Ein tödlicher Schuss vor rund 50 Jahren am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin wird die Justiz weiter beschäftigen. Der wegen Mordes verurteilte Ex-Stasi-Offizier akzeptiert seine Haftstrafe nicht und hat Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin eingelegt, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Das Gericht hatte den inzwischen 80-Jährigen aus Leipzig vergangenen Montag schuldig gesprochen und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Aus Richtersicht gibt es keinen Zweifel daran, dass der damalige Oberleutnant am 29. März 1974 aus einem Hinterhalt heraus den 38-jährigen Polen Czesław Kukuczka im Auftrag des DDR-Geheimdiensts erschossen hat.
Ex-Stasi-Offizier hat Vorwürfe bestritten
Der Deutsche hatte vor Gericht zu den Vorwürfen geschwiegen; seine Verteidigerin hatte zu Prozessbeginn erklärt, ihr Mandant bestreite diese. Sie plädierte auf Freispruch. Es sei nicht erwiesen, dass der Angeklagte der Schütze gewesen sei.
Es dauerte Jahrzehnte, bis der Fall im wiedervereinigten Deutschland vor Gericht kam. Erst im Jahr 2016 lieferte das Stasi-Unterlagen-Archiv einen entscheidenden Hinweis zur möglichen Identität des Schützen. Laut einem Schriftstück wurde der Sachse von der Stasi mit dem "Kampforden in Bronze" ausgezeichnet.
Anklage wegen Mordes erst nach Jahrzehnten
Die Staatsanwaltschaft ging zunächst jedoch von einem Totschlag und nicht von Mord aus und stellte das Verfahren 2017 ein, weil die Tat in diesem Fall verjährt gewesen wäre. 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin jedoch Anklage, weil sie inzwischen das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sah. Hintergrund für die neue Bewertung war ein europäischer Haftbefehl gegen den Angeklagten nach beharrlichen Nachforschungen auf polnischer Seite.
Bei der Entscheidung im aktuellen Fall war laut Gericht das zum Tatzeitpunkt mildere DDR-Strafrecht zu berücksichtigen. Dadurch kam es nicht - wie eigentlich bei Mord nach bundesdeutschem Recht üblich - zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.