Leipzig. Der Leipziger Stadtteil Anger-Crottendorf verändert sich rasant. Nachdem wir kürzlich über die Ansichten des Bürgervereins Anger-Crottendorf zur städtebaulichen Entwicklung berichtet hatten, kommt jetzt das Pendant "ACtiv für Bürger" zu Wort. In deren Augen haben die Umsetzungswünsche des Bürgervereins Anger-Crottendorf zur laufenden Neugestaltung des gemeinsamen Lebensumfeldes wenig mit den "tatsächlichen Bedürfnissen" der Menschen vor Ort zu tun. Diese Veränderungen umfassen neben dem künftigen "Parkbogen Ost" als Aktivachse längs der 2012 stillgelegten Bahntrasse den neuen Park in der Rietzschke-Aue und gehen bis zur in Sanierung befindlichen Karl-Krause-Fabrik an der Theodor Neubauer Straße. Für die alte Feuerwache Ost gegenüber bestehen darüber hinaus Nutzungspläne als Bürgerzentrum. An der Ihmelsstraße wächst zudem ein riesiger Schulcampus mit Sporthalle heran. Und auf dem Areal zweier Pacht-Garagenhöfe an der Liselotte-Herrmann-Straße plant die Stadt den Bau einer weiteren Grundschule. Der Anlage droht perspektivisch das Aus.
Nicht nur den Mitgliedern der langjährigen Garagengemeinschaften bereitet dies Sorgen. Es fühlen sich weitere Alteingesessene, aber auch Zugezogene von Stadtplanern und Vertretern alternativer Gestaltungswünsche überrollt. Vor gut einem Jahr gründeten sie daher einen zusätzlichen Bürgerverein. Er nennt sich "ACtiv für Bürger" und entstand nach Angaben der Initiatoren aus der Notwendigkeit einer "unabhängigen, wirklichen Bürgervertretung" als Ansprechpartner für alle Bürger im Wohngebiet. Der Grund für solch geplante Schulneubauten liegt laut Leipziger Stadtverwaltung in gestiegenen Einwohnerzahlen der Messestadt sowie im Geburtenanstieg. Die Mitglieder von "ACtiv für Bürger" sehen hierfür im Kiez allerdings keinen Bedarf. "Wir sind voll mit Schulen", heißt es. Davon abgesehen gäbe es bessere Alternativen für eine neue Grundschule, als sie auf dem Gelände der Garagenhöfe an der Liselotte-Herrmann-Straße errichten zu wollen. Entgegengesetzte Stimmen - laut "ACtiv für Bürger" einige Wenige, die versuchten, die Leipziger Stadtverwaltung vor ihre "Traumvorstellungen" zu spannen - befürworten unterm Strich den weiträumigen Abzug von Autoverkehr, einen Superblock sowie Gemeinschaftsflächen für alle.
Sind bestehende Schulen nicht ausgelastet?
Im Gespräch mit Tomasz Petersohn (43), dem Vorsitzenden von "ACtiv für Bürger", sowie Steffen Brabnik (62), Vorstand der Garagengemeinschaften, sowie Anwohnerin Kerstin Kruber (58) erfuhren wir, dass angeblich die im Ort ansässige 74. Grundschule und auch die Ernst-Pinkert-Schule von den Schülerzahlen her nicht ausgelastet sein sollen. Und: Bei Bedarf könne ein neues Gebäude ja auch auf dem großen Hinterhof der alten Feuerwache Ost errichtet werden. Diesen Vorschlag habe die Stadtverwaltung indes nicht gewürdigt. In Anger-Crottendorf überwiegt laut "ACtiv für Bürger" der Senioren- und Arbeiteranteil, letztere mit Schichtdienst auch außerhalb Leipzigs. Diese Leute seien auf das Auto angewiesen. Die Initiative konkretisierte die Not: Zum einen habe man für den neuen Schulkomplex an der Ihmelsstraße bereits einen Garagenhof mit rund 90 Plätzen abgerissen. Fielen dann noch besagte Garagenhöfe mit rund 180 Unterstellmöglichkeiten und der von 60 Parkenden genutzte "Polygraphplatz" vor der Krausefabrik mit bald 120 neuen Wohnungen und nur 42 Tiefgaragenplätzen wegen seiner Umgestaltung zum grünen Bürgerort weg, sähe es für Autofahrer mau aus. Bislang parkten rund 100 Anwohner zudem im Herzen von Anger-Crottendorf, also in der engen Stünzer-, Neumann- oder Friedrich-Dittes-Straße. Dort begann der Stadtordnungsdienst im Mai 2021 "Knöllchen" für Gehwegparkende zu verteilen. Dies passierte nach Angaben von "ACtiv für Bürger" angeblich auf Druck des Bürgervereins Anger-Crottendorf.
Parkraumerhebung hat gerade begonnen
Dieser Parkplatzabbau sei kontraproduktiv, meint der Verein, denn ein guter öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) oder Alternativen seien offenbar nicht geplant. Auch ein Parkraumkonzept fehle. Eine entsprechende Petition und die Beharrlichkeit der Anger-Crottendorfer habe nun nach über einem Jahr der "Bemühungen um Beachtung" immerhin zur Anordnung einer aktuell gestarteten Parkraumanalyse geführt. Neben dem Erhalt der beiden Garagenhöfe fordern Betroffene von der Stadt auch Stellplatz-Ersatz. Dort ließen sich überdies Ladestationen für E-Autos einrichten, so die Idee. Die Pächter errichteten die Anlage 1971/72 in Eigenregie und halten sie bis heute privat instand. "Das hat eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Geist sich aus der gemeinsamen Verantwortung und Arbeit entwickelt hat", erklärt Anwohner Lutz Hartung (80). Er bemüht sich dem Verein zufolge seit Jahren ohne nennenswerte Resonanz, Antworten zum Umgang der Stadt mit den Garagenhöfen zu erhalten.
Garagen zur Hobbypflege und zum Klönen
Jener Geist habe sich in den vergangenen 50 Jahren zum Teil auf ihre Kinder übertragen."Die Garagen sind für sehr viele Nutzer nicht nur Unterstellmöglichkeiten für Autos, sondern auch Begegnungsstätten, über Autos und Motorräder zu fachsimpeln, sie zu pflegen und sich gegenseitig zu helfen", betont Hartung. Selbst Oldtimer würden hier liebevoll gepflegt. Steffen Brabnik etwa sieht als Oldtimerfan die Felle seiner Hobbyschrauberei davonschwimmen. "Darauf hatte ich mich zum Ruhestand sehr gefreut", sagt er traurig. "Das ist für mich ein Ort der Begegnung, Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfe, Hobby- und Traditionspflege, aber auch eine Entlastung des öffentlichen Raums vom ruhenden Verkehr", fasst es auch Kerstin Kruber zusammen. Lutz Hartung resümiert: "Wir fordern von der Stadt, dass sie sich nicht bloß um Schulen kümmert, sondern auch um die Lebensbedingungen aller Menschen. Ich kann es nicht verstehen, dass man einen Stadtteil mutwillig ins Verkehrschaos stürzen will." Er macht deutlich: "Da der nächste Anschluss an den ÖPNV 850 Meter entfernt ist, werden die Autos gebraucht. Es ist kein Luxusgut!"
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