Weltweit erkrankt alle 27 Sekunden ein Mensch an Blutkrebs. Meist ist eine Stammzellspende die letzte Überlebenschance. Jedoch muss dafür ein Teil der menschlichen DNA vollständig mit der einer anderen Person übereinstimmen. Die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Spender zu finden, der nicht mit einem verwandt ist, ist sehr gering. Sie schwankt zwischen 1:10.000 bis 1: mehreren Millionen. Daher rechnet man eigentlich nicht damit, jemals für eine Spende in Frage zu kommen; anders aber bei mir!
Registrierung mit 17 Jahren
Es ist mittlerweile schon ein Jahr her, als ich einer an blutkrebserkrankten Person eine zweite Lebenschance schenken durfte. Ich habe meine Stammzellen gespendet. Mit bereits 17 Jahren registrierte ich mich als potenzielle Stammzellenspenderin bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, kurz DKMS. Mit der Volljährigkeit wird man dann sofort in die Datenbank aufgenommen. Schon in diesem jungen Alter wusste ich, das ich, falls mein genetischer Zwilling meine Hilfe benötigt, diese auch leisten möchte. Ich hätte jedoch nicht damit gerechnet, dass ich so schnell gebraucht werde. Im Oktober 2022, und damit vier Jahre nach meiner Registrierung, erhielt ich diese Nachricht von der DKMS:
"Liebe Luise, Sie sind bei der DKMS als potenzielle Stammzellspenderin registriert. Aus einem wichtigen Grund bitten wir Sie um einen Rückruf."
Als ich diese Nachricht erhielt; ich weiß es noch genau; saß ich auf meinem Bett und war allein zu Hause. Ich war sehr nervös und ich konnte das Ausmaß dieser Nachricht noch überhaupt nicht erfassen. Nachdem ich die Nachricht setzen lassen habe und mit meiner Mutter telefoniert habe, entschied ich mich so schnell wie möglich bei der DKMS zurückzurufen. Als ich dann erfahren habe, dass ich einem Menschen eine zweite Lebenschance schenken kann, war ich unbeschreiblich glücklich. Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, ob ich noch bereit bin zu spenden. Ich hatte dann ein sehr nettes Gespräch mit einem Mitarbeiter der DKMS, der mir Fragen zu meiner Spendenbereitschaft und Gesundheit stellte und mit mir anstehende Termine meinerseits abklärte. Dies war für die Planung der Spende sehr wichtig. Außerdem klärte er mich über die Spende und die möglichen Entnahmeverfahren auf.
Die möglichen Entnahmeverfahren
Es gibt zwei Entnahmeverfahren zur Stammzellgewinnung. In 90% der Fälle werden die Stammzellen durch ein spezielles Verfahren namens Apherese aus dem Blut gewonnen. Dabei werden an beiden Armen Zugänge gelegt, ähnlich wie bei einer Blutspende, und die Stammzellen werden aus dem Blut gefiltert. Um die Stammzellenproduktion anzukurbeln, muss fünf Tage vor der Spende der Wachstumsfaktor G-CSF gespritzt werden. Der hormonähnliche, körpereigene Stoff sorgt für eine vermehrte Produktion von Stammzellen und deren Ausschwemmung in die Blutbahn. Dabei können grippeähnliche Symptome auftreten. Die zweite Entnahmemöglichkeiten, die nur in 10% Fällen in Frage kommt, ist die Knochenmarkentnahme. Dazu wird unter Vollnarkose zirka ein Liter Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenkamm entnommen. Das Knochenmark regeneriert sich innerhalb weniger Wochen.
Bei mir wurde zuallererst die Knochenmarkentnahme vorgesehen. Auch hier wurde mit mir alles abgesprochen und mich aufgeklärt. Ich hätte jederzeit widersprechen können und zum Beispiel nur eine periphere Stammzellspende in Erwägung ziehen können. Jedoch wollte ich alles tun, um meinem genetischen Zwilling zu helfen. Später wurde jedoch entschieden, dass ich doch peripher Stammzellen spenden soll.
Erneuter genetischer Abgleich
Um meine genetischen Daten nochmals abzugleichen und bestätigen zu lassen, musste ich eine Blutprobe entnehmen lassen und übersenden. Dazu erhielt ich ein Blutentnahmeset, mit dem ich zu meinem Hausarzt gegangen bin. Diese Untersuchung dient der Sicherheit der Patienten und zeigt, dass man tatsächlich der "genetische Zwilling" einer an blutkrebserkrankten Person ist. Ich erhielt zeitnah den Anruf das ich wirklich in Frage komme. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Spende konkret geplant. Es kann unterschiedlich viel Zeit vergehen, bis die Stammzellspende stattfindet. Bei einigen Patienten zählt jeder Tag, daher muss es oftmals sehr schnell gehen. Bei anderen Patienten können hingegen sogar mehrere Monate vergehen. Hierbei wurde sich, inwieweit es möglich war, auch nach meinen Terminen orientiert und so stand schon bald ein Termin für die Spende und die vorgesehene Voruntersuchung fest.
Ausführlicher Check-Up des Körpers
Bei einer ausführlichen Voruntersuchung wurde der gesamte Körper durchgecheckt. Dabei wurden unter anderem eine Anamnese und eine körperliche Untersuchung mit EKG, Ultraschall, Blutabnahme und der Bestimmung der Laborwerte durchgeführt. Damit wird sichergestellt, dass für Spender und Patient die Stammzellspende risikolos ablaufen kann. Erst als alle meine Fragen geklärt waren, unterschrieb ich die endgültige Einverständniserklärung zur Spende. Ein paar Tage später bekam ich die Testergebnisse der ärztlichen Untersuchung. Auch hier gab es keine Einwände gegen die Spende. Der Gedanke, gesund zu sein und helfen zu können, überwältigte mich.
Spende verschoben
Nach etwas Wartezeit sollte es in wenigen Tagen losgehen, jedoch kontaktierte mich meine Betreuerin von der DKMS, dass "meine Patientin" leider eine Infektion bekommen hatte und die Spende deshalb nicht wie geplant stattfinden konnte. Lebensgefahr bestand glücklicherweise zu keinem Zeitpunkt. In diesem Moment wurde mir noch einmal bewusst, dass eine Spende jederzeit abgesagt werden kann, da der gesamte Prozess immer vom Patienten und seinem Gesundheitszustand abhängt. In meinem Fall wurde die Spende jedoch nur um einen Monat verschoben.
Fünf Tage vor der Spende habe ich dann angefangen, mir den Wachstumsfaktor zu spritzen, der die Produktion der Stammzellen im Blut anregen soll. Diese Spritzen verträgt jeder unterschiedlich. Als Nebenwirkungen können grippeähnliche Symptome auftreten, deren Schweregrad sehr individuell ausgeprägt sein kann. Ich persönlich habe sie leider nicht so gut vertragen und hatte an den Tagen vor der Spende Kopf- und Gliederschmerzen, die aber nach der Spende sofort abklangen. Ich habe trotz der Nebenwirkungen immer weiter gemacht und es bis zum Schluss durchgezogen. Darauf kann ich stolz sein. Trotzdem war es eine kleine Belastung im Vergleich zu dem, was "meine Patientin" durchmachen musste. In der ganzen Zeit bis zur Spende und darüber hinaus stand ich in intensiven Austausch mit den Mitarbeitern der DKMS und habe mich wirklich sehr aufgehoben gefühlt.
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Der Spendevorgang mit der Apheresemaschine, mit der das Blut gefiltert wird. Foto: Luise Malinka
Der Tag der Spende
Am Tag der Spende fuhr ich früh zum Entnahmezentrum. Dieses lag in der Nähe meines Wohnortes, so dass ich kein extra Hotelzimmer benötigte. Alle Kosten, die während der gesamten Prozedur anfallen, wie Hotelkosten, Fahrtkosten etc. werden von der DKMS übernommen. Dort angekommen, wurde ich von einem großartigen Team aus Ärzten und Krankenschwestern liebevoll betreut. Ich kam in einen Spenderaum, in denen insgesamt drei weitere Personen mit mir spendeten. An beiden Armen wurde jeweils ein Zugang gelegt. Leider gestaltete sich dies bei mir etwas schwieriger, da die Nadeln für meine Statur immer noch zu groß waren. Deshalb bekam den zweiten Zugang, nicht wie vorgesehen in die Armbeuge, sondern an die Handoberseite. Folglich konnte ich, nicht wie andere Spender, meine eine Hand normal bewegen und war während der Spende auf mehr Unterstützung angewiesen. Die Spende dauert normalerweise durchschnittlich 3-5 Stunden. Durch meinen holprigen Start konnte ich den Spenderaum als letztes von den insgesamt vier Spendern nach über fünf Stunden verlassen.
Meine Spende ging an…
Nach der Spende ging es mir, wie es mir versprochen wurde, deutlich besser. Die grippeähnlichen Symptome waren weg und ich fühlte mich nur noch ein wenig erschöpft. Zu Hause musste ich erst einmal verarbeiten, was man an diesem Tag wirklich geleistet hatte.
Noch am selben Tag konnte ich bei der DKMS anrufen, um zu erfahren, wer meine Spende erhält und wohin sie geht. Ich habe Stammzellen für ein Mädchen im Grundschulalter aus Großbritannien gespendet. Diese Informationen erhalten zu dürfen, war überwältigend und machte das, was ich getan hatte, noch realer. Da gab es ein kleines Mädchen, was meine Hilfe brauchte, und ich habe alles getan, um ihr und ihrer ganzen Familie zu helfen. Meine Gedanken waren ab der Nachricht im Oktober 2022 ständig und umso stärker nach dem Spendevorgang bei ihr. Ich stellte mir vor, wie meine Stammzellen auf die Reise gingen, und das Mädchen erreichten. Zu jeder Zeit bangte ich um eine erfolgreiche Transplantation; gleich wohl war mir bewusst, dass ich auf diese hoffentlich positive Nachricht noch mindestens sechs Monate warten musste. Keine Worte könnten beschreiben, wie sich das angefühlt hat.
Nachricht aus Großbritannien
Ob, wann und auf welche Weise ein Kontakt zwischen Spender und Patient erlaubt ist, hängt von den jeweiligen Regeln der verschiedenen Länder ab. Überall gilt mindestens eine zweijährige Anonymitätsfrist. In Großbritannien sind Auskünfte zum Gesundheitszustand nur einmalig nach sechs Monaten möglich. Dabei ist die DKMS auf die Kooperation der Kliniken in Großbritannien angewiesen. Umso erleichterter konnte ich im Dezember 2023 die Nachricht empfangen, dass die Patienten in Folge einer Nachuntersuchung die ersten kritischen Monate überstanden hat. Der Erhalt weiterführender Informationen sind nur durch einen einmaligen anonymen Brief meinerseits über die DKMS an die Patientin möglich. Diese Kontaktmöglichkeit möchte ich alsbald nutzen.
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Ich habe Stammzellen gespendet. Foto: Luise Malinka