Meine Menstruation sollte schon vor drei Wochen kommen, meine Brüste spannen und mir ist übel. Liegt es an der Corona-Infektion, die ich vor kurzem hatte und die sich so auf meinen Zyklus auswirkt? Oder bin ich...schwanger? Sicherheitshalber mache ich einen Schwangerschaftstest. Die fünf Minuten fühlen sich an wie eine Ewigkeit. Und dann sehe ich sie: Die zwei Striche. Ich bin schwanger. Nach einem kurzen Schockmoment, weil ich damit nie gerechnet habe, überwiegt die Vorfreude. Ich nehme mein Handy und rufe meinen Mann an: "Schatz, du wirst Papa". In meinem Kopf rattern die Gedanken und ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Schließlich ist es das erste mal für uns beide. Wie läuft die Schwangerschaft ab? Worauf muss ich achten? Wann geht man zum Frauenarzt? Und dann fällt mir ein: Eine Bekannte ist Hebamme und sie sagte mal zu mir "Such dir eine Hebamme, sobald du weißt, dass du schwanger bist. Sonst findest du keine mehr." Unser Abenteuer beginnt also mit der Suche nach einer Hebamme. So oder so ähnlich würde es wahrscheinlich ablaufen, wenn ich schwanger wäre. 

Aber brauchen werdende Mütter Hebammen überhaupt?

Chrissi lebt gemeinsam mit ihrem Mann und zwei Kindern in einem Dorf in Sachsen. Die 27-Jährige schloss 2015 ihre Ausbildung zur Hebamme ab, arbeitet, mit Unterbrechungen, leidenschaftlich in dem Gebiet und teilt mit ihren Followerinnen und Followern auf ihrem Instagram-Account "hebammechrissi" ihre Erfahrungen. Sowohl die Hebammenarbeit als auch ihre persönliche Geschichte finden Platz in ihren Posts. Ich habe sie gefragt, wie wichtig der Job der Hebamme ist und worauf man bei der Hebammensuche achten muss:

1. Wann sollte man sich als werdende Mutter nach einer geeigneten Hebamme umschauen?

Ganz klare Antwort: Mit dem positiven Schwangerschaftstest, so früh wie möglich. Nicht erst auf einen Gynäkologie-Termin warten, dann ist es oft bereits zu spät.


2. Wie schwer ist es, eine Hebamme zu finden?

Durch den akuten Hebammenmangel, der schon seit Jahren besteht und immer heftiger wird, ist es sehr schwer eine Hebamme in der Umgebung zu finden. Es ist nicht selten, dass selbst eine Frau in der siebten Schwangerschaftswoche (SSW) bei mehreren Anfragen nur Absagen erhält. Beziehungsweise sind die meisten Hebammen so über- und ausgelastet, dass sie nicht mal mehr Absagemails verfassen können. Also am besten sehr früh testen, wenn man ahnt, dass man schwanger ist, und sofort ans Telefon setzen.


3. Was würdest du werdenden Müttern raten, worauf sie bei der Hebammensuche achten sollten?

Da die Betreuung durch eine Hebamme eine sehr sensible Lebensphase betrifft und die Frau beziehungsweise die Familie diese Person sehr nah an sich heranlässt, sollte die "Chemie" zwischen der Hebamme und der schwangerern Frau auf jeden Fall stimmen. Dafür gibt es einen Kennlerntermin, das sogenannte Vorgespräch, wo sich Hebamme und Schwangere kennenlernen und die ersten Fragen zur Schwangerschaft und zur Betreuung durch die Hebamme gestellt werden können. Dieses Vorgespräch kann eine Hebamme pro Frau nur einmal abrechnen, das bedeutet sogenannte "Hebammencastings" werden nicht von den Krankenkassen bezahlt. Aber auch hier muss ich sagen, dass es besser ist überhaupt eine Hebamme zu haben, als ganz alleine dazustehen. Zur Zeit ist es leider so, dass man nicht das Privileg hat, sich großartig eine Hebamme auszusuchen, man kann froh sein, wenn man überhaupt eine hat.
Wichtig ist noch der Hinweis, dass man sich ganz zu Beginn der Schwangerschaft (oder vielleicht schon vorher) überlegen sollte, welche Hebammenleistungen man gern in Anspruch nehmen möchte. Wünscht man sich beispielsweise eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus, muss man ganz schnell sein und die entsprechenden Hebammen auch so früh wie möglich mit dem positiven Schwangerschaftstest anfragen, weil es viel zu wenig Hebammen gibt, die diese Art von Geburtsbegleitung anbieten. Hebammen dürfen auch eine physiologische Schwangerschaft begleiten, das heißt die Vorsorgetermine können komplett durch die Hebamme erfolgen (außer die Ultraschalluntersuchungen), wenn das die entsprechende Hebamme anbietet und die Frau sich das auch wünscht und gesund ist.

4. Was sind die Aufgaben einer Hebamme während der Schwangerschaft?

Wie eben angerissen, darf die Hebamme eine gesunde Frau mit einer gesunden Schwangerschaft umfassend betreuen. Sie kann die Vorsorgeuntersuchungen machen, das heißt sie darf den Mutterpass ausstellen und die Krankengeschichte der Frau erheben. Sie ermittelt die Vitalzeichen wie Blutdruck, Puls und Temperatur, sie untersucht den Urin der Schwangeren, macht eine körperliche Untersuchung auf Krampfadern und Wassereinlagerungen, ermittelt das Gewicht der Frau. Eine Hebamme darf Blut abnehmen und bestimmte Parameter im Labor untersuchen lassen, sie kann in der entsprechenden SSW die Herztöne des Kindes und die Kindsbewegungen beurteilen, die Lage des Kindes und die Menge des Fruchtwassers ermitteln, und auch das Wachstum des Kindes mit gewissen Handgriffen und Maßen beurteilen. Im Verlauf der Schwangerschaft werden manchmal vaginale Untersuchungen und CTG- Kontrollen (Aufzeichnung der Herztöne des Kindes und der Wehentätigkeit) notwendig, auch das sind Aufgaben einer Hebamme. Ultraschalluntersuchungen sind Arztaufgabe.
Des weiteren steht die Hebamme der Frau auch für Fragen oder Beschwerden zur Verfügung. Wenn die Hebamme Abweichungen vom normalen Schwangerschaftsverlauf feststellt, muss sie dementsprechend reagieren und die Frau zu einem Facharzt weiterleiten. Zudem bereitet eine Hebamme die Frauen auf die Geburt vor durch einen Geburtsvorbereitungskurs.
Nicht jede Hebamme bietet alle Leistungen an, das bitte immer erfragen. Manche Hebammen haben sich in spezielle Richtungen fortgebildet und können den Frauen bei Beschwerden zum Beispiel durch Akupunktur, Taping, Aromatherapie usw. weiterhelfen und Symptome lindern.

5. Wie unterstützt die Hebamme die Mutter während der Geburt?

Alle möglichen Aufgaben einer Hebamme unter der Geburt aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen. Hier die Wichtigsten:
Sie empfängt die Schwangere am Geburtsort und prüft, ob es sich um einen Geburtsbeginn handelt. Sie begleitet und unterstützt die Familie emotional und körperlich unter der Geburt und gibt Hilfestellungen und Vorschläge. Sie informiert das Paar über den Geburtsverlauf und über Möglichkeiten der Wehenverarbeitung und Schmerzlinderung. Sie spricht Mut zu. Sie leitet die Frau zur Atmung an. Sie macht körperliche Untersuchungen wie Blutentnahmen, vaginale Untersuchungen zur Feststellung der Muttermundseröffnung und des Geburtsfortschritts. Sie dokumentiert ihre Arbeitsschritte und den Geburtsverlauf genau. Sie kontrolliert die Wehentätigkeit und die Herztöne des Kindes und die Vitalzeichen der Mutter. Sie verabreicht Medikamente und gegebenenfalls Infusionen. Sie stellt mögliche Abweichungen fest und informiert ärztliches Personal. Sie führt ärztliche Anordnungen durch und arbeitet mit dem ärztlichen Personal im Team. Sie beobachtet den Geburtsverlauf und greift nur ein, wenn es notwendig wird. Sie leitet den Partner zu Massagen an oder führt diese selbst durch. Sie bereitet den Geburtsraum für die Geburt vor. Sie informiert über mögliche Geburtspositionen. Eine Hebamme empfängt das Baby mit ihren Händen oder leitet die Frau an, es mit ihren Händen zu tun und unterstützt die Frau während der Geburtsphase. Eine Hebamme darf einen Dammschnitt machen, wenn es notwendig ist. Das Beurteilen des Zustandes des neugeborenen Babys in den ersten Lebensminuten ist ebenfalls Hebammenaufgabe. Eine Hebamme müsste im Fall der Fälle ein Kind (oder auch die Frau) reanimieren können. Sie leitet den Vater oder die Mutter zum Abnabeln an oder tut es selbst. Sie überwacht die Geburtsphase des Mutterkuchens und beurteilt die Blutung während dieser Phase und leitet entsprechende Maßnahmen ein. Eine Hebamme kann den Mutterkuchen untersuchen und feststellen, ob sich noch Reste in der Gebärmutter befinden. Auch das Inspizieren der möglichen Geburtsverletzungen und das Versorgen von kleinen Geburtsverletzungen kann zu den Aufgaben einer Hebamme gehören. Sie leitet die Mutter gegebenenfalls beim ersten Stillen an und führt die Erstversorgung des Neugeborenen durch. Sie darf die erste Untersuchung (U1) durchführen und dokumentieren und dabei die Maße und das Gewicht ermitteln. Sie überwacht die Frau nach der Geburt und begleitet sie beim ersten Aufstehen. Sie widmet sich den Formalitäten, die nach einer Geburt zu erledigen sind und räumt den Geburtsraum auf und reinigt ihn.

6. Ist eine Hebamme auch nach der Geburt noch für die Mutter da?

Ja, natürlich. Sollte die Geburt im Krankenhaus stattgefunden haben, sind auf der Wöchnerinnenstation meistens auch Hebammen (oder eben Kinderkrankenschwestern), die die Familie nach der Geburt die ersten Tage unterstützen. Aber auch eine ambulante Geburt oder außerklinische Geburten sind möglich, so dass die Wochenbetthebamme wenige Stunden nach der Geburt den ersten Hausbesuch macht. Dabei schaut die Hebamme, wie es Mutter und Kind geht, und ob es Auffälligkeiten oder Probleme gibt, die sie entweder selbst durch Ratschläge oder Handgriffe oder durch entsprechende Weiterleitung an ärztliches Personal oder Kliniken löst. Sie kommt in den ersten sechs bis acht Wochen regelmäßig zu Besuch. Sie kontrolliert dabei den Gewichtsverlauf des Kindes, so wie dessen Vitalzeichen und den Allgemeinzustand, die Ausscheidung, den Nabel, den Windelbereich, das (Trink)verhalten und weiteres. Die Mutter steht mit ihren Bedürfnissen besonders im Fokus, da es für sie eine sehr herausfordernde Situation sein kann. Die Hebamme begleitet sie emotional durch diese heftige Lebensphase und spricht eventuell nochmal die Geburt mit ihr durch. Sie schaut sich das Stillen an und gibt Hilfestellungen bei Problemen. Die beurteilt die Rückbildung der Gebärmutter, sowie die Heilung der Geburtsverletzungen, gibt Hilfe bei Problemen mit der Ausscheidung und untersucht die Frau körperlich, zum Beispiel auf Wassereinlagerungen, Krampfadern, Thrombosen usw. Sie muss alles genau dokumentieren und archivieren. Auch hier ist die Aufzählung nicht vollständig, Hebammen leisten so viel, auch Dinge, die man nicht unbedingt sieht.

7. Wie ist die derzeitige Situation für Hebammen? 

Die Arbeitsbedingungen in den Kreißsälen werden seit Jahren gefühlt immer schlechter. Viele Geburten auf wenig Personal bedeutet viel zu viele Gebärende pro Hebamme in der normalen Schicht. Eine 1:1-Betreuung ist Voraussetzung für eine ungestörte natürliche Geburt und erleichtert so vieles und bietet vor allem Sicherheit. Diese leidet erheblich unter den Bedingungen. Viele Hebammen hängen ihren Job gewollt oder ungewollt an den Nagel, was die Situation nicht besser macht. Freiberufliche Hebammen können sich ihre Arbeit oft besser einteilen, ersticken aber wie gesagt an Anfragen und die Bezahlung lässt zu wünschen übrig, was die Motivation weiterzumachen, nicht gerade steigert. Von den Benzinpreisen ganz zu schweigen. Politisch engagieren sich immer mehr (junge) Hebammen, was Hoffnung macht. Frühestens 2023 werden neue Verhandlungen für die Vergütung von freiberuflichen Hebammen durchgesetzt, was auch ein bisschen Hoffnung macht, dass man selbstständig arbeiten kann, ohne sich dabei selbst zu vergessen vor lauter Arbeit und dennoch gut davon leben zu können. Mit der Veränderung des Hebammengesetzes hat nun das Hebammenstudium die Hebammenausbildung abgelöst, die Hoffnung ist, dass so der Beruf beliebter wird und sich mehr Frauen und Männer für diesen Beruf entscheiden.


8. Was ist das schönste, das du als Hebamme erlebt hast?

Das Schönste war, dass ich eine Freundin bei der Geburt ihres Sohnes begleitet habe. Das war ein unbeschreibliches Gefühl.


9. Was das schlimmste?

Das schlimmste Erlebnis war eine Geburt, bei der das Kind im Mutterleib Kindspech (der erste Stuhlgang des Kindes, der manchmal schon im Mutterleib abgesetzt wird) in die Atemwege bekommen hat und nach zwei Minuten nach der Geburt schlapp und blass wurde, weil es dadurch nicht genügend Luft  bekam und reanimiert werden musste: meine erste Reanimation. Gott sei Dank war ich nicht alleine. Es ist alles gutgegangen. Aber das Adrenalin kann ich noch heute fühlen, wenn ich daran zurückdenke.


10. Einige Mütter finden die Arbeit der Hebammen überflüssig. Was ist deine Meinung dazu?

Nach dieser Auflistung, die noch lange nicht vollständig ist, erübrigt sich, denke ich, diese Frage. Hebammen sind medizinisches Personal, die aus der Schwangerschaft, Geburtshilfe und aus der Betreuung im Wochenbett nicht wegzudenken sind. Ihre Fähigkeit, die Frau und die Familie emotional aufzufangen, sie zu unterstützen, zu ermutigen und anzuleiten, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und "das Normale" vom "Krankhaften" zu unterscheiden ist unersetzbar und die Frauen profitieren ungemein von einer gute Hebammenbetreuung, Stichwort Prophylaxe. (Stillprobleme, Ernährungsprobleme, psychische Erkrankungen und Probleme im Wochenbett und so weiter).

Internationaler Tag der Hebammen

Seit 1991 findet jährlich am 5. Mai der internationale Tag der Hebammen statt. Dieser Aktionstag wird genutzt um auf die schwierige berufliche Situation der größtenteils freiberuflichen Hebammen, die auch Chrissi beschreibt, aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren. Seit der Jahrtausendwende sind die Versicherungsprämien für die Berufshaftpflichtversicherung freiberuflicher Hebammen drastisch angestiegen und stellen viele vor existenzgefährdende, finanzielle Probleme. 

Mein Schlusswort: Hebammen sind alles andere als überflüssig. Die Welt braucht Hebammen mehr denn je. Unterstützt Geburtshelferinnen und -helfer. Im Namen der Redaktion danke ich allen, die in diesem Berufsfeld arbeiten. Ihr seid klasse!