Wer einen Platz im Pflegeheim für seine Angehörigen sucht, kämpft oftmals mit der Verzweiflung: Freie Plätze sind rar und es überhaupt auf die monatelangen Wartelisten der Einrichtungen zu schaffen, stellt meistens keine Selbstverständlichkeit mehr dar. In Städten wie Hamburg sind Eigenanteile von bis zu 4.000 Euro im Monat für einen Standard-Pflegeheimplatz außerdem schon heute keine Seltenheit mehr. Nur die wenigstens können sich diese Preise leisten. Viele Branchenexperten gehen davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Jahren in Anbetracht des doppelten demografischen Wandels noch drastisch verschlechtern wird. Davor warnt auch Gesundheitswissenschaftler und examinierte Pflegefachkraft Markus Küffel. Der Gründer einer Pflegevermittlung wagt eine besorgniserregende Prognose.
"Druck auf Familien steigt"
"2050 werden voraussichtlich etwa 6 bis 7 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland leben. Gleichzeitig geht bis dahin ein Großteil der heute noch aktiven Pflegekräfte in Rente. Die Probleme, die jetzt schon bestehen, werden sich in Zukunft noch verstärken. Wartezeiten auf Heimplätze werden ins Unermessliche steigen und viele Menschen werden sich Pflege schlichtweg nicht mehr leisten können. Im schlimmsten Fall bleiben hilfsbedürftige Menschen dann sich selbst überlassen", sagt Küffel. Gleichzeitig werde der Druck auf die Familien steigen. Schon heute werden etwa 75 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause betreut, meistens von ihren Angehörigen. Wer keine Verwandten hat, die diese Aufgabe übernehmen können, wird es in Zukunft schwer haben.
In Sachsen bald 200.000 Pflegebedürftige
Laut einem Gutachten des Sächsischen Sozialministeriums wird die Zahl der Pflegebedürftigen im Freistaat Sachsen bis 2030 auf fast 200.000 ansteigen. 2015 waren es noch rund 165.000 Pflegebedürftige. Besonders hoch wird dabei der Anstieg (23,8 Prozent) bei den stationär betreuten Pflegebedürftigen sein. Mit der wachsenden Anzahl der Pflegebedürftigen in Sachsen steigt auch der zukünftige Bedarf an Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen. Das Problem: Während die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter laut der Prognose bis 2030 um 10,2 Prozent zurückgehen wird, wird der voraussichtliche Bedarf an Beschäftigten in den ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen um 35,0 Prozent und damit deutlich ansteigen. Damit besteht die Gefahr, dass der Bedarf an Pflegepersonal im Freistaat Sachsen in Zukunft nicht gedeckt werden kann.
Bessere Einwanderungspolitik gefordert
"Wir dürfen unsere Augen nicht vor diesem riesigen gesellschaftlichen Problem verschließen, denn irgendwann betrifft der Pflegemangel uns alle", warnt Markus Küffel. "Ohne eine gute Einwanderungspolitik wird er sich nicht beheben lassen." Auch im aktuellen Sozialbericht Sachsens heißt es: "Eine signifikante Reduktion der hohen Teilzeitquote, familienfreundlichere Arbeitsbedingungen und das Anwerben ausländischer Fachkräfte wären Möglichkeiten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Aber auch Maßnahmen, um Pflegekräfte länger in ihrem Beruf zu halten, wie beispielsweise die Anpassung der Arbeits- und Ausbildungsinhalte, die Umsetzung von innovativen Modellen der Arbeitsorganisation und Arbeitszeitmodellen sowie die Verbesserung der Interessensvertretung der Pflegekräfte stellen mögliche Ansätze dar."
"Benötigen Zuwanderung im großen Stil"
Zum Anwerben ausländischer Fachkräfte meint Markus Küffel: "Dabei brauchen wir keine Prestigeprojekte, bei denen 100 Pflegekräfte aus Südamerika nach Deutschland kommen, aber nach kurzer Zeit aus Heimweh wieder zurückkehren. Wir benötigen eine Zuwanderung im großen Stil und bessere Integration der Einwanderer. Außerdem müssen wir mehr in Netzwerken denken. Pflege wird auch in Zukunft zum Großteil zu Hause stattfinden und nicht im Heim. Wie lassen sich Pflege durch Angehörige, ambulante Pflegedienste und auch sogenannte 24-Stunden-Pflege strukturell gut miteinander verknüpfen? Das ist die wichtigste Frage, die die Politik in nächster Zeit beantworten sollte."
Pflegekräften fehlt es an Rechtssicherheit
Unter anderem werde es essenziell sein, die 24-Stunden-Pflege aus der rechtlichen Grauzone herauszuholen. Schon heute werden laut Sozialverband vdk über 220.000 Pflegebedürftige von Betreuungskräften aus Osteuropa versorgt - allerdings oftmals ohne dass sie sich in einem anerkannten Arbeitsverhältnis befinden. Nach einer Studie des Sozialverbands fehlt es Pflegekräften dadurch erheblich an Rechtssicherheit. Küffel: "Schafft die Politik es nicht, lebensnahe Regelungen für diese Form der Pflege zu finden, werden viele Familien in ihrer Verzweiflung auf illegale Arbeitskräfte zurückgreifen und die Schwarzarbeit wird langfristig noch weiter zunehmen. Dafür, dass die Lage aktuell enorm ernst ist, passiert von politischer Seite immer noch zu wenig. Wir müssen endlich aufwachen, bevor es zu spät ist!"
erschienen am 09.05.2023