Beginnen wir mit einem kleinen Rückblick: Am 19. November des vergangenen Jahres hatten sich Bund und Länder beim Corona-Gipfel auf eine ganze Liste an Regeln verständigt: Die 3G-Regelung (geimpft, genesen, getestet) für Fahrgäste in Bussen und Bahnen wurde eingeführt. Auch am Arbeitsplatz galt fortan 3G für alle Beschäftigten, die bei der Arbeit Kontakt zu anderen haben. Gastronomie, Sportausübung, körpernahe Dienstleistungen, Hotelübernachtungen und Veranstaltungen in Innenräumen waren nur noch für Geimpfte oder Genesene möglich. Und: überall war Maskenpflicht angesagt. Hintergrund: Die Inzidenz lag an jenem Tag bundesweit bei 340 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche - in Sachsen sogar bei 593. Die Kurve zeigte steil nach oben. Heute liegt die bundesweite 7-Tage-Inzidenz bei 646, in Sachsen mit 329 nur knapp unter dem bundesweiten Wert vom November 2021 (Stand: 29. Juni 2022). Corona ist also wesentlich präsenter als damals. Müssen wir uns angesichts der Sommerwelle also Sorgen machen? Und müsste die Politik nicht längst mit Gegenmaßnahmen - wie der Maskenpflicht - reagieren?
ITS-Bettenbelegung nicht im roten Bereich
Ausschlaggebend für Gegenmaßnahmen sind seit geraumer Zeit die Einweisungen in Krankenhäuser oder Intensivstationen und somit mögliche Überlastungen des Gesundheitssystems durch Corona-Patienten. Zum Vergleich: Am 19. November waren es 5,34 Krankenhauseinweisungen pro 100.000 Einwohner (Hospitalisierungen). Diesen Mittwoch (29. Juni 2022) lag die deutschlandweite Hospitalisierungsrate bei 4,92 - nicht wesentlich weniger als im November. Wichtig hierbei ist allerdings der Blick auf die Belegung der Betten auf den Intensivstationen: Während im November 2021 Corona-Patienten rund 15,3 Prozent aller betreibbaren ITS-Betten belegten, waren es am Mittwoch lediglich 4,5 Prozent. Grund dafür ist die Omikron-Variante des Corona-Virus, die bei einer Infektion mit milderen Verläufen einhergeht.
Krieg und Corona: Auswirkungen treffen sich im Herbst
Angesichts der nun dominierenden Omikron-Untervariante BA.5 mit leichterer Übertragbarkeit zeichnet sich aus Expertensicht jedoch eine angespanntere Corona-Lage ab. Denn mehr Fälle durch eine leichtere Übertragbarkeit bedeuten im Umkehrschluss auch mehr Corona-Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) prognostiziert deshalb schon jetzt einen "sehr schweren Herbst". Neben den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sei mit einer "schweren Corona-Welle" zu rechnen. Mit der Rückkehr einiger Corona-Maßnahmen müssen wir dann wahrscheinlich wieder rechnen. Welche das sein werden, könnte von einem Bericht abhängen, auf den die Ampelkoalition aktuell wartet.
"Infektionsschutzgesetz jetzt neu beschließen"
Der Sachverständigenrat - ein Gremium aus Juristen, Ärztinnen und Virologen - will bis Donnerstag einen Bericht liefern, der die bisherigen Corona-Regeln auf ihre Wirksamkeit prüft. Von dem Bericht hängt das weitere Vorgehen der Bundesregierung zum Umgang mit dem Corona-Virus ab. An die Ergebnisse knüpft die FDP die Verhandlungen über Corona-Regeln im Herbst. Vorher wollen die Liberalen nicht über womöglich notwendige Maßnahmen diskutieren. Das sorgt nicht nur für Streit innerhalb der Koalition, sondern stößt auch bei Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery auf Kritik: Die Kommission werde die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen, "die Maßnahmen zu beschließen, die wir zu einer effektiven Bekämpfung der nächsten Herbst- und Winterwelle brauchen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wenn die Wellen wieder über uns zusammenbrächen, fehle die Zeit, langwierige Grundsatzdiskussionen zu führen. "Dann muss schnell gehandelt werden können. Und deswegen wäre es auch besser, das Infektionsschutzgesetz jetzt neu zu beschließen - und nicht erst, wenn das Kind wieder 'in den Brunnen gefallen' ist." Zu den Maßnahmen gehören nach Ansicht von Montgomery die Maskenpflicht in Innenräumen, Kontaktbeschränkungen und Teststrategien. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wolle die Ergebnisse der Evaluation zunächst abwarten, um entscheiden zu können, ob eine Fortführung einzelner Maßnahmen sinnvoll ist oder nicht. "Gleichwohl waren Maßnahmen wie die Maskenpflicht oder 2/3G-Regelungen wirksame Instrumente und auch relativ milde Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen", sagte die stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende Henriette Neumeyer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Für wen ist eine vierte Impfung sinnvoll?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine zweite Boosterimpfung generell für alle über 70 Jahre, für Gesundheitspersonal mit direktem Patientenkontakt, Beschäftige sowie Bewohner und Betreute in Alten- und Pflegeheimen. Auch Menschen mit einem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf in Einrichtungen der Eingliederungshilfe sowie Menschen mit Immunschwäche-Krankheiten ab fünf Jahren sollten den zweiten Booster bekommen. Zur Begründung heißt es in einer Erklärung: "Aktuelle Daten zeigen, dass der Schutz nach ersten Auffrischungsimpfung gegen Infektionen mit der momentan zirkulierenden Omikron-Variante innerhalb weniger Monate abnimmt."
Immerhin: Menschen, die nach einer ersten Auffrischungsimpfung noch einmal eine Coronainfektion durchgemacht haben, brauchen nach Einschätzung des Gremiums vorerst keinen zweiten Booster.
erschienen am 29.06.2022