Du lässt mich doch nicht mit dem Gefühl allein, ich wäre die Einzige, die nach dem Abitur nicht wusste "Wohin mit mir?". In meinen letzten Schuljahren hatte ich kaum Hobbys, war in keinem Verein eingetragen und hatte auch sonst wenig Tätigkeiten, denen ich nach der Schule nachging - gut, war ja auch kaum Zeit dafür. Doch die Tatsache, dass ich kaum Interessen hatte, die ich mit einem Berufswunsch verknüpfen konnte, machte mir im Verlauf des letzten Schuljahres immer mehr zu schaffen. Denn mit dem Abschlusszeugnis in der Hand musste ich doch wissen, was ich werden will. Oder nicht?
Muss ich mich für immer festlegen?
Natürlich könnte ich jetzt dem Bildungssystem die Schuld für meine Planlosigkeit in die Schuhe schieben. Schließlich hatte ich kaum etwas gelernt, wo ich dachte "Super, das kann ich gut gebrauchen". Ich konnte mich selbst nicht finden zwischen all den Deutschklausuren und Mathetests, die ich zwar alle gut meistern konnte, aber für die meine Leidenschaft fehlte. Und so war es auch mit all den anderen Fächern, für die ich mich nur im Mindestmaß begeistern konnte.
Mit dem Abi in der Tasche suchte ich also verkrampft nach etwas, das zu mir passen könnte. Ich machte Eignungstests, informierte mich über die verschiedensten Berufsbilder und hatte dennoch Angst mich für immer festzulegen, für nichts so richtig geeignet zu sein und an nichts dauerhaft Spaß zu haben. Woher sollte ich auch wissen, wie der tatsächliche Arbeitsalltag in den diversen Berufen, die ich recherchierte hatte, aussehen soll. Ich meine, ja, wir hatten Praktika, aber eine Woche irgendwo reinschnuppern, ist da auch keine große Hilfe, wenn man nur zum Kaffeekochen beiseite gestellt wird - in den meisten Fällen zumindest.
Ich entschied mich also keinen Plan zu haben und etwas zu studieren, das mir mit meinem Abschluss ein breites Tätigkeitsfeld eröffnet - Soziologie. Mein Zukunfts-Ich wird es mir danken. Nicht.
Und planlos ging der Plan los
Soziologie ist die Erforschung des sozialen Lebens in der Gegenwart und der Vergangenheit mit Blick auf die Zukunft. Die Absolventenstudien meiner Universität haben mir gezeigt, dass sich Soziologinnen und Soziologen durch eine Vielfalt potenzieller Berufsfelder auszeichnen. Daher soll das Leitbild des Studiums an der Ausbildung von fachlichen Generalisten anstelle einer hochgradigen Spezialisierung orientiert sein. Nichts wie hin!
Natürlich hab ich das Studium erstmal auf mich wirken lassen. Schließlich war die gesamte Situation neu für mich: eine neue Stadt, neue Menschen, aber ich habe der Soziologie eine Chance gegeben. Doch umso länger ich studierte, desto unsicherer wurde ich mir wieder. Da gab es wieder nichts, was mich interessiert, wieder kein Wissen, was ich irgendwo hätte anwenden können. Zudem plagte mich jetzt die Angst keinen Job zu finden, weil ich etwas für Generalisten und nicht für Spezialisten ausgewählt hatte. Und mit all dem gesellschaftlichen Druck und den Erwartungen meiner Familie, die ich wie lästiges Gepäck mit mir tragen musste, wurde ich zunehmend unglücklicher mit meiner Situation. Es entwickelten sich Zukunftsängste.
Zukunftsangst: die Angst vor morgen
Die Zukunftsangst ist die Furcht vor dem, was in den nächsten Tagen, Wochen oder auch Jahren passieren könnte. Betroffene plagen sich vor allem mit der Frage "Was wäre wenn … ?", haben Angst vor Veränderungen und Ungewissheit und davor, wie sich ihre Entscheidungen zukünftig entwickeln könnten. Die Angst vor der Zukunft braucht keinen konkreten Grund oder einen besonderen Auslöser, der die Angst rechtfertigen würde. Vor allem eine negative Einstellung und die Fantasie, was alles schief gehen könnte, sind hauptverantwortlich für solch eine Art der Furcht.
Generation Zukunftsangst?
Ergebnisse des Forschungsteams der Universitäten Hildesheim und Frankfurt/Main haben gezeigt, dass Zukunftsängste bei jungen Erwachsenen weit verbreitet sind - das gilt vor allem für diejenigen mit finanziellen Sorgen. Im Zuge der Corona-Pandemie spitzte sich die Lage schließlich zu: die Zeiten, in denen ich zur Uni gegangen bin, waren vorbei. Ich hatte nur noch über WhatsApp Kontakt zu meinen Kommilitoninnen, ich ging zu keinen Partys, traf kaum noch Freunde und hatte plötzlich ein ganz anderes Leben - und das mit Anfang 20. Ich dachte immer, dass das die beste Zeit des Lebens werden sollte, ich viel erleben und viel sehen würde. Und das soll es jetzt gewesen sein?
Weiterhin beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit Jahren, dass Jugendliche, insbesondere in Hinblick auf große politische Themen, wie Terror oder Umweltverschmutzung, Angst vor der Zukunft haben. An zweiter Stelle stehen persönliche Ängste wie die Furcht davor, einen wichtigen Menschen zu verlieren oder eine schwere Krankheit zu erleiden. Auch hoher Leistungsdruck gehört zu den Gründen für die Furcht vor der Zukunft.
Wann ist Zukunftsangst eine krankhafte Angst vor morgen?
Sollte deine Zukunftsangst deine Lebensqualität einschränken, dich in Handlungen und während deiner Arbeit hemmen und dich mehr als dreiviertel deines Tages über Ängste nachdenken lassen, dann sprechen Expertinnen und Experten von einer "krankhaften" Angst. Auch wenn deine Partnerschaft und sonstige Beziehungen leiden, damit ist auch die Beziehung zu dir selbst gemeint, kann es sich um eine krankhafte Angst handeln, die du behandeln solltest. Spätestens bei ersten Anzeichen von Depressionen und Selbstmordgedanken, der Einnahme von Beruhigungstabletten, Drogen oder Alkohol, um die Angst in den Griff zu bekommen, sollten deine Alarmglocken läuten lassen. Diese Symptome sind lebensgefährlich und damit Anzeichen, dir ganz dringend Hilfe zu suchen.
Mit neuer Energie gegen negative Zukunftsgedanken
Ich gebe zu, auch ich war eine kleine Schwarzmalerin und wollte nie das Gute sehen. Oder das Etwas genauso kommen muss, damit etwas Gutes daraus entstehen kann. Doch es gibt viele Möglichkeiten, die Zukunftsangst und die damit verbundenen negativen Gedanken hinter dir zu lassen: angefangen bei einem Gespräch mit deinen Freunden und Familie oder dem Besuch von Beratungsangeboten in deiner Schule oder Universität. Auch Praktika können dabei helfen dich neu zu orientieren und deine Zukunftsängste zu bekämpfen. Im Folgenden erläutere ich weitere Mittel und Möglichkeiten, deine (krankhafte) Angst zu behandeln.
Therapie:
In einem ersten Schritt raten Psychologinnen und Psychologen dazu, die Angst vor der Zukunft nicht generell als Feind oder nur als negatives Gefühl zu betrachten. Es kann dir helfen, wenn du deine Sorgen annimmst und als schützenden Teil deines Lebens siehst. Aus dieser Perspektive kannst du neue Energie für positive Entwicklungen gewinnen. Dadurch können sich viele Sorgen vor dem, was morgen kommen mag, wieder auflösen. Ein Therapeut kann außerdem dazu beitragen, dass du deine Situation anders einschätzt und dein Verhalten änderst. Dadurch könnt ihr gemeinsam erreichen, dass du dich im Lauf der Zeit weniger mit negativen Zukunftsgedanken quälst und Existenzängste bewältigen kannst. Und denke daran: in Therapie zu sein ist keine Schande!
Pflanzliche Mittel:
Wenn deine Zukunftsangst sich auch ohne eine Therapie bewältigen lässt, kannst du auch auf pflanzliche Mittel zurückgreifen. Vor allem Lavendelöl und Präparate auf Kamillebasis haben in Studien gezeigt, dass sie besser helfen als Scheinmedikamente.
Meditation:
Gezielte Entspannungsübungen, die du entweder beim Yoga oder während einer Meditation machst, können dir ebenfalls helfen deine Angst zu bewältigen. Am besten baust du die Übungen oder auch weitere körperliche Aktivitäten in deinen Alltag ein, sobald du bemerkst, dass dein Körper stark auf die negativen Zukunftsgedanken reagiert. Auf diese Weise können wohltuende Prozesse angestoßen werden, die dich gelassener werden lassen. Mehr Ruhe im Hier und Jetzt kannst du auch durch progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, das Erlernen von Achtsamkeit und hilfreichen Atemübungen oder durch Autogenes Training erreichen.
Selbsthilfegruppen:
Führe dir vor Augen, dass du nicht allein mit deinen Sorgen bist. Auch andere Menschen möchten keine Angst mehr vor der Zukunft haben. In Selbsthilfegruppen kannst du dich mit Betroffenen austauschen und mehr über die Strategien erfahren, mit denen sie ihre Zukunftsangst bewältigen. Über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) bekommst du Kontakt zu passenden Selbsthilfegruppen. Es gibt auch Angebote der Selbsthilfe speziell für junge Leute.
Ein Appell an mich selbst und all diejenigen, die ihn gerade brauchen
Es ist nicht schlimm, mal keinen Plan zu haben. Nicht zu wissen, was kommen mag. Es ist nicht verheerend, mal zu scheitern. Nicht zu wissen, ob der nächste Schritt der Richtige ist. Im Gegenteil: es ist menschlich. Und du bist nicht allein! Auch ich habe gelernt mit meiner Angst umzugehen und besser noch - mich ihr zu stellen. Ich probiere mich täglich neu aus und suche aktiv nach Dingen, die mir Spaß machen. Und wenn etwas geschieht, was sich im ersten Moment falsch oder ungut anfühlt, ist das auch okay. Denn wie Joe Haak aus meinem erst kürzlich gelesenen Buch "Der Wal und das Ende der Welt" seine Mutter zitierte: "Sie hat gesagt, das Leben ist wunderbar. Und ich soll meine Enttäuschungen genauso genießen wie alles, was ich erreiche. Weil sie mich stärker machen."