Nach langen strittigen Verhandlungen hat sich die Ampel-Koalition mit der Unionsfraktion auf den Text für einen gemeinsamen Antrag zur Ächtung und Bekämpfung von Antisemitismus geeinigt. In einer kurzen Mitteilung der Fraktionen heißt es, der Antrag solle bereits in der kommenden Woche im Deutschen Bundestag eingebracht, beraten und abgestimmt werden. Er ist zwar nicht rechtsverbindlich, dürfte aber dennoch politische Wirkung entfalten. In dem Entwurf wird beispielsweise dazu aufgerufen, "Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen", insbesondere im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.
Die beteiligten Fraktionen halten in dem Antrag weiter fest: "In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind."
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Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), hatte im Juni gesagt "Angesichts von massenhaftem Antisemitismus und Kalifats-Demos auf deutschen Straßen muss jede antisemitische und antidemokratische Straftat regelmäßig zu einer Ausweisung führen." (Archivbild) Foto: Kay Nietfeld/dpa
Kritik auch an Antisemitismus von Links
Gleichzeitig seien antisemitische Verschwörungstheorien sowie völkisches Denken auf dem Vormarsch. Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP kritisieren in dem Antrag außerdem einen "relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus".
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Für die Grünen war Fraktionsvize Konstantin von Notz maßgeblich an den Verhandlungen zu dem Antrag beteiligt. (Archivbild) Foto: Kay Nietfeld/dpa
Bundesregierung soll sich für Israels Sicherheitsinteressen einsetzen
Die Bundesregierung solle sich weiterhin "aktiv für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel" einsetzen, heißt es in dem Text weiter. Die Regierung soll sich zudem gegenüber Ländern und Kommunen dafür einsetzen, dass sie bei Entscheidungen, etwa über die Förderung bestimmter Projekte, die sogenannte IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranziehen.
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Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle, war an den Verhandlungen über den Antragstext beteiligt. Nach Auskunft von Teilnehmern der Gespräche gab es zwischenzeitlich erhebliche Meinungsverschiedenheiten. (Archivbild) Foto: Uli Deck/dpa
Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in rechtlich verbindlichen Texten ist unter Wissenschaftlern allerdings umstritten. Die IHRA hält darin unter anderem fest, dass sich Erscheinungsformen von Antisemitismus "auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten" können. Kritik an Israel, die mit der Kritik an anderen Ländern vergleichbar sei, werde hingegen nicht als antisemitisch betrachtet.
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SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese war an der Erarbeitung des Antrags beteiligt. (Archivbild) Foto: Kay Nietfeld/dpa
Kontroverse um Definition von Antisemitismus
Eine Gruppe von Juristen hatte im vergangenen Jahr in einem Brief an Bundestagsabgeordnete davor gewarnt, die Verwendung dieser Definition in einem Entschließungsantrag führe "auf verfassungs- wie völkerrechtlich höchst problematisches Terrain". Auch sei die Arbeitsdefinition nie dazu gedacht gewesen, rechtliche Bindungswirkung zu erlangen.
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Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, ist zufrieden mit dem Antrag. (Archivfoto) Foto: Annette Riedl/dpa
Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte, die geplante Resolution rasch mit Leben zu füllen. "Wir hören das Signal – es bleibt ein Moment der vorsichtigen Zuversicht", erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster. Die vorangegangenen langen, zum Teil irritierenden und nicht immer nachvollziehbaren Verhandlungen hätten ihre Spuren hinterlassen. "Die Grundlagen für einen wirksamen Schutz jüdischen Lebens sind nun definiert", so Schuster. "Die vorgesehenen Maßnahmen müssen aber noch effektiv und zügig umgesetzt werden."
Hochzufrieden mit dem vorgelegten Antrag zum Schutz jüdischen Lebens zeigte sich der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck. Er sagte: "Die klare und unbedingte Unterstützung für Israels Selbstverteidigung durch den Deutschen Bundestag trägt dazu bei, Irritationen zu korrigieren, die in den letzten Monaten aus Berlin gesendet wurden." Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte im Oktober gesagt, bei Exporten an Drittstaaten wie Israel werde jede Lieferung im Rahmen des humanitären, des europäischen und des internationalen Rechts geprüft.
Wissenschaftler plädieren für konkrete Maßnahmen
Scharfe Kritik an dem Antrag kam dagegen von einer Reihe von Organisationen sowie mehreren Hundert Aktivisten, Künstlern, Juristen und Wissenschaftlern. Sie stellten sich in einem offenen Brief hinter einen kürzlich veröffentlichten alternativen Formulierungsvorschlag, an dem unter anderem der Soziologe Armin Nassehi und der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag mitgewirkt haben. Darin wird der Schutz jüdischen Lebens als staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert. Das von der Hamas und anderen Terrorgruppen verübte Massaker am 7. Oktober 2023 wird "uneingeschränkt" verurteilt, gleichzeitig aber auch auf das "unermessliche Leid" der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen hingewiesen.
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Der Soziologie-Professor Armin Nassehi hat erhebliche Bedenken gegen den Antrag von Ampel-Koalition und Union. (Archivbild) Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Statt auf "unsichere Definitionen" zu setzen, sollten konkrete Maßnahmen ergriffen werden - etwa in der Bildung oder eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - heißt es in dem offenen Brief. Zu den Unterstützern zählen unter anderem Amnesty International Deutschland, Medico International. Zu den Unterzeichnern gehören auch die frühere Richterin am Bundesverfassungsgericht, Susanne Baer, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die Migrationsforscherin Naika Foroutan und die Schriftstellerin Eva Menasse.
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