Tinder, oder: Wie eine Datingapp uns nur trauriger und einsamer macht

Jonahs Kommentar Wer dachte, Tinder hat das Ziel, Menschen zusammenzubringen, der täuscht sich gewaltig

Wie kann es sein, dass sich eine Datingapp wie Tinder das Ziel gesetzt hat, dass ich möglichst wenig Dates habe? Diese Frage ist kürzlich die YouTuberin Alicia Joe in ihrem Video "Wie Tinder dich bewertet & unglücklich macht" nachgegangen. Und obwohl ich davor schon einmal flüchtig etwas davon gelesen habe, war ich doch recht schockiert.

 

Meine Erfahrung mit der App

Ich weiß noch wie es war, als ich mir die App frisch installierte. Eigentlich wollte ich nur mal aus Neugierde reinschauen, mal schauen wie das so funktioniert. Da ich nicht der extrovertierteste Mensch bin und auf Menschen zuzugehen nicht unbedingt zu meinen Stärken gehört, erschien mir die Plattform auch als eine recht bequeme Möglichkeit, um jemanden kennenzulernen. Der Anfang lief auch recht gut, gleich in den ersten Tagen gab es einen Haufen "Matches", also Frauen, welche mich ebenfalls mit einem Wisch nach recht geliked haben. Ich denke das Prinzip von Tinder sollte, fast genau zehn Jahre nach dessen Erscheinen, den meisten Menschen bekannt sein. Doch mit der Zeit nahm der "Erfolg" ab. Tinder gab mir immer weniger Matches, woraus sich folgenderweise eben auch weniger Dates ergaben. Neulich habe ich auf der Website "Tinder Insights" mal aus Neugier meine Statistiken abgerufen. Und um es kurz zu machen: Statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit auf ein Date bei einem Swipe nach rechts mit einer Person bei 0,03 Prozent. Kein Wunder, dass manche Menschen bei ihrem Partner von einem Lottogewinn sprechen. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall zu sterben, ist mit 0,8 Prozent mehr als 26 mal so hoch. Nun könnte man mir vorwerfen, es liege an meinem Aussehen, unvorteilhaften Bildern oder eine schlechte Beschreibung. Doch dass diese Parameter nur sehr wenig mit dem Erfolg auf der Plattform zu tun haben, schildert Alicia Joe sehr gut.

 

Tinder hat kein Interesse an Matches

Denn selbst ein Mitbegründer der App Tinder sagt, dass "niemand auf Tinder geht, weil er oder sie etwas suchen. Sie gehen dahin, um Spaß zu haben. Es ist nicht mal wichtig, ob man Matches bekommt, weil das Swipen soviel Spaß bringt." Das diese Aussage völliger Schwachsinn ist, zeigt eine Studie aus den USA, in der 54 Prozent der befragten angeben, einen festen Partner dort zu suchen. Doch Benutzer der App sind eben auch mögliche zahlende Kunden. Um Menschen langfristig auf Tinder zu halten, nutzt die App wohl perfide Parameter und Algorithmen. Einer dieser Algorithmen sei der "Elo-Score". Tinder rankt dein Profil aufgrund verschiedenster Faktoren ein. Zum Beispiel fliest in die Bewertung mit ein, ob man viele Profile nach rechts wischt und so eher verzweifelt wirkt. Oder wie viele andere Nutzer einen selber liken oder auf Nachrichten antworten.

Tinder selbst sagt, sie lesen aus Bildern ab, ob man zum Beispiel gerne in der Natur oder auf Festivals unterwegs sei. Der Verdacht, dass sie mit ihrer künstlichen Intelligenz auch ästhetische Parameter auslesen, liegt nahe. Es wird vermutet, dass entgegen den Behauptungen von Tinder, mehr Aktivität eben nicht zu mehr Erfolg führt. Die App belohnt einem nicht regelmäßigen Matches, um einen als (potenziell Zahlenden) Kunden zu halten. Sie nutzt den psychologischen Effekt der Intermittierenden Verstärkung aus. Dieses Phänomen sagt aus, dass Menschen ein Verhalten erlenen, indem sie unregelmäßig dafür Belohnungen erhalten, in diesem Falle Matches. Es werden einem also ganz gezielt mögliche Matches vorenthalten, um einen noch mehr an die App zu binden. Eine gefährliche Nähe zum Glückspiel wie etwa an einem Einarmigen Banditen ist hier offensichtlich.

 

Alles Oberflächlichkeit?

Natürlich kann man jetzt sagen, dass es auf Tinder doch sowieso nur um Oberflächlichkeiten gehe. Man wisse ja schon vorher, dass beim "Swipen" ja nur der äußere Eindruck zu einer Entscheidung führt. Doch das Problem daran ist, dass Tinder bei dieser Problematik eben noch ordentlich mithilft. Der optische Filter lässt wichtige Faktoren wie den Charakter allgemein oder beispielsweise den Geruch und den Intellekt hinten runterfallen. Das ist nicht unbedingt die Schuld der Entwickler, ist aber auch nicht die beste Werbung für die App.

 

Angebot und Nachfrage

Ein weiteres Problem betrifft vor allem heterosexuelle Männer. Laut einer Studie sind 75 Prozent der Benutzer männlich. Das bedeutet umgerechnet: Im Schnitt "kämpfen" drei Männer um eine Frau. Die Problematik wird in einem angeführten Experiment von einem anderen YouTuber deutlich. Dieser hat jeweils für sich und seine Freundin ein Tinder-Profil angelegt und jeweils gleich oft nach rechts gewischt. Das Ergebnis ist unfassbar. Während er mit seinem Profil fünf Matches hatte, hatte sie 1129. Da kann man schon von einem signifikanten Unterschied sprechen. Das ist natürlich keine repräsentative Umfrage, zeigt aber dennoch ganz gut, wie unterschiedlich das Angebot und die Nachfrage auf beiden Geschlechterseiten sind. Genauso unterschiedlich sind auch die "Ansprüche". Die Grafik im zweiten Bild zeigt, wie attraktiv eine Frau ist und wie attraktiv die Männer sein müssen, damit sie ihnen ein Like gibt. Beispielsweise liken Frauen, welche auf einer Attraktivitätsskala eine 10/10 sind, (also enorm attraktiv), vor allem Männer, welche auch eine 10/10 sind. Dies klingt noch ganz logisch, nun aber das "Problem": Frauen, welche eine 4/10 sind, sind enorm anspruchsvoll und liken hauptsächlich Männer mit einer Attraktivität von 9/10 oder höher. Es gibt natürlich mehr als genug Ausnahmen und jeder Mensch darf für sich selbst entscheiden, wie der potenzielle Partner aussehen soll, jedoch führt dieses Auswahlverfahren mathematisch zu einer krassen Disbalance.

 

Mein Fazit

Gerade in Zeiten der Coronakrise hätte Tinder eine tolle Möglichkeit sein können, um sich zu vernetzten und neue Menschen kennenzulernen. Das Prinzip ist simpel und genial, und gerade für eher introvertierte und schüchterne Menschen ist es so viel leichter, einen potenziellen Partner zu finden. Doch die App-Entwickler haben dies nicht im Sinn. Durch ihre Algorithmen und perfiden Tricks haben sie statt dem menschlichen Glück nur eins im Sinn: Aus dem Kunden möglichst viel Geld auspressen und ihn möglichst lange an die App fesseln. Während man früher wohl als Romantiker die Liebe als die letzte unkäufliche Sache der Welt gesehen hat, quetscht Tinder im besten Sinne der Geldgier auch hier die Gesellschaft aus. Da hilft nur noch der kalte Entzug mit der Deinstallation.

 

 


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