Burgstädt. Es ist ein leicht nasser und kühler Montagabend im mittelsächsischen Burgstädt. In der Stadt mit insgesamt rund 10.000 Einwohnern ist um diese Uhrzeit an einem Montagabend im Normalfall kaum jemand anzutreffen - doch das hat sich in den letzten Wochen geändert. Seit Anfang des Jahres gehen mehrere hundert Menschen jeden Montagabend in Burgstädt zusammen "spazieren", meist bei unangemeldeten Versammlungen.
Die Zahl der Teilnehmer steigt
Auch in ganz Sachsen sowie im gesamten Bundesgebiet versammeln sich seit Wochen teilweise angemeldet, meist unangemeldet, mehrere tausende Personen für Versammlungen, um sich gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland zu wenden. Schon vor Bekanntwerden einer möglichen Impfpflicht gingen viele Menschen auf die Straße, um zu demonstrieren. Tendenz steigend. Weitgehend friedlich, aber auch immer wieder mit gewaltsamen Ausgängen, wie beispielsweise Anfang des Jahres in Bautzen.
Doch was motiviert die Menschen dazu? Warum gehen sie auf die Straße? Eine BLICK-Redakteurin hat sich am Montagabend in Burgstädt zwischen den rund 500, in der Spitze 600, Spaziergängern umgehört und versucht, die Beweggründe dafür zu erörtern*.
Mögliche Impfpflicht dominiert die Antworten
Das prominenteste Thema, das die Personen zum Protest nach Burgstädt gebracht hat, ist laut ihren Angaben die Sorge über die Impfpflicht. Erst am Mittwochmittag diskutierte der Bundestag zu diesem Thema und verschiedensten Anträgen über eine mögliche allgemeine Impfpflicht.
Trotz der Meinung von Experten, dass die Impfung sicher sei, weckt dies offensichtlich große Sorge bei den Menschen in Burgstädt. "Es geht mir darum, Gesicht zu zeigen", sagt eine Frau mittleren Alters. "Ich möchte zeigen, dass ich nicht damit einverstanden bin, ganz besonders nicht mit der Impfpflicht." Man müsse offen zeigen, wenn etwas im Land falsch liefe, ähnlich, wie es auch schon in der DDR mit den Protesten der Fall war. "Das aber natürlich in einem normalen, nicht aggressiven Rahmen", fügt sie hinzu.
Die Antworten zeigen vor allem eine Forderung nach der eigenen Entscheidung über eine mögliche Impfung. "Wir gehen alle spazieren, weil wir gegen die Impfpflicht sind", antwortet uns demnach ein Mann. "Die Menschen müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie sich impfen lassen oder nicht."
Vergleiche zu 1989 und der DDR werden gezogen
Und außerdem fügt er hinzu: "Natürlich gehen wir auch aufgrund der anderen restriktiven Maßnahmen der Regierung spazieren, weil wir in keiner Diktatur leben wollen." Auch er betont: Man sei 1989 nicht auf der Straße gewesen, um jetzt wieder dorthin zu kommen, wo man bereits einmal war. Dem stimmt auch ein weiterer Spaziergänger zu: "Der Staat zwingt uns durch diese Pandemie quasi in eine Diktatur - die Pandemie ist nur ein Nebenschauplatz", sagt er. Er habe besonders Sorge um seine Enkel und Kinder, für die er spazieren gehe. Laut ihm wolle die Politik momentan austesten, wie weit sie gehen könne - und das hätten sie auch schon weit geschafft, sagt er. "Sie haben Angst geschürt und die Leute eingeschüchtert, und in diesem Sinne soll wohl eine Diktatur aufgebaut werden, wie wir sie früher schon mal kannten. Es nimmt wieder solche Formen an."
"Ich bin definitiv gegen diese Impfpflicht, denn mit diesem Gen-Experiment kann man sich nicht einverstanden erklären", bestätigt auch ein weiterer Spaziergänger. "Wir laufen hier, um möglichst viele Leute zu aktivieren und zu zeigen, wie viele wir sind."
"Ich möchte ein Zeichen setzen", führt eine junge Frau an. "Ich möchte bei diesem Ganzen nicht mitmachen. Und trotzdem sind es immer noch viel zu wenig Leute hier." Es gehe nicht nur um die Gesundheit, sondern um das ganze System.
Sorge um Kinder und die Freiheit
Die Folgen einer Impfung scheint viele Spaziergänger zu beunruhigen. "Wir haben Kinder und sehen es nicht ein, dass wir oder unsere Kinder auf Zwang geimpft werden sollen mit einer Impfung, die nichts verspricht und nichts hält", heißt es von einem anderen Mann. Dieser äußert besonders auch Kritik an der Uneinsichtigkeit der Politik; "da oben" werden viele Fehler gemacht, die aber nicht richtiggestellt würden. Solch eine Politik bräuchte man nicht, sagt er.
Es geheden Spaziergängern auch viel um Freiheit, wie wir deutlich heraushören. "Ich bin mit diesen sinnlosen Vorschriften und Verboten nicht einverstanden und möchte meine Freiheit wieder zurückhaben. Darum bin ich hier!", betont ein Spaziergänger.
Kritik an den Protesten in Facebook-Gruppe
Der Spaziergang dauert insgesamt zirka 90 Minuten, immer mehr Menschen stoßen an verschiedensten Ecken und Nebenstraßen hinzu. Einige interessierte Personen schauen aus den Fenstern und wagen vorsichtig einen Blick aus der Ferne, aber mit einem großen Abstand, um nicht mit dem Spaziergang in Verbindung gebracht zu werden. Mit Trillerpfeifen und Tröten machen einzelne Spaziergänger auf sich aufmerksam. Es bleibt friedlich in Burgstädt.
Einen offiziellen Gegenprotest gibt es nicht; allerdings versammelten sich teilweise vermummte Personen in einzelnen Gassen und fotografierten die Spaziergänger. Über ihre Motive wollten sie sich auf Anfrage nicht äußern.
Doch der Protest wird nicht überall positiv aufgenommen. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe der Stadt wird über einen Flyer, der zum Montags-Spaziergang in Burgstädt aufruft, heftig diskutiert. Einige Personen beschweren sich darüber, dass sie solche Flyer im Briefkasten haben. "Ich weiß, dass es belastend sein muss, immer nur als kleines Häuflein anonym durch Nacht und Nebel zu "spazieren", aber zur Demokratie gehört auch einzusehen, dass ihr nun mal nicht mehr seid und erst recht nicht in Burgstädt", heißt es beispielsweise in einem Post. Man verstehe auch nicht, warum die Polizei bei den Spaziergängen nicht eingreife, beklagt ein anderer.
Andere springen den Spaziergängern zur Seite. "Soll jeder seine Meinung haben und gut ist. Reg mich auch nicht über Flyer auf die nicht zu mir und meinem Leben passen", stellt eine Person klar. Die Diskussion ist lebhaft, die Kommentarfunktion wird kurz darauf eingestellt.
Polizei bestätigt geschätzte Teilnehmerzahl
Die Polizei vor Ort war zum Zeitpunkt des Spaziergangs am Montagabend zu keinem Statement bereit und verwies auf deren Pressestelle. In einer Medieninformation am nachfolgenden Tag bestätigte die Pressestelle der Polizeidirektion Chemnitz die Teilnehmeranzahl mit zirka 500 Personen und dass es bei dem Spaziergang zu keinen weiteren Vorfällen gekommen sei.
* Die Befragten wollten anonym bleiben. Die Antworten wurden per Tonaufnahme zum Zwecke der Bearbeitung des Artikels aufgezeichnet und dann in Textform eingearbeitet. Dies ist natürlich keine vollumfänglich repräsentative Umfrage, da sie nur bei einer Veranstaltung und an einem Ort durchgeführt wurde; es soll ein Stimmungsbild präsentieren.
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