Ausbildungskrise: Warum bleiben so viele Plätze unbesetzt?

Studie Mangelnde Berufsorientierung schafft Verwirrung - Unternehmen oft "im Blindflug"

Warum bleiben viele Ausbildungsplätze heutzutage unbesetzt? Liegt die Ursache wirklich hauptsächlich im demographischen Wandel? Die Studie "Azubi-Recruiting Trends 2023", eine jährliche Online-Umfrage des Solinger Ausbildungsspezialisten u-form, kommt zu einem anderen Ergebnis. Die größte mehrperspektivische Studie zur dualen Ausbildung in Deutschland macht bei den künftigen Azubis vor allem drei Ursachen aus: mangelnde Berufsorientierung, zu hohe Ansprüche und fehlende Eignung. Doch auch Unternehmen navigieren beim Azubi-Recruitng häufig im Blindflug.

Demographischer Wandel spielt kaum eine Rolle

Jedes Jahr befragt der Solinger Ausbildungsspezialist u-form Azubis, Schüler und Ausbildungsverantwortliche aus ganz Deutschland für die Azubi-Recruiting Trends. An der aktuellen Umfrage nahmen 4.284 Schülerinnen, Schüler und Azubis sowie 1.639 Ausbildungsverantwortliche teil. Die Studie ging unter anderem der Frage nach, warum im Sommer 2022 laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit fast die Hälfte aller Ausbildungsstellen noch unbesetzt war. Der demographische Wandel spielt dabei aus der Sicht von Azubis und Ausbildungsbetrieben kaum eine Rolle. Er wird von nur 12,8 Prozent der Azubis und 25 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen als Ursache identifiziert.

Generation Z zu anspruchsvoll?

Weitaus häufiger genannt - nämlich von 49,6 Prozent der Azubis und 45,3 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen - wird die mangelnde Berufsorientierung. Überraschend ist, dass ein großer Teil der Generation Azubi auch die "Anspruchshaltung der jungen Generation" für unbesetzte Ausbildungsplätze mitverantwortlich macht. Während 40,6 Prozent der befragten Schülerinnen, Schüler und Azubis diesen Faktor als Ursache nennen, sind es bei den Ausbildungsverantwortlichen nur 35,3 Prozent. Die Generation Z selbst blickt also kritischer auf die eigene Generation als die Angehörigen älterer Jahrgänge.

Angebotsfülle und Orientierungsprobleme

Ein Grund für die berufliche Desorientierung möglicher Azubi-Bewerbender ist laut Studie die stetig steigende Zahl der Ausbildungsberufe. Aktuell sind es schon 324. Darunter befinden sich eher unbekannte Berufsbilder wie das des "Zerspanungsmechanikers" oder relativ neue wie der/die "Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce" oder der/die "Gestalter/Gestalterin für immersive Medien", der ab dem 1. August 2023 erstmals angeboten wird. "Das wird für immer mehr Jugendliche zum Orientierungsproblem," sagt Felicia Ullrich, die die Studie seit vielen Jahren betreut: "Während der Coronapandemie hat die Berufsorientierung zusätzlich gelitten, weil entsprechende Präsenzangebote weggefallen sind."

Ausbildung zum E-Sportler?

Zur Frage, welche Ausbildungsberufe tatsächlich angeboten werden und welche nicht, herrscht entsprechend Verwirrung. So sind 74,3 Prozent der Azubis davon überzeugt, dass eine duale Ausbildung zum "Persönlichen Gesundheitsassistenten" angeboten wird, die die Auszubildenden befähigen soll, Privatpersonen zum Thema gesunder Lebenswandel zu beraten. 73,3 Prozent von ihnen glauben, dass es eine Ausbildung zum "E-Sportler" gibt, die Fachleute hervorbringen soll, die sich auf professionellem Niveau Videospielen widmen. Beide Angebote existieren aktuell nicht - im Unterschied zum "3-D-Druckexperten" etwa. Hier schätzen lediglich die Hälfte (55,5 Prozent) der Azubis die Lage richtig ein, dass ein solcher Ausbildungsberuf existiert.

Azubi-Auswahl optimierungsfähig

Bei den Ausbildungsverantwortlichen wird mit 54,1 Prozent nur ein weiterer Grund häufiger für unbesetzte Ausbildungsplätze genannt als die mangelnde Berufsorientierung: die fehlende Eignung der Jugendlichen. "Eignungsdiagnostisch gesehen sind die aktuellen Azubi-Auswahlverfahren allerdings optimierungsfähig," sagt die zertifizierte Eignungsdiagnostikerin Felicia Ullrich. So hält nur eine Minderheit der Ausbildungsbetriebe eignungsdiagnostische Standards bei den Auswahlgesprächen ein - wie ein einheitliches Fragenset, eine schriftlich fixierte Struktur, ein schriftlich definiertes Anforderungsprofil als Grundlage oder einen Auswertungsbogen.

Azubi-Recruiting: Social Media überschätzt

Vielen Unternehmen gelten TiKTok & Co. als das Mittel der Wahl im Azubi-Recruiting. Nur 10,9 Prozent der Azubi-Bewerbenden nutzen jedoch Social Media gezielt für die Suche nach einem Ausbildungsplatz, weitere 39,6 Prozent sind im Hinblick auf Social Media Passivsucher: Erhalten sie ein entsprechendes Angebot, schauen sie es sich an, sie suchen jedoch nicht aktiv. Von denjenigen Azubi-Bewerbenden, die Social Media gezielt nutzen, informieren sich 51,7 Prozent "häufig" oder "sehr häufig" auf Instagram. TikTok kommt auf 28,4 Prozent.

Recruiting im Blindflug

Während Social Media von den Ausbildungsbetrieben recht umfangreich bespielt wird - allein 88,3 Prozent nutzen eigenen Angaben zufolge Instagram - wird die Luft bei den Kennzahlen zur Steuerung von Azubi-Recruitingprozessen dünn. 66,6 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen nutzen nach eigenen Angaben keine Kennzahlen im Azubi-Recruiting. Von den wenigen Betrieben, die Kennzahlen verwenden, kann nicht einmal die Hälfte die Frage beantworten, welcher Recruitingkanal zu welchen Kosten qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber liefert.



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