"Das ist so geisteskrank!", "Das Konzert war geisteskrank!", "Das schmeckt geisteskrank gut", "Bist du behindert?" oder ähnliche Phrasen sind mir bereits häufiger im Alltag aufgefallen. Oft nutzen wir Menschen solche Begriffe unbewusst, ohne sich der Wirkung oder Tragweite bewusst zu sein. Vor allem aber ist es in der Jugendsprache auffällig. Doch Worte wie diese können verletzend und stigmatisierend sein - vor allem für Menschen, die mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen zu kämpfen haben. Warum es an der Zeit ist, solche Begriffe aus dem Wortschatz zu streichen und wie man sensibler mit Sprache umgehen kann, darum geht es in diesem Artikel.
Was ist Stigmatisierung?
Stigma stammt aus dem Griechischen und kann mit "Markierung, Zeichen, Brandmal" gleichgesetzt werden. Sie prägten den Begriff, um visuell erkennbare Zeichen zu beschreiben, die an Körpern von Sklaven, Verbrechern, Verrätern durch Brennen oder Stechen angebracht wurden. Diese Kennzeichnungen galt als Abgrenzung zu den "gewöhnlichen" Menschen.1 Stigmatisierung versteht sich in der psychologischen Fachsprache als ein Prozess, bei dem Menschen oder Menschengruppen aufgrund bestimmter Merkmale, Verhaltensweisen oder Eigenschaften negativ bewertet und von der Gesellschaft abgegrenzt werden. Es ist keine Seltenheit, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen davon betroffen sind. 2 Menschen mit psychischen Erkrankungen erfahren in der Gesellschaft verschiedene Formen der Diskriminierung. 3 Als weitere Beispiele gelten: Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Herkunft und viel mehr noch. 4
Was ist Ableismus?
Ableismus liegt vor, wenn Menschen aufgrund ihrer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten benachteiligt und auf diese Eigenschaften reduziert werden. Fachlich bezeichnet Ableismus die Praxis, Menschen mit Behinderungen auf Merkmale zu beschränken, die sie von der vermeintlichen "Norm" abweichen lassen. Dies kann sowohl sichtbare Merkmale wie ein Rollstuhl als auch unsichtbare, wie eine psychische Erkrankung, betreffen. Ohne die betroffene Person zu kennen oder mit ihr zu sprechen, wird dann oft voreilig geschlossen, was sie vermeintlich leisten kann oder wie sie sich fühlt. 5
Verschiedene Formen von Ableismus
Ableismus tritt häufig in alltäglichen Situationen auf, aber auch im Gesundheitswesen, am Arbeitsplatz oder bei Behörden und kann sich in verschiedenen Formen zeigen. Eine Art zeigt sich darin, dass Menschen aufgrund ihrer Behinderung ungleich behandelt und abgewertet werden. Zudem kann Ableismus auch durch eine vermeintlich positive Bewertung zum Ausdruck kommen. Hierbei wird einer Person mit Behinderung gesagt, sie sei "trotz ihrer Behinderung" zu etwas in der Lage. Beide Formen sind diskriminierend gegenüber Menschen mit Behinderung. Der Begriff Ableismus leitet sich vom englischen Wort "ableism" ab, das aus "to be able" (auf Deutsch "fähig sein") und der Endung "-ism" besteht, die im Deutschen mit "-ismus" übersetzt wird. 5
Der problematische Gebrauch von "geisteskrank"
Der Begriff "geisteskrank" wird verwendet, um Verhaltensweisen zu beschreiben, die irrational, extrem oder unverständlich erscheinen, oder um jemanden oder etwas in einem negativen Zusammenhang als "verrückt" oder "durchgeknallt" abzuwerten. Doch was viele nicht bedenken: Der Begriff stammt aus der Medizin und bezeichnet ernsthafte psychische Erkrankungen.
Verharmlosung von psychischen Krankheiten
Wenn Menschen solche Begriffe also in abwertender Weise gebrauchen, wird nicht nur das Leiden von Betroffenen verharmlost, sondern auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychischer Erkrankungen verstärkt. Menschen mit psychischen Erkrankungen kämpfen oft nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit Vorurteilen. 2 Die Verwendung von Begriffen wie "geisteskrank" im Alltag trägt dazu bei, dass psychische Probleme weiterhin tabuisiert werden und sich Betroffene ausgegrenzt fühlen.
Andere problematische Begriffe
Neben "geisteskrank" gibt es viele weitere Wörter, die oft unbedacht verwendet werden, die aber ähnliche Probleme verursachen. Hier einige Beispiele:
- "Irrenhaus"
- "Hysterisch"
- "Behindert"
- "Junkie"
- "Alkoholiker"
- "Krüppel"
- "Schwul"
Warum eine bewusste Wortwahl so wichtig ist
Sprache formt unsere Realität. Wenn wir uns für einen respektvolleren Sprachgebrauch entscheiden, schaffen wir eine Umgebung, die offener und inklusiver ist. Gerade im Hinblick auf psychische Gesundheit oder körperliche Behinderungen kann eine respektvolle Sprache dazu beitragen, Stigmatisierungen zu reduzieren und mehr Akzeptanz zu fördern. Doch das bedeutet nicht, dass die Sprache komplett umgestellt werden muss - es geht eher darum, sich der Wirkung bestimmter Wörter bewusst zu werden und Alternativen zu finden, die weniger verletzend sind. Es gibt immer Möglichkeiten, sich bewusster auszudrücken, ohne auf problematische Begriffe zurückzugreifen. Statt "geisteskrank" könnte zum Beispiel Begriffe wie "absurd", "unverständlich" oder "irrational" verwendet werden - je nachdem, was gemeint wird. Wichtig ist, dass sich darum bemüht wird, niemanden herabzuwürdigen oder Vorurteile zu stärken.
Niemand ist perfekt
Der unbewusste Gebrauch von verletzenden Begriffen ist kein Weltuntergang. Eine einfache, aber wirkungsvolle Alternative hierfür, ist, sich dafür zu entschuldigen - wenn man das möchte. Es ist wichtig, sich dieser negativen Auswirkungen bewusst zu werden und die eigene Sprache zu reflektieren.
Disclaimer: Viele weitere Gruppen von Menschen sind ebenfalls von Stigmatisierung betroffen, die in diesem Artikel nicht behandelt werden. Der Artikel soll auf das oben genannte Thema aufmerksam machen, zum Nachdenken anregen und zum Verständnis dienen. Es gibt zahlreiche weitere Facetten, die hier nicht abgebildet sind. Die in diesem Artikel verwendeten Begriffe sind nicht als persönliche Angriffe oder Verurteilungen zu verstehen. Vielmehr sollen sie Teil eines größeren Dialogs über die Verwendung von Sprache und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft sein. Es wird betont, dass jeder Lern- und Wachstumsprozess individuell ist und der Austausch von Erfahrungen und Perspektiven förderlich sein kann.
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1 Goffman, E. (1963). Stigma - Notes on the Management of Spoiled Identity.
2 Aktionsbündnis Seelische Gesundheit. Stigmatisierung. https://www.seelischegesundheit.net/wissen/stigma/
3 Angermeyer, M. C. (2004). Stigmatisierung psychisch Kranker in der Gesellschaft. Psychiatrische Praxis, 31(2), 246-250. https://doi.org/10.1055/s-2004-828477
4 EnableMe Stiftung MyHandicap. Stigmatisierung: Wenn man durch eine Eigenschaft unsichtbar gemacht wird. https://www.enableme.de/de/themen/stigmatisierung-wenn-man-durch-eine-eigenschaft-unsichtbar-gemacht-wird-9798
5 Aktion Mensch e.V. Was ist Ableismus? https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion/ableismus
Weitere Informationen zum Thema gibt es hier:
https://leidmedien.de/begriffe-ueber-behinderung-von-a-bis-z/
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.: https://www.dgppn.de/
erschienen am 16.10.2024