Ukraine, Nahost, Trump, Ampel-Chaos: Die Herausforderungen überschlagen sich. Die Klimakrise ist auf der politischen Agenda dahinter abgerutscht - obwohl sie sich dramatisch zuspitzt. Das zeigen etwa Flutkatastrophen wie jüngst in Spanien. Nun beginnt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku die jährliche Weltklimakonferenz.
Die Krise ist bekannt und die Welt weit weg von ihrem angestrebten Kurs. Was bringt eine weitere Klimakonferenz?
Zunächst einmal: Aufmerksamkeit. Während die Klimakrise derzeit von anderen Krisen überlagert wird, ist ihr mit Zehntausenden Gipfelteilnehmern Aufmerksamkeit sicher. Die Welt versammelt sich, um gemeinsam ein Problem anzugehen. Das ist in Zeiten, in denen Raketen fliegen und Zusammenarbeit vielerorts utopisch scheint, schon ein Gewinn an sich.
Allerdings: Diesmal haben eine Reihe von Staats- und Regierungschefs ihr Kommen abgesagt - neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch Noch-US-Präsident Joe Biden, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. In den eigentlichen Verhandlungen sind ihre Delegationen aber vertreten.
Aserbaidschan ist eher für Öl und Gas als für Klimaschutz bekannt. Wieso trifft man sich dort?
Die Klimakonferenz rotiert zwischen den Weltregionen. Abgesehen davon machen die UN kaum Vorgaben für Gastgeberländer, die das Treffen ausrichten wollen. Martin Kaiser, Chef von Greenpeace Deutschland, beklagt: Nach Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten finde das Treffen nun schon wieder in "einem autokratischen Gastgeberland" statt, "das die Förderung von Öl- und Gas als Hauptstandbein seiner zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung sieht und erhalten möchte".
So richtig kommt die Welt beim Klimaschutz nicht voran, oder?
Bislang tun die Staaten viel zu wenig, um der Zuspitzung der Krise entgegenzuwirken. Mit ihren aktuellen Plänen steuert die Welt den Vereinten Nationen zufolge auf 2,6 bis 3,1 Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zu - was erhebliche Teile des Planeten unbewohnbar machen würde. "Die Konsequenzen einer so extremen Erwärmung für Menschen, Gesellschaften und Volkswirtschaften sind unvorstellbar", sagt die Chefin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen.
Das aktuelle Jahr wird dem EU-Klimawandeldienst Copernicus zufolge so gut wie sicher das erste seit Aufzeichnungsbeginn werden, in dem es im Durchschnitt mehr als 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel war. Damit werde es auch das wärmste Jahr seit dem Start der Messungen.
Was wäre denn ein Erfolg in Baku? Worum geht es diesmal konkret?
Vor allem um Geld. Denn: ohne Geld kein Klimaschutz. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, der notwendige Umbau bei Gebäuden und im Verkehr kostet Geld. Das gilt ebenso für die Anpassung an den Klimawandel: Deiche, mehr Grün in Städten oder ein Umbau der Landwirtschaft wollen bezahlt werden. Damit all das auch in ärmeren Ländern gelingt, haben die Industriestaaten schon vor Jahren zugesagt, jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen. Diese Zusage gilt zunächst bis 2025.
Und was kommt danach?
Das soll in Baku geklärt werden. In Zeiten klammer Kassen und vielfacher Belastungen dürfte diese Debatte keine einfache werden. Das neue Ziel soll sich am tatsächlich ermittelten Bedarf richten. "Damit ist klar, dass es jetzt nicht mehr um Milliarden, sondern um Billionen gehen wird", sagt Kaiser von Greenpeace.
Welche Rolle spielt die Wiederwahl von Donald Trump?
Eine große. In Trumps erster Amtszeit sind die USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen - das droht nun wieder. Laut "New York Times" bereitet Trump nicht nur den Ausstieg bereits vor, sondern auch die Verkleinerung von Naturschutzgebieten, um Erdölbohrungen und Bergbau den Weg freizumachen.
"Trump zweifelt die Realität der Klimakrise an und wird sich dafür einsetzen, die Förderung von Öl und Gas zu erhöhen, obwohl das die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zerstört", sagt Christoph Bals von der Organisation Germanwatch. Klima-Experte Jan Kowalzig von Oxfam meint jedoch: Trump "wird den Weg zu einer Welt ohne fossile Energien nur verlangsamen, nicht aufhalten können". Dafür seien etwa erneuerbare Energien mittlerweile zu günstig geworden. Bei der Unterstützung ärmerer Länder wird es ohne die USA jedoch enorm schwierig.
Und was macht Deutschland?
Von Deutschland wird - erst recht nach der US-Wahl - eigentlich Führung in Baku erwartet. Zwar verhandeln die Deutschen im Rahmen der Europäischen Union, spielen dort jedoch eine zentrale Rolle. Dass Scholz wegen der Regierungskrise seinen Auftritt in Baku abgesagt hat, sendet jedoch andere Signale.
Umweltorganisationen fordern, Deutschland müsse seine zugesagten Gelder für Klimafinanzierung im nächsten Jahr trotz aller Haushaltsprobleme zahlen. "Wackeln die sechs Milliarden aus Deutschland, wackelt die Glaubwürdigkeit von Bundeskanzler Olaf Scholz, der die Verlässlichkeit Deutschlands in dieser Frage immer wieder zugesichert hat", so Kaiser von Greenpeace. "Das würde eine Abwärtsspirale bei den Ambitionen in Gang setzen und die Bereitschaft anderer Länder minimieren, ihre finanziellen Zusagen einzuhalten."
Gibt es trotz allem Chancen auf Fortschritte?
Kaiser äußert sich dazu verhalten optimistisch: "Inzwischen spüren weltweit alle Länder die - auch volkswirtschaftlich - dramatischen Folgen zunehmender Wetterextreme. Nicht zu handeln, ist keine Option, es wird schlicht zu teuer." Ein neues Finanzziel könnte vielen Experten zufolge das Vertrauen zwischen ärmeren Ländern und Industriestaaten stärken. Und: Bis zum nächsten Frühjahr müssen Staaten ihre Pläne für mehr Klimaschutz nachschärfen. Ambitionierte Ansagen in Baku könnten hier Druck auf andere Staaten machen.
Und was steht überhaupt auf dem Spiel?
Die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen. Der zerstörerische Hurrikan "Helene" in den USA, Überschwemmungen in Spanien, Österreich oder Bosnien und auch Waldbrände zeigen es deutlich: Die Welt wird unsicherer. Dass der Klimawandel wie ein Brandbeschleuniger wirkt, ist vielfach nachgewiesen - für einzelne Ereignisse etwa immer wieder von der Organisation World Weather Attribution.
Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sagt: "Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es mehr Grund zur Sorge als je zuvor." Man sehe erste Anzeichen, dass sich die Erderwärmung beschleunige, und sei in einer gefährlichen Lage. Aber: "Noch gibt es die Möglichkeit, die Dinge zu drehen."