Pobershau. "In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische...". Mit diesen Worten beginnt nicht etwa ein aktueller medialer Kommentar. Sie stehen ganz oben auf der allerersten Erklärung des "Neue Forums". Gunter Arnold hat die Wendegeschehnisse in der Region Marienberg maßgeblich mitgeprägt. Vor allem in Bezug auf die freie Meinungsäußerung fühlt er sich heute an damals erinnert. Schon lange fühlt er die Schwarz-Weiß-Malerei in verschiedenen Medien. Vor allem die sozialen Netzwerke sind davon regelrecht geprägt.
Shitstorm wegen eines schlichten Posts
Ein Ereignis brachte nun das emotionale Fass zum Überlaufen. "Ursprung war ein relativ harmloser Post auf Facebook", erzählt der Pobershauer. Darin regte er völlig wertungsfrei an, sich zu den möglicherweise verunreinigten Teststäbchen zu informieren. "Daraufhin wurde ich verbal mit Steinen beworfen", so Gunter Arnold fassungslos. Oft reiche nur ein Funke und aus Worten werden Taten. "Wehret den Anfängen!", meint der ehemalige Jugendwart. Wenn das irgendwelche Trolle oder einfach nur Spinner gewesen wären, hätte er gar nicht reagiert. Die wenig frommen Wünsche stammten aber von jemandem, den der 63-Jährige genau kennt. "Das sind sonst ganz angenehme Stammkunden von uns", versichert er. Früher haben sie sich angenehm miteinander unterhalten. Heute wünscht ihm sein Stammgast, Gott möge Hirn oder Steine vom Himmel auf ihn schmeißen. Nur treffen solle er bitteschön.
Alle Meinungen sollten toleriert werden
Fälle wie dieser sind leider schon zum Normalfall in den sozialen Netzwerken geworden. "Das kann jeder beobachten, wenn er will", weiß Gunter Arnold. Deshalb wirbt er für verbale Abrüstung. "Man muss nicht einer Meinung sein. Allerdings dürfen wir nie die Achtung vor den anderen verlieren oder jemand seiner Meinung wegen geringschätzen", fordert er. Von den öffentlichen Medien wünscht er sich mehr Mut. Er wirbt für mehr öffentlichen Diskurs. Schließlich gehören neutrale Medien zu den Grundpfeilern der Demokratie. Befürworter und Kritiker sollten einander öffentlich gegenüberstehen und Argumente austauschen. "Keiner von uns ist Experte auf allen Gebieten. Aber jeder sollte in der Lage sein, den aus seiner Sicht besseren Argumenten zu folgen", so der Pobershauer.
Die Sache mit der Regierung
Momentan erhebe die Regierung jedoch das Monopol in Sachen Wahrheit. Kritiker würden ignoriert oder diffamiert. "Auch das erinnert mich an die Zeit vor der Wende", wirft er ein. "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht", donnerte es damals immer wieder aus Lautsprechern. Sorge bereitet ihm, dass Youtube Hunderttausende Videos gelöscht hat, weil sie nicht dem Maßstab der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprachen. "Das ist Meinungsdiktatur!", findet Gunter Arnold. Das Internet sollte ein freier Raum zur Meinungsäußerung sein. Damit hat jeder verantwortungsvoll umzugehen. Auf die Frage, wie die Wende verlaufen wäre, wenn es das Internet damals gegeben hätte, antwortet er: "Ich schätze, alles wäre anders gekommen. Wir hätten das gleiche Durcheinander gehabt wie heute." Ein Vorwärtskommen wäre wohl schwierig gewesen. Mit den Friedensdekaden hatte damals alles Anfang der 80er Jahre begonnen. Das waren jeweils zehn Tage lange Veranstaltungen zu bestimmten Themen.
Gunter Arnold war Jugendwart im damaligen Kirchenbezirk Marienberg. Menschlichkeit und Frieden waren damals immer wiederkehrende zentrale Punkte. Später trafen sich Menschen zu Friedensgebeten. Das würde sich Gunter Arnold auch heute wünschen. Die Kirche stehe in dieser Zeit vor ähnlich hohen Anforderungen wie in der Wendezeit. Eine zentrale Aufgabe kirchlicher Einrichtung ist es, ganz aktiv Frieden zu stiften zwischen den Menschen, Aufrufe gegen Hass zu starten und gegen Angst zu kämpfen. "Warum sollten nicht auch in Kirchen Kritiker und Befürworter mit einander auf Augenhöhe diskutieren?", so der ehemalige Jugendwart. Freier Meinungsaustausch auf Augenhöhe und Respekt im gegenseitigen Umgang sind für ihn Schlüsselwörter demokratischen Verhaltens. Diese sind seiner Meinung nach heute weiten Teilen der Gesellschaft abhanden gekommen. "Wir müssen wieder zu ihnen zurückkehren, sonst sind unsere 1989 erkämpfen demokratischen Errungenschaften mehr als gefährdet", so Gunter Arnold.