4.45 Uhr. Ein neuer Tag beginnt. Und das heißt: ein weiteres Mal mit den verschiedensten Schicksalen und Persönlichkeiten konfrontiert werden. Es sind Begegnungen besonderer Art, wie Frau H. berichtet, denn sie sind stets sehr intim. Und viele dieser Persönlichkeiten, nun am Ende eines teils langen Lebens angekommen, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Einige unter ihnen aber auch nicht, sagt sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich merke, wie eine positive Atmosphäre den Raum durchströmt, ja sogar ich als Interviewer werde erfasst und höre fortan noch gespannter zu, während sie von einem ganz normalen Arbeitstag erzählt.
Das frühe Aufstehen sei kein Problem - vielmehr der Gedanke an die bevorstehende körperliche Arbeit, wenn man sich an einem Morgen mal besonders müde und zerschlagen fühlte, berichtet sie weiter. Denn erst einmal auf der Station angekommen, wird sich direkt um die Versorgung einer ganzen Etage gekümmert. Das heißt nicht nur, für die verschiedensten Notfälle auf Abruf bereit zu sein, nein, vielmehr ist es ein besonders bewegungsreicher Alltag. Solch ein Tag besteht aus Kraftsport, Empathie und Seelsorge, Zuhören und Verstehen, Waschen und Säubern. Eine ganze Palette verschiedenster Fähigkeiten ist gefragt, nicht selten steht man Hand in Hand an der Schwelle des Todes, erlebt die letzten Stunden eines Menschen mit. All das und noch viel mehr ist verpackt in einem Beruf, der meist unterschätzt wird: Der Altenpflege.
Frau H., danke dass Sie sich für ein Interview bereit erklärt haben. Im Rahmen unseres Ausbildungsspecials wollen wir Berufe vorstellen, die dringend Nachwuchs benötigen. Wie sind Sie zu ihrem Beruf gekommen und was beinhaltet dieser hauptsächlich?
Kein Problem, sehr gerne. Nachdem ich lange Zeit selbstständig war, wollte ich mich als Arbeitnehmer umorientieren. Eine Empfehlung einer Bekannten brachte mich dann irgendwie auf den Weg zur Altenpflege. Der Arbeitsalltag ist, vor allem wenn man selbst schon etwas älter ist, durchaus kräftezehrend. Man muss mit Begeisterung dabei sein, denn die Verpflegung und Vollzeitpflege von sechs bis sieben Bewohnern pro Pflegekraft beinhaltet allerlei anstrengende und vor allem intime Momente. Nicht nur physischer Natur. Aber für mich hat es sich stets gelohnt.
Das kann ich mir vorstellen. Wie lange üben Sie diesen Beruf jetzt schon aus?
Seit ungefähr zehn Jahren in einem Altenheim hier in der Region.
Können Sie ungefähr herausstellen, was Ihnen an diesem Beruf am meisten begeistert hat und was vielleicht weniger?
Ich muss direkt sagen: Es ist schwierig das in ein paar Worte zu packen. Am meisten fasziniert hat mich die respektvolle Beziehung, die man mit einigen Bewohnern aufbauen kann. Oftmals passiert dies ganz schnell und einfach. Man denkt immer, die Pflegekräfte schenken den hilfsbedürftigen Bewohnern Hilfe und ein offenes Ohr. Oftmals ist es aber auch anders herum. Durchaus eine große Bereicherung für das eigene Leben, denn man darf nicht vergessen: viele dieser Menschen haben ihr Leben schon gelebt und können einige wertvolle Ratschläge erteilen. Kontra war definitiv, dass viel zu wenig Zeit da war. Oftmals war man viel zu sehr im Stress und konnte sich nicht genug Zeit für den Einzelnen nehmen.
Gab es ein (schönes) Erlebnis, dass ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Auch hier erlebt man allerlei. Ich möchte kein Einzelnes herausstellen, aber besonders in Erinnerung bleiben mir solche Momente, in denen Bewohner mich darum gebeten haben, doch jeden Tag bei Ihnen zu sein. Das hat mir gezeigt, wie wichtig meine Arbeit wirklich ist.
Warum sollte ein Schüler eine Ausbildung in diesem Beruf machen?
Weil man hier unglaublich viel für das Leben lernt. Und zwar vom Leben selber. Viele Erfahrungen verschiedenster Art haben mich nicht nur über andere, sondern vor allem über mich selbst einiges gelehrt. Wenn man mit Begeisterung und Empathie bei der Sache ist, bekommt man auch was zurück. Und das ist nicht in jedem Beruf der Fall.
Was wünschen Sie sich für diesen Beruf?
Ich wünsche mir, dass dieser Beruf nicht nur allgemein mehr wertgeschätzt wird, sondern auch politisch erkannt wird. Dass wir unter einer Unterbezahlung leiden, ist völlig klar. Aber hinzukommt, dass beim personell oft Mangel herrscht. Dies hat nicht nur mit der Attraktivität zu tun, sondern auch der vorherrschenden Sparpolitik vieler Altenheime. Das geht dann auf die Kosten derjenigen, die diesen Beruf wirklich gerne ausüben. Viele Menschen werden irgendwann selbst mal auf eine Versorgung angewiesen sein. Dann aber vielleicht von einem Menschen, der nicht durch Zeit- und Geldnot bedrängt ist.
Vielen Dank für das nette Gespräch, Frau H.
Achtung
Die Ausbildung zur Altenpfleger/in gibt es ab diesem Jahr nicht mehr. Seit dem 1. Januar 2020 wird in Deutschland generalistisch ausgebildet und der Abschluss nennt sich Pflegefachmann/ Pflegefachfrau. Auch das HBK Zwickau bildet beispielsweise dazu aus (und kooperiert dabei auch mit Altenpflegeeinrichtungen). Die ersten Azubis am HBK Zwickau starten am 1. September in die Ausbildung. Dort kann man sich noch bewerben.
Eine Übersicht über alle Interviews des Berufe-Specials finden sich hier.
erschienen am 08.07.2020