Vor allem im Sommer tauchen in den Nachrichten vermehrt Schlagzeilen auf, die sich mit sexueller Belästigung beschäftigen. Minderjährige Mädchen werden bedrängt, ein Mann entblößt sich vor Frauen, die Polizei sucht Zeugen eines sexuellen Übergriffs. Die Fülle an Polizeimeldungen zu diesem Thema ist erschreckend, besonders aber die Kommentare und Argumente, welche in Diskussionen aufbranden, sobald ich mich besorgt über diese Zustände in meinem Bekannten- und Freundeskreis äußere. Oftmals heißt es dann nur: "Keine Wunder, so wie die Mädchen heutzutage herumlaufen!" Oder ganz klassisch: "Da sind sie doch echt selber schuld!" Aber ist das wirklich so? Ist eine Frau aufgrund ihrer Kleiderwahl Schuld an sexueller Belästigung?
Sexuelle Belästigung in Zahlen
Eine im Jahr 2020 durchgeführte Studie ergab, dass 97% der befragten Frauen mindestens eine Form der sexuellen Belästigung bereits erlebt haben. Eine vordergründige Rolle spielten dabei unerwünschte Berührungen, Voyeurismus und Catcalling. Unter Voyeuristen versteht man aufdringliche Gaffer, Spanner und/oder Menschen, die beim heimlichen Beobachten sexueller Handlungen anderer Lust empfinden. Catcalling definiert derweilen sexuelle, verbale Belästigung im öffentlichen Raum, wie anzügliche Nachrufe oder Pfiffe.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes führte 2019 eine Studie durch, um das Ausmaß von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu erfassen. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass bereits 13 Prozent der Frauen mit verbalen wie non-verbalen Übergriffen konfrontiert wurden. Besonders auffällig ist die Tatsache gewesen, dass ein Großteil der Annäherungsversuche von Männern ausgingen, die als Vorgesetzter ihre Machtposition und Abhängigkeitsbeziehungen ausnutzten.
Sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit
Sexuelle Übergriffe geschehen derweilen nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern oftmals direkt vor den Augen der Gesellschaft. Dabei ist weder die Tageszeit noch der Ort von zentraler Bedeutung, denn Frauen werden ebenso am helllichten Tag in Parkanlagen, Bahnhöfen oder Stadtzentren belästigt, wie abends auf öffentlichen Veranstaltungen, Partys oder dem Nachhauseweg. Nicht in allen Fällen kommt es hierbei zu unerwünschter, körperlicher Aufdringlichkeit. Anzügliche Bemerkungen, Pfiffe, Nachrufe, Hupen oder eindeutige Gesten sind ausreichend und auch eine Form der sexuellen Belästigung! Viele Frauen fühlen sich dadurch verunsichert, ängstlich, wütend und ekelhaft, denn weibliche Individuen sind nun mal keine Objekte.
Trennung
Um hier keine Missverständnisse hervorzurufen, sollte gesagt werden, dass nicht jeder Flirt gleich eine sexuelle Belästigung ist. Diese definiert sich nämlich als einseitige Annäherung, als Erniedrigung, Beleidigung und als unerwünschtes Verhalten, welches das Selbstwertgefühl untergräbt und persönliche Grenzen verletzt. Hintergrund für Belästigung ist nicht, wie oft angenommen, die Begierde oder Lust, sondern es dient als Zeichen von Machtdemonstration und Verletzung der Würde betroffener Personen.
Ein Flirt fällt derweilen in den Rahmen der Gegenseitigkeit. Er stärkt das Selbstwertgefühl, löst positive Gefühle aus und respektiert die persönlichen Grenzen.
Ist die Kleiderwahl der Hauptgrund?
Es ist eine sehr weitverbreitete These, dass sexuelle Gewalt vermieden werden kann, indem man seine Kleidung so auswählt, dass sich kein Mann zu einem Sexualverbrechen provoziert oder inspiriert fühlt. Wie bitte? Leider gibt es noch zu viele Menschen, die tatsächlich glauben, mein Minirock sendet falsche Signale aus und ich würde mich damit den Männern praktisch auf dem Silbertablett präsentieren. Folgen wir diesem Gedankengang, müsste die logische Schlussfolgerung heißen, dass ich mich einfach an der Eiswaffel fremder Personen bedienen darf, nur weil sie damit in der Gegend herumfuchteln. Nein, das darf ich natürlich nicht, weil sie jemand anderem gehört, ebenso wie mein Körper mein Eigentum ist und ich bestimme, wie ich mich kleide und ob ich auf irgendeine Weise von einer fremden Person berührt werden möchte. Trotz dieser logischen Erklärung wird Frauen immer öfter vorgeschrieben, was sie zu tragen haben. Das aktuellste Beispiel stammt aus einer Salzburger Mittelschule, in der eine Kleidervorschrift für Mädchen eingeführt werden sollte, um Jungs und Lehrer vor weiblicher Haut zu schützen. Gleichzeitig erlauben immer mehr Freibäder das Oben-Ohne-Schwimmen für Frauen. Spielt die Welt jetzt komplett verrückt?
Das Problem liegt darin, dass ein Teil der Gesellschaft noch immer der Ansicht ist, die Frau wäre selbst schuld an ihrer Situation und provoziere solche Übergriffe regelrecht, während die andere Hälfte sich aktiv dafür einsetzt, die Welt für Frauen sicherer zu machen und Missstände zu betonen.
Aktionen und Selbstschutz
Ein neuer TikTok-Trend sind derweil Subway Shirts, die insbesondere Frauen aus London und New York benutzen, um sich mit weiten Oberteilen vor aufdringlichen Blicken und Catcalling in der U-Bahn zu schützen. Auf öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten oder Festivals werden jetzt sogenannte "Safe Spaces" eingeführt. Das sind Räumlichkeiten, in denen Frauen Schutz und Hilfe vor sexualisierter Gewalt suchen sollen. Seit einigen Jahren existieren auch Armbänder, mit denen Frauen ihre Getränke auf k.o-Tropfen untersuchen können. Denn leider häuft sich auch hier der Missbrauch dieses Betäubungsmittels.
Ist das der falsche Ansatz?
Doch ist es der richtige Weg, sich durch solche Aktionen zu schützen? Bin ich jetzt gezwungen, mir Shirts überzuziehen oder meinen Drink zu prüfen, bevor ich ihn trinke, um mich sicherer zu fühlen? Die Verantwortung sollte nämlich nicht auf die betroffenen Personen verlagert werden, denn nichts an meinem Verhalten oder Aussehen ist eine Entschuldigung oder eine Rechtfertigung für einen Übergriff. Wir als Belästige müssen nicht beschützt werden, wenn die Täter anfangen würden, Verantwortung zu übernehmen und eine Frau als Mensch zu respektieren und nicht das Objekt in ihr zu sehen.
Hilfe und Ansprechpartner
Falls Sie sexuelle Belästigung erfahren haben, kontaktieren Sie bitte das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen". Die Beratungsstelle ist immer kostenfrei unter der Nummer 116 016 zu erreichen. Für sexuelle Gewalt bei Kindern und Jugendlichen ist das Hilfe-Telefon "Sexueller Missbrauch" unter der Nummer 0800 22 55 530 eine Anlaufstelle.