Wut gemischt mit Trauer und Verzweiflung hat rund 130.000 Menschen in der spanischen Mittelmeermetropole Valencia Behördenangaben zufolge auf die Straßen gehen lassen. Eineinhalb Wochen nach dem sogenannten Jahrhundert-Unwetter mit laut jüngster amtlicher Bilanz mindestens 222 Toten protestierten sie am Samstagabend im Stadtzentrum gegen die ihrer Ansicht nach nur schleppend angelaufene Hilfe und die zu spät auf den Handys der Menschen angekommene Warnung. 

Die Demonstranten forderten zudem den Rücktritt von Regionalpräsident Carlos Mazón. Auf ihrem Marsch zum Regierungsgebäude skandierten sie unter anderem "Mörder, Mörder" und "Rücktritt, Rücktritt".

Einige trugen Plakate mit Aufschriften wie "Mazón ins Gefängnis!" oder "Gerechtigkeit!". Nach einer Schweigeminute für die mehr als 200 Todesopfer der Katastrophe - die meisten davon in der Region Valencia - lasen mehrere Anführer vor dem Palau de la Generalitat ein Manifest vor, in dem die Klärung der Verantwortlichkeiten für die "vermeidbaren Folgen der Katastrophe" sowie die Absetzung der regionalen "inkompetenten Regierung" gefordert wurde. Zur Demonstration hatten 65 Organisationen, darunter Bürgerinitiativen und Gewerkschaften, kurzfristig aufgerufen. 

Zusammenstöße mit der Polizei

Im Anschluss an die Kundgebung kam es zu Zusammenstößen, wie etwa in einem Video auf der Webseite der Zeitung "Las Provinicias" zu sehen war. Radikale Gruppen seien am Ende der friedlichen Demonstration mitgelaufen und hätten dann Steine, Flaschen und brennende Behälter auf die Polizeibeamten geworfen, berichtete die Zeitung. Zudem hätten einige versucht, das Regierungsgebäude zu stürmen und ein Feuer vor dem Haupteingang gelegt. Es gab demnach vier Festnahmen. Demonstranten warfen Medienberichten zufolge Schlamm auf das Gebäude, hinterließen in Matsch getauchte Händeabdrücke auf der Fassade und beschmierten diese mit Beleidigungen des Regionalpräsidenten.

Regionalpräsident soll Unwetterwarnung zu spät gesendet haben

Mazón wird unter anderem vorgeworfen, er habe die Warnungen des Wetterdienstes Aemet an jenem 29. Oktober vom Morgen erst am Abend als Alarm auf die Handys der Bevölkerung schicken lassen. Da waren die Flüsse bereits über die Ufer getreten, und die verheerenden Überschwemmungen hatten ihren Lauf genommen. 

Dem lokalen Rundfunksender À Punt sagte er nun, es habe zunächst nach gewöhnlichen Unwettern ausgesehen, wie sie in der Mittelmeerregion öfter vorkommen. "Alles änderte sich um 19 Uhr, als die Flüsse über die Ufer traten." Der Alarm seiner Regierung ging dann um kurz nach 20 Uhr an die Handys der Einwohner der Region Valencia. 

Mazón betonte auch, es mache jetzt keinen Sinn, Verantwortlichkeiten zu klären. Jetzt gehe es um Bergung und Wiederaufbau, "mit viel Schmerz". Politisch brisant ist abseits der Katastrophe die Tatsache, dass Mazón der oppositionellen Volkspartei (PP) angehört, während die Sozialisten Spaniens Regierungsbündnis anführen.

Der König will das Katastrophengebiet wieder besuchen

Ungeachtet des anhaltenden Unmuts will der spanische König Felipe VI. nach den Ausschreitungen bei seinem ersten Besuch in Valencia das Katastrophengebiet am Dienstag erneut aufsuchen. Seine Frau, Königin Letizia, begleitet ihn diesmal nicht, wie das Königshaus mitteilte. Am vergangenen Sonntag waren die beiden in Paiporta nahe der Metropole Valencia mit Schlamm beworfen und beschimpft worden.

Der 56-jährige Monarch wolle die weiter auf Hochtouren laufenden Bergungs- und Aufräumarbeiten beaufsichtigen, ließ die "Casa Real" in Madrid wissen. In den rund 80 betroffenen Gemeinden werden unter anderem rund 8.500 Militärangehörige sowie 10.000 Beamte der nationalen Polizeieinheiten Policía Nacional und Guardia Civil eingesetzt. Dort sind zahlreiche Gebäude weiterhin nicht oder nur schwer zugänglich, da die Eingänge zum Teil nach wie vor von Autowracks und Hausrat blockiert sind.

Zahl der Vermissten geht langsam zurück

Die starken Niederschläge, Erdrutsche und Überschwemmungen vor eineinhalb Wochen forderten nach der jüngsten amtlichen Bilanz mindestens 222 Menschenleben. 214 Leichen wurden demnach allein in Valencia geborgen. Acht Todesopfer gab es in den benachbarten Regionen Kastilien-La Mancha und Andalusien. Die offizielle Zahl der Vermissten wurde derweil in Valencia von 50 auf 41 reduziert. Man müsse berücksichtigen, dass 19 Leichen noch nicht identifiziert worden seien, hieß es.

"Fluch der Karibik"-Star spricht Opfern Mut zu

Hollywoodstar Johnny Depp stellt unterdessen Unterstützung in Aussicht. Er wolle schauen, inwieweit er helfen können werde, "in welcher Form auch immer", sagte der 61-jährige "Fluch der Karibik"-Star am Rande des Europäischen Filmfestivals in Sevilla. Depp sprach den Flutopfern Mut zu und sagte, sein Herz sei "bei den betroffenen Menschen". Außerdem hob er "die Widerstandsfähigkeit des spanischen Volkes bei Ereignissen wie diesem" hervor.

Am 29. Oktober hatte es in einigen Ortschaften innerhalb weniger Stunden so viel geregnet wie sonst in einem Jahr. Inzwischen scheint im Flutgebiet seit Tagen vorwiegend wieder die Sonne.