Chemnitz möchte eine Radstadt werden. Aber was ist dafür notwendig? Um das herauszufinden, sprach Blick-Reporterin Peggy Schellenberger mit Ralph Sontag, dem Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC).
Der Radverkehr ist deutlich gestiegen. Würden Sie Chemnitz als Radstadt bezeichnen?
Ganz deutlich: Nein. In einer Radstadt dominiert das Fahrrad und ist wesentlicher Bestandteil im Straßenverkehr. Bis dahin ist es in Chemnitz noch ein langer Weg. Es ist aber schön, dass das Fahrrad in der Stadt wieder stärker wahrgenommen wird. Wenn wir irgendwann den Klimaschutz-Zielen gerecht werden wollen, müssen wir den Ansprüchen einer Radstadt mehr und mehr gerecht werden.
Welche Bedeutung messen Sie dabei den E-Bikes zu?
Ich sehe das zwiespältig. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es sich bei den E-Bikes auch um Motorfahrzeuge handelt. Der Umstieg vom tonnenschweren PKW aufs E-Bike ist natürlich ökologisch wünschenswerter als der Umstieg vom normalen aufs elektrounterstützte Rad. Zu Bedenken ist auch, dass die bestehende Radverkehrs-Infrastruktur dem steigenden E-Bike-Verkehr und den höheren Geschwindigkeiten noch nicht gewachsen ist, sowohl in der Qualität als auch in der Quantität. Außerdem sollten sich besonders ältere Menschen bewusst sein, dass das Fahren eines E-Bikes auch Kraft braucht, sowohl beim Bremsen als auch beim Lenken. Bestimmte physische und kognitive Leistungsfähigkeiten sollten vorhanden sein und die Geschwindigkeit nicht unterschätzt werden.
Im Fahrradklimatest bekam Chemnitz die Note 3,7. Was bemängeln die Zweiradfreunde in unserer Stadt besonders und wie kann das Sicherheitsgefühl verbessert werden?
Besonders deutlich ist bei den Radfahrern die Diskrepanz zwischen Sicherheitsgefühl und tatsächlicher Sicherheit. Beispiel hierfür sind die teilweise seltsamen und gefährlichen Lösungen an Baustellen, die plötzlich vermeintlich sichere Radwege einfach unterbrechen. Das sind auch alltägliche Dinge, die man mit besserer Koordination und Verständnis für die Bedürfnisse der Radfahrer sofort beheben könnte. Bemängelt wird auch die gesamte Radverkehrsinfrastruktur in Chemnitz, wo noch ganz viel zu tun ist, um das Fahrradklima langfristig zu verbessern. Verglichen mit dem motorisierten Verkehr finden wir praktisch keinen Radweg, der ebenso eben, geradlinig und stetig trassiert wurde.
Verbessert werden kann das durch Radverkehrsbeauftragte (Mehrzahl!) im Planungsamt, welche sich dann hoffentlich um die radverkehrsspezifischen Dinge kümmern und zum Beispiel die Lösung an Baustellen besser mit den Firmen koordinieren. Zudem wünsche ich mir eine allgemeine Entschleunigung im Stadtverkehr und gegenseitiges Verständnis auf der Straße. Wenn wir Radfahrer stärken, sie als PKW-Fahrer mit Respekt behandeln, werden diese auch selbstbewusster und regelkonform unterwegs sein. Das stärkt das Sicherheitsgefühl, was man in anderen Städten erleben kann. Letztendlich entlastet mehr Radverkehr unsere Straßen von Lärm und Stau und nützt damit allen - auch denen, die gerade nicht auf dem Rad sitzen.
Welche infrastrukturellen Veränderungen wünschen Sie sich bezüglich des Radwegenetzes in Chemnitz?
Schön wäre es, wenn die Radverkehrskonzeption in Chemnitz umfänglich umgesetzt würde. Wir brauchen nicht nur tolle Leuchtturmprojekte die aus der Stadt wegführen, wie zum Beispiel den Chemnitztalradweg, sondern auch innerstädtische Highlights, die den Radverkehr fördern. Beispiele sind hier die unübersichtlichen und teilweise gefährlichen Situationen am Falkeplatz oder die überdimensionale und unattraktive Kreuzung am Stephansplatz. Das sind Knotenpunkte, wo Radfahrer aus vielen Richtungen kommen, teilweise auf Gleisen stehen oder Radwegführungen vermissen. Dort, wo man sich positionieren muss, wird bei Planungen der Radverkehr oft hintenan gestellt und nicht als gleichberechtigter Verkehr berücksichtigt.
Der ADFC bietet viele Touren in und um Chemnitz an. Welche Radwege können Sie denn den Ausflüglern besonders empfehlen?
Natürlich ist die Tour ins Chemnitztal immer zu empfehlen. Aber dank der modernen Navigationssysteme kann man viele radfreundliche Touren abseits der bekannten Strecken erkunden. Zu empfehlen ist das tatsächlich das ADFC-Tourenprogramm, bei dem für jedes Leistungsniveau etwas dabei ist.