Italien darf nach 53 Jahren den EM-Pokal wieder in den Händen halten. Die "Squadra Azzurra" setzte sich mit 4:3 nach Elfmeterschießen gegen England durch. Vor 60.000 Zuschauern im Londoner "Wembley-Stadium" gingen die "Three Lions" durch Luke Shaw bereits nach zwei Minuten in Führung, nach der Pause egalisierte Leonardo Bonucci den Rückstand. Nach einer verhaltenen Verlängerung musste im Elfmeterschießen die Entscheidung gefunden werden. Am Ende hatten die Engländer die schwächeren Nerven, damit gehen die "55 years of hurt" weiter. Seit der Weltmeisterschaft 1966 hat England keinen Titel mehr gewinnen können. Die Italiener wiederum haben - nach Niederlagen 2000 gegen Frankreich und 2012 gegen Spanien - im dritten Versuch den EM-Pokal geholt, zuletzt war das 1968 bei der damaligen Heim-EM geglückt.
Ausschreitungen überschatten EM-Finale
Vor dem EM-Finale kam es rund um das "Wembley-Stadium" zu chaotischen Szenen. Mehrere hundert englische Fans, die keine Karten hatten, versuchten offenbar den Einlass zu stürmen. Dabei gab es erhebliche Auseinandersetzungen mit dem Ordnungsdienst. Die "Union of European Football Associations" (UEFA) gab diesbezüglich bekannt, dass Fans über die äußeren Sicherheitszäune, allerdings nicht in den Innenraum des Stadions gelangt seien. Da die Sicherheitsbereiche in den relevanten Bereichen sofort benachrichtigt worden sind, stand die Ausrichtung des Spiels zu keinem Zeitpunkt zur Debatte.
England startet mit Blitztor
Das EM-Finale war gerade einmal 116 Sekunden alt, schon musste der italienische Schlussmann Gianluigi Donnarumma den Ball aus dem Netz holen. Dem englischen Führungstreffer ging eine italienische Ecke voraus, den Gegenangriff leitete der linke Außenverteidiger Luke Shaw ein und schloss diesen - über die Stationen Harry Kane und Kieran Trippier - nach einem Lauf von mehr als 80 Metern mit einem sensationellen Dropkick aus wenigen Metern selbst ab. Der Traumstart ist zugleich das schnellste Tor der Final-Geschichte gewesen. Der bisherige Rekord gehörte dem Spanier Chus Pereda, der 1964 nach 316 Sekunden traf.
Italien tat sich in der Folge gegen das moderne Catenaccio der Engländer sehr schwer, Zeugnis dessen ist die einzige Chance, welche es in der ersten Halbzeit gab. Federico Chiesa marschierte in der 35. Minute los. Der dynamische Außenstürmer ließ sich von niemanden aufhalten und zog letztlich aus 25 Metern mit einem Linksschuss ab, der knapp am Tor von Jordan Pickford vorbeistrich. Zehn Minuten zuvor gab es einen kurzen Schockmoment, als der Mittelfeldstratege Jorginho verletzt liegen blieb, aber glücklicherweise weiterspielen konnte. England ging verdient mit der 1:0-Führung in die Pause; es war für sie die zwölfte von drei Halbzeiten bei dieser EM ohne Gegentor.
England schwimmt im Londoner Regen
Zur Pause gab es auf beiden Seiten keinen Wechsel. Sowohl Gareth Southgate als auch Roberto Mancini vertrauten ihrer Startformation - ergo blieb ebenso Jorginho mit an Bord. Nach dem Seitenwechsel veränderte sich das Spielgeschehen deutlich, Italien forcierte den Ausgleich, den allen voran Lorenzo Insigne erzielen wollte. Der Stürmer vom SSC Neapel hatte gleich drei Gelegenheiten dazu. Des Weiteren agierten die Italiener nun wesentlich aggressiver, erhielten dafür vom souveränen Schiedsrichter Björn Kuipers aus den Niederlanden zwei schnelle gelbe Karten. In der 62. Minute sorgte Federico Chiesa erneut mit einer Einzelaktion für Gefahr. Die Engländer schwammen immer mehr im Londoner Regen, schafften ganz selten Entlastung.
Mit Bonucci back in Business
In der 67. Minute fiel der längst überfällige Ausgleich. Das "Tor des Willens" erzielte Leonardo Bonucci. Der beinharte Verteidiger von Juventus Turin drückte den Ball letztlich über die Linie, zuvor hatte Marco Verratti den Eckball an den Pfosten geköpft. Die "Squadra Azzurra" blieb am Drücker, wollte die Entscheidung noch in der regulären Spielzeit erzwingen, was nicht gelang. Zehn Minuten vor Schluss setzten dann auf einmal wieder die Engländer offensive Akzente. Bitter für Italien war die verletzungsbedingte Auswechslung des auffälligen Chiesa in der Schlussphase.
Die folgende Verlängerung verlief verhalten und ausgeglichen, beide Teams hatten jeweils eine gute Gelegenheit. Bei den Italiener verpasste der eingewechselte Federico Bernardeschi diese, auf Seiten der Engländer wurde erst der ansatzlose Schuss Jack Grealishs geblockt, ehe die anschließende Flanke von Kane keinen Abnehmer im Strafraum fand. Der Europameister 2021 wurde damit erstmals seit 1976 wieder im Elfmeterschießen ermittelt.
Bessere Nerven entscheiden
Italien beginnt: Domenico Berardi (26) verlädt Pickford und bringt die Seinigen in Führung. Kapitän Kane (27), der gegen Dänemark noch verschossen hatte, trifft diesmal sicher und gleicht aus. Andrea Belotti (27) wiederum scheitert am englischen Torwart - Vorteil für England: Harry Maguire (28) nutzt diesen und drischt den Ball kompromisslos in den Giebel. Bonucci (34) verkürzt. Und danach beginnt das englische Elfmeterdrama: Marcus Rashford (23) trifft nur den Pfosten und Jadon Sancho (21) vergibt gegen Donnarumma. Da zuvor Bernardeschi (27) Italien mit 3:2 in Front geschossen hatte, konnte Jorginho (29) - wie schon im Halbfinale gegen Spanien - für die Entscheidung sorgen. Seinen Schuss lenkte Pickford an den Pfosten. Wahnsinn! England war damit noch nicht geschlagen, musste allerdings zwingend den letzten Elfmeter verwandeln. Gareth Southgate, der vor einem halben Jahrhundert im Halbfinale gegen Deutschland verschossen hatte, bestimmte Bukayo Saka (19) als fünften Schützen. Dem Youngster verließen jedoch die Nerven. Er vergab. Und damit bricht einmal mehr ein Elfmeterschießen die Herzen der "Three Lions" und seiner Anhänger. Italien wiederum krönt sich nach 1968 zum zweiten Mal als Europameister - und bleibt damit seit nunmehr 34 Spielen ungeschlagen.
erschienen am 12.07.2021