Seit Monaten schrillen die Alarmglocken: Deutschlands Baugewerbe steckt tief in der Krise. Vertreter der sächsischen Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sehen die Baubranche sogar auf einem Weg in die Rezession: "Der Auftragseingang im Baugewerbe in Sachsen sinkt. Die Bauaktivitäten im Hochbau sind eingebrochen, Bauvorhaben stocken und bereits geplante Projekte werden zurückgestellt; das betrifft vor allem Neubau und größere Modernisierungsmaßnahmen", schreiben die Vertreter in einer gemeinsamen Forderung an den Bund. In der sogenannten "Dresdner Erklärung" richten sie sich im Vorfeld des Wohnungsbaugipfels am kommenden Montag (25. September) bei Bundeskanzler Olaf Scholz mit Forderungen an die Bundesregierung. Mit den Vorschlägen soll dem dramatischen Einbruch beim Wohnungsbau begegnet werden.

Baugenehmigungen um 44 Prozent zurückgegangen

Die aktuellen Entwicklungen haben Auswirkungen auf den Mittelstand und treffen vor allem die kleinen sowie mittleren Betriebe im Baugewerbe hart. Die ersten Zulieferer sind bereits in Kurzarbeit. "Uns erreichen nahezu täglich schlechte Nachrichten zum Baugeschehen", sagt Thomas Schmidt, Sächsischer Staatsminister für Regionalentwicklung. "In Sachsen ist die Zahl der Baugenehmigungen im ersten Halbjahr um 44 Prozent zurückgegangen. Und das ist nur die halbe Wahrheit. Denn eine Baugenehmigung ist noch lange keine Baustelle. Große Wohnungsunternehmen haben erklärt, dass sie trotz erteilter Genehmigungen keine Bauprojekte beginnen wollen - schlicht, weil Wohnungsbau im Moment unwirtschaftlich ist. Die aktuell hohen Baukosten würden Mieten in einer Höhe nach sich ziehen, die auf dem Wohnungsmarkt nicht umsetzbar sind." Die Gründe für die derzeit negative Entwicklung der Bau- und Wohnungswirtschaft sind vielfältig: der anhaltende Krieg in der Ukraine, steigende Preise bei den Baumaterialien, schnell ansteigendes und hohes Zinsniveau, die Energiekrise mit einer weiterhin hohen Inflation, Fachkräftemangel sowie die Transformation des Energiesystems mit den Gesetzesvorhaben auf EU- und Bundesebene.

"Klimaschutz muss sozialverträglich und bezahlbar sein"

Insbesondere die überzogenen Anforderungen an Energieeffizienz im Gebäudebereich sorgen für Verunsicherung in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft: "Es ist unstrittig, dass auch der Gebäudesektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss", so Thomas Schmidt. "Dieser Beitrag muss aber praktikabel, technologieoffen und vor allem sozialverträglich und bezahlbar sein. So wie jetzt geplant, werden die Wohnungsunternehmen zu extrem teuren Investitionen gezwungen, die sie jedoch weder durch ausreichend hohe Förderung, noch durch entsprechende Mieterhöhungen ausgleichen können." Mirjam Philipp, Vorstand des Verbandes Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V., erklärt: "Unsere Wohnungsgenossenschaften müssten selbst bei einem eigenen Investitionsanteil und Nutzung der in Aussicht gestellten Förderkulisse von ihren Mietern knapp fünf Euro pro Quadratmeter zusätzlich verlangen."

Gesetzeskonforme Heizungsanlagen "schlicht unbezahlbar"

Mirjam Philipp weiter: "Der Austausch einer gesetzkonformen Heizungsanlage würde einen großen und teuren Eingriff in die Bestandsgebäude erfordern, da diese entsprechend umgerüstet werden müssten. Die Investitionen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit der Verbesserung der energetischen Substanz und werden deshalb nicht gefördert, sind aber Voraussetzung für die bauliche Ertüchtigung bzw. ein funktionierendes Heizungssystem. Das ist für die meisten Mieter nicht nur eine organisatorische Zumutung, sondern auch schlicht unbezahlbar und zwingt die sozial orientierten Wohnungsunternehmen de facto zu unsozialen Maßnahmen!" In der "Dresdnder Erklärung heißt es: " Die Bundesregierung und die Regierungskoalition des Deutschen Bundestages müssen ihre eigenen Ansprüche mit der Realität zusammenbringen."

Forderungen zielen auf Planungssicherheit und Verlässlichkeit

Andreas Brzezinski, Sprecher des Geschäftsführerkollegiums des Sächsischen Handwerkstages, hat hohe Erwartungen an den Wohnungsbaugipfel beim Kanzler am Montag in Berlin. "Wenn nunmehr nicht konkrete Maßnahmen kommen, die rasch Wirkung entfalten, wird das Baugewerbe an Fachkräften genauso ausbluten wie die Gastronomie-Branche. Ein Kollaps in der Bauwirtschaft muss abgewendet werden!" Es brauche Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Die Vertreter der sächsischen Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft fordern in der "Dresdner Erklärung" die Bundesregierung deshalb unter anderem auf, zinsverbilligte Darlehen für den Erwerb von Wohneigentum und genossenschaftlichem Eigentum attraktiver zu gestalten. "Das erleichtert vor allem Familien, sich Wohneigentum zu schaffen. Dabei sollten alle Wohnbauformen förderfähig sein." Zudem sollten die Einkommensgrenzen der Wohneigentumsförderung für Familien angehoben und das Darlehen zu einem attraktiveren Zins sowie längeren Laufzeiten angeboten werden.

"Energetische Standards nicht weiter verschärfen"

Weiterhin wird gefordert, das Baukindergeld wieder einzuführen und eine gestaffelte Erhebung der Grunderwerbssteuer zuzulassen. Zudem sollten die energetischen Standards beim Neubau nicht weiter verschärft werden. Die geplante Erhöhung auf "Effizienzhaus 40" müsse ausgesetzt und der Standard "Effizienzhaus 55" beibehalten werden, um weitere Kostenexplosionen zu vermeiden. Auch die Streichungen im Bereich der ländlichen Entwicklung sollten rückgängig gemacht werden: "Die beabsichtigte vollständige Streichung des Sonderrahmenplans Ländliche Entwicklung stoppt abrupt Investitionen im ländlichen Raum. Unterstützt wurden unter anderem die Revitalisierung und multifunktionale Nutzung von Gebäuden. Wichtige Grundversorgungseinrichtungen für den ländlichen Raum wie Dorfgemeinschaftshäuser und Ärztehäuser konnten so erhalten und geschaffen sowie der barrierefreie Ausbau bestehender Infrastruktur unterstützt werden.