Dresden. Welche Argumente und wissenschaftliche Fakten liegen den Corona-Überlegungen der Landesregierung Sachsens zugrunde? Um größtmögliche Transparenz zu schaffen, lädt Ministerpräsident Michael Kretschmer regelmäßig zu Videokonferenzen mit Experten aus verschiedensten Gesellschaftsgruppen ein. Am Dienstag schaute er mit seinen Gästen vor allem auf das internationale Infektionsgeschehen, holte sich unter anderem Lageeinschätzungen aus Südafrika und den USA ein - stets auch mit der bangen Frage im Hinterkopf: Welche Lockerungen sind angesichts der neuen, ansteckenderen Omikron-Variante überhaupt vertretbar?

Rückgang der Inzidenz

"Die schärfsten Maßnahmen aller Bundesländer waren am Ende erfolgreich", resümierte Kretschmer. Die 7-Tage-Inzidenz liege aktuell bei 287 (Stand: 4. Januar), Ende November waren es noch 1.400 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.

2.000 Menschenleben gerettet

Es sei jedoch noch keine Zeit, um Entwarnung zu geben, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping "Die Betten auf den Intensivstationen sind noch über der Überlastungsgrenze belegt. Eine Prognose zeigt jedoch deutlich, dass wir mit den Maßnahmen um die 2.000 Menschenleben retten konnten." Das bestätigt auch Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebunds, für ganz Deutschland.

Kritik am deutschen Digitalisierungsrückstand

"Wir haben viele Menschenleben gerettet. Die kumulative Sterblichkeit bei uns in Deutschland liegt bei 120 pro 100.000 Einwohner. In Frankreich, Großbritannien und Spanien liegt sie etwa doppelt so hoch", so Montgomery, der die Runde nutzte, um Kritik an der traurigen Datenlage des Robert-Koch-Instituts zu üben. "Das liegt am deutschen Digitalisierungsrückstand."

Omikron sorgt für Personalprobleme

Die Datenlage in Ländern mit aktuell vielen Omikron-Fällen zeige, dass die Ansteckungsfähigkeit gegenüber der aktuell noch vorherrschenden Variante Delta zwei- bis viermal so hoch ist. Die Krankheitslast liege jedoch nur bei etwa 70 Prozent. "Das heißt am Ende, die Infektionen werden trotzdem exponentiell ansteigen und damit auch die Krankenhausaufenthalte." Das bedeute für die Krankenhäuser, wenn sie jetzt schon am Anschlag laufen, werde man relativ schnell Kapazitätsprobleme haben.

Ein zweites Problem sei die Tatsache, dass natürlich auch Mitarbeiter erkranken. "Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir mit einen Ausfall dieser Menschen bei gleichzeitig zunehmender Arbeitslast umgehen werden." All das habe man in Dänemark, Großbritannien und den USA derzeit bereits vor Augen. Letztere hätten derzeit eine Million Neuansteckungen pro Tag. "Umgerechnet auf Deutschland wären das 250.000. Eine erschreckende Zahl."

Rund eine Million Briten in Quarantäne

Großbritannien bildet bereits ab, was man hierzulande vermeiden möchte: Rund eine Million Briten befinden sich derzeit in Quarantäne. Die Folgen sind Versorgungsengpässe in den Supermärkten und Personalprobleme im Öffentlichen Nahverkehr oder bei der Müllabfuhr. Auch der Präsenzunterricht in den Schulen ist erneut gefährdet, weil sich derzeit viele Lehrkräfte infizieren.

"Impfen wird Omikron aktuell nicht aufhalten"

"Was bleibt für Sie als Politiker also zu tun?", fragt Montgomery und schmälert zunächst die Hoffnungen auf kurzfristige Impferfolge. "Impfen hilft uns in dieser Welle nicht weiter. Obwohl es das zentrale Instrument der Zukunft ist, wird es diese Welle mit Omikron nicht mehr nennenswert verändern." Dennoch müsse man alles tun, um die Grundimmunisierung der Bevölkerung durch das Impfen zu steigern, um gegen weitere Wellen gewappnet zu sein.

Herdenimmunität werden "wir nie erreichen"

Aber die Hoffnung müsse man jetzt auf etwas anderes richten: Kontaktbeschränkungen. Und das könne Vieles bedeuten - von der Absage von Großveranstaltungen über 2G-Regel bis hin zu lokalen Lockdowns. Grundrechtseinschränkungen müssten jedoch im Rahmen dessen bleiben, was man ertragen kann. "Die Idee der Herdenimmunität, die wir vor einem Jahr hatten, entpuppt sich als vollkommener... fast hätte ich etwas schlimmes gesagt", echauffiert sich Montgomery. "Die werden wir nie erreichen." Vor einer Sache habe er ganz große Angst: "Je mehr Infektionen wir zulassen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich weitere, gefährlichere Virusvarianten entwickeln."