur der Weltoffenheit und des Aufbruchs im Freistaat.
"Aus den Fehlern der 90er Jahre lernen"
Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des Expertenrates, machte deutlich: "Sachsen hat mit den vielen neuen Investitionen die Chance für eine zweite Transformation. Dafür muss man aus den Fehlern der ersten Transformation der 90er Jahre lernen. Es geht um die Reduktion der verlängerten Werkbänke, attraktiv für neue Fachkräftezuwanderung zu sein und die Potenziale der engen Vernetzung zwischen Wissenschaft, staatlicher Infrastruktur und Unternehmen zu nutzen, um den Technologietransfer innovativ zu gestalten." Der massive Zufluss von Investitionen könne neue Wertschöpfungsketten entstehen lassen.