Zu Beginn des neuen Monats verabschiedet sich Dänemark von seinen Einschränkungen - trotz einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 5.000 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. "Wir sagen 'Auf Wiedersehen' zu Einschränkungen und 'Hallo' zu dem Leben, das wir vor Corona kannten", sagte Regierungschefin Mette Frederiksen vergangene Woche. Heißt: An den meisten Orten entfällt jetzt die Maskenpflicht. Impfnachweise müssen nicht mehr vorgezeigt werden, Einrichtungen können von Geimpften und Ungeimpften gleichermaßen besucht werden. Auch Diskotheken sollen wieder normal öffnen, Großveranstaltungen in vollem Umfang stattfinden. Zum Vergleich: Die Inzidenz in Deutschland liegt laut RKI-Angaben bei 1206,2 (Stand: 1 Februar 2022) - nicht annähernd so hoch wie in Dänemark. Warum also hält sich Deutschland bei der Aufhebung von Einschränkungen trotzdem zurück?

 

Impfbereitschaft und Verläufe entscheidend

Die hohe Impfbereitschaft habe sich in Dänemark als "Superwaffe" herausgestellt, so Frederiksen. Die Dänen haben aktuell eine Impfquote bei den Erstimpfungen von 83,3 Prozent. Vollständig geimpft sind 81,2 Prozent der Bevölkerung (Deutschland: 74 Prozent). Eine Auffrischungsimpfung (Booster) haben 61 Prozent der Bevölkerung bekommen (Deutschland: 53 Prozent). Ein weiterer Grund für die Aufhebung der Einschränkungen sei die Tatsache, das die aktuell grassierende Omikron-Variante des Corona-Virusseltener schwere Krankheitsverläufe hervorrufe und die Zahl der Krankenhauseinweisungen verhältnismäßig gering sei.

 

Kommen die Lockerungen zu früh?

Einige Experten sehen die Abschaffung der Corona-Maßnahmen dennoch skeptisch. Der Mathematiker und Epidemiologe Viggo Andreasen von der Universität Roskilde unterstützt die Lockerungen im Prinzip, hätte sich aber für eine leichte Verzögerung ausgesprochen. Er fürchtet, dass bei noch höheren Infektionszahlen so viele Menschen gleichzeitig erkranken, dass es Probleme für Krankenhäuser, Pflegeheime oder Schulen geben könnte. Ähnlich hatte sich Epidemiologe Ralf Reintjes bei Focus Online zuletzt in Bezug auf die ebenfalls öffnenden Briten geäußert. Ob es generell eine gute Idee ist, "mitten im Winter" alle Maßnahmen fallen zu lassen, stellte er zumindest in Frage. Er warnte vor einem "weiteren Zerreißtest" für das Gesundheitssystem.

 

Bundesregierung gegen breite Öffnungen

Im Gegensatz zu Dänemark und Großbritannien lehnen Bund und Länder Corona-Lockerungen für Deutschland vorerst ab. "Das Ziel, was wir ausgegeben haben, ist, dass wir durch diese Welle durchkommen wollen, mit so wenig schweren Verläufen und Todesfällen wie möglich", erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Montag bei der Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage. Drei Gründe sprechen gegen die Aufhebung der deutschen Einschränkungen:

 

Hohe Zahl von Ungeimpften bei über 60Jährigen

Ein besonderes Problem sei, dass Deutschland eine vergleichsweise alte Bevölkerung habe und "darüber hinaus eine sehr hohe Zahl von Ungeimpften in dieser hohen Altersgruppe, bei den über 60-Jährigen", so Lauterbach. Im Vergleich zu England sei diese Gruppe in Deutschland viermal so groß, im Vergleich zu Italien dreimal. In Dänemark liegt die Impfquote bei den über 60-Jährigen laut offizieller Zahlen bei etwa 95 Prozent. Bei uns gibt sie das Gesundheitsministerium mit 88 Prozent an. Das bedeutet, dass weiterhin etwa drei Millionen Menschen über 60 Jahren nicht geimpft sind. Diese Gruppe zu schützen sei "keine Kleinigkeit", betonte Lauterbach. Man müsse damit rechnen, dass von den ungeimpften, älteren Menschen viele schwer erkrankten, so dass sie auf die Intensivstationen müssten und auch versterben.

 

Durchseuchung weniger fortgeschritten

Ein weiterer Grund, warum breite Öffnungen in Deutschland noch nicht denkbar sind, liegt in den niedrigen Genesenenzahlen. Zum Vergleich: In Großbritannien ist fast jeder Vierte nachweislich von einer Infektion genesen, in Dänemark sind es mit 28 Prozent sogar noch etwas mehr. Bei uns sind nur etwa elf Prozent nachweislich genesen. Personen, die Genesen sind, haben von Natur aus einen Antikörperschutz gegen das Virus aufgebaut. Wie lange dieser anhält, ist allerdings umstritten. Fakt ist: Die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion ist bei Omikron dreimal höher als bei bisherigen Varianten.

 

Maximum bei Fallzahlen noch nicht erreicht

Was ebenfalls gegen den Wegfall der Einschränkungen spricht: Das Maximum bei den täglichen Neuinfektionen sei anders als in Dänemark noch nicht zu sehen. Die Omikron-Welle setzte in Deutschland später ein und hat sich aufgrund konstant geltender Maßnahmen langsamer aufgebaut als anderswo. Voraussichtlich Mitte Februar steuere Deutschland auf den Höhepunkt der Omikron-Welle zu, allein in den letzten sieben Tagen hätten sich rund 890.000 Menschen infiziert, so RKI-Chef Wieler. Das entspreche einem Prozent der Bevölkerung in nur einer Woche. Doch in dieser neuen Phase der Pandemie seien die Fallzahlen nicht mehr das Entscheidende: "Wir müssen jetzt in erster Linie auf die Krankheitslast und die Krankheitsschwere schauen", so Wieler. Die Folgen für die Krankenhäuser könnten derzeit gering gehalten werden, weil die Fallzahlen aufgrund der Einschränkungen nicht so heftig steigen, wie es unter Omikron möglich wäre.