"Bist du schwanger?" - Eine Frage, die unsensibler nicht sein könnte.
Als ich gestern Abend entspannt durch mein Instagram-Feed scrollte, fiel mir ein Post von Carmen Kroll auf, in dem sie erklärt, wie übergriffig die Frage "Bist du schwanger?" sein kann. Carmen nimmt auf ihrem Instagram-Profil mit dem Namen carmushka ihre Followerinnen und Follower mit durch ihren Alltag als Unternehmerin, Autorin, Ehefrau und Mutter. Gestern Morgen postete sie eine Story, in der sie ihre To-Do-Liste für den Tag teilte. Auf dieser stand ein Stichpunkt. "Namensfindung M." und prompt bekam sie unzählige Nachrichten mit der Frage "Bist du schwanger?"
Jetzt werden einige von euch sicherlich denken, dass das doch nicht schlimm sei. Damit müsse sie leben, wenn sie ihr ganzes Leben öffentlich darlegt. An dieser Frage ist überhaupt nichts verwerflich, sie ist doch nur lieb gemeint...Wirklich?
Die Frage nach einer potenziellen Schwangerschaft ist problematisch.
Auch ich habe schon das ein oder andere Mal die Frage bekommen, wann es denn bei mir endlich losgehe. "Ihr habt doch jetzt ein Haus gekauft und geheiratet. Jetzt fehlt nur noch das Baby.", "Was, du trinkst heute keinen Alkohol?! Bist du vielleicht schwanger?" oder "Hörst du sie - deine biologische Uhr? Sie tickt." Sie meinen es ja wirklich nicht böse, sie sind nur interessiert. Doch ich weiß nie, wie ich darauf reagieren soll. Soll ich meine Ängste und Sorgen mit ihnen teilen? Wollen sie wirklich hören, warum es bei uns noch nicht geklappt hat oder warum wir noch warten? Meine Standartantwort lautet: "Wenn ich mein Studium beendet habe" und das ist auch nicht gelogen. Aber es steckt noch einiges mehr dahinter, als meine Bachelorarbeit, die darauf wartet, endlich geschrieben zu werden.
Nicht jede Frau kann Kinder bekommen
"Was ist, wenn die Frau vergeblich versucht, schwanger zu werden und das ständige Fragen sie immer wieder daran erinnert, dass sie keine Mutter ist und vielleicht niemals sein wird?", schreibt Carmushka in ihrem Post. Und das ist gar nicht so abwegig: Eine Befragung des Bundesfamilienministerium kam zu dem Ergebnis, dass etwa ein Viertel aller kinderlosen Frauen und Männer zwischen 20 und 50 ungewollt ohne Nachwuchs leben. Das sind mehr als eine Million Paare, deren Kinderwunsch sich aus verschiedensten Gründen nicht erfüllt. Bei Frauen sind die Ursachen für die Unfruchtbarkeit ganz verschieden: Zysten, Abwehrreaktionen des Immunsystems, Schädigungen der Eierstöcke, Schilddrüsenerkrankungen, Übergewicht, Alkohol, Nikotin und auch Endometriose, über die meine Kollegin Kim schon ihre Erfahrungen geteilt hat.
Ich habe miterlebt, wie ein Paar versucht hat schwanger zu werden. Über mehrere Jahre. Sie haben alles probiert, haben eine Menge Geld für künstliche Befruchtungen ausgegeben, haben gehofft und gebetet. Doch es sollte nicht sein. Wie muss es sie getroffen haben, wenn Leute auf sie zukamen und gefragt haben, wann es denn endlich soweit sei.
Nicht jede Frau möchte Kinder bekommen
Carmen nennt einen weiteren Fakt: "Nur, weil man körperlich dazu in der Lage ist, schwanger zu werden und ein Kind zu bekommen, heißt es noch lange nicht, dass das auch der Wunsch ist." Die Online-Arztpraxis Zava hat 1000 Frauen dazu befragt: Kinder sind zu teuer. Das Bedürfnis, eigene Ziele und Wünsche zu verwirklichen. Der Wunsch nach Karriere. Ökologische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Krisen. Angst vor Verantwortung. Der fehlende Partner - sind nur einige der Gründe.
In meinem Bekanntenkreis gibt es Frauen, die möchten keine Kinder haben und das ist in Ordnung. Aus unterschiedlichsten Gründen haben sie entschlossen ein Leben alleine oder zu zweit mit ihrem Partner zu verbringen und ich kann es mir vorstellen: Die Frage "Wann geht es los?" oder "Bist du schwanger?" nervt auf Dauer einfach nur noch.
Nicht jede Frau spricht über eine erlebte Fehlgeburt
"Was, wenn die Frau gerade eine Fehlgeburt erlitten hat, sie sich gerade noch davon erholt und alles verarbeiten muss. Dann triggert sie die Frage womöglich und erinnert sie an ihren Verlust.", so Carmen. Von einer Fehlgeburt spricht man, wenn die Frau ihr ungeborenes Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche oder solange es weniger als 500 Gramm wiegt, verliert. Zirka zwölf bis 24 Prozent der schwangeren Frauen haben eine Fehlgeburt - in etwa jede sechste Frau.
Acht bis 20 Prozent der Frauen, die eine Fehlgeburt durchlebt haben, entwickeln in den darauffolgenden Wochen eine leichte Depression. Und dann kommt die Frage nach einer potenziellen Schwangerschaft alles andere als gelegen.
Nicht jede Frau erlebt eine glückliche Schwangerschaft
Carmen schreibt: "Die gesellschaftliche Erwartung an Frauen ist, dass eine schwangere Frau auch eine glückliche Frau ist. Was, wenn man ungeplant schwanger geworden ist? Was, wenn man starke körperliche Beschwerden hat? Was, wenn die Schwangerschaft ein Risiko für die werdende Mutter darstellt?" Aufgrund von Schuldgefühlen oder Scham, nicht genau so glücklich über die Schwangerschaft zu sein, wie das Umfeld, sprechen die betroffenen Frauen meist nicht davon und vertrauen sich mit ihren negativen Gefühlen, Gedanken und Emotionen keinem an.
Statt diesen Frauen zu sagen, dass sie zugenommen haben, ein kleines Bäuchlein bekommen und zu fragen, ob sie denn schwanger seien, wäre es doch schön, ihnen einfach zu zeigen, dass man für sie da ist.
Überlegt vorher, ob ihr Frauen fragt, wann sie schwanger werden möchten oder ob sie es schon sind!
Aber nicht nur die Frage nach der potenziellen Schwangerschaft kann die Frauen verletzen oder sie triggern. Auch gut gemeinte Gesten, wie das Mitbringen aussortierter Babykleidung des eigenen Kindes oder Scherze, wie "Wenn ihr dann zu dritt seid, dann läuft das aber anders." können in bestimmten Situationen unsensibel sein. Und wenn ich so darüber nachdenke, verletzten mich diese viel mehr als die Frage, wann es denn mit dem Kinderkriegen losgeht.
erschienen am 03.05.2022