Chemnitz. Von der jungen Familie mit Kindern bis hin zu betagten Senioren - ein großer Andrang aller Altersklassen herrscht derzeit auf dem Gelände des ehemaligen Kaßberg-Gefängnisses. Der Komplex ist ein einstiger politischer Haftort mit doppelter Diktaturgeschichte und war Abwicklungsort des Häftlingsfreikaufs aus der DDR. Zum Lernort gehört eine Dauerausstellung über die Haftschicksale früherer politischer Gefangener. Der neue Außenrundgang verbindet den bereits seit 2017 bestehenden Gedenkort mit dem neuen Lernort. Der bereits bestehende Gedenkort und der neue Lernort zusammen bilden den Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis, der damit komplett fertiggestellt ist. "Die neue Gedenkstätte kann dabei helfen, etwas über Diktaturen und den Wert von Freiheit und Demokratie zu erfahren", sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer bei der Eröffnung.
Ein Ort des Lernens und Gedenkens
Den Aufbau der Gedenkstätte hat der Freistaat Sachsen gemeinsam mit dem Bund und der Stadt Chemnitz finanziert. Der Freistaat Sachsen hat dabei den neuen Lernort im Hafttrakt B des ehemaligen Gefängnisses mit 2,8 Millionen Euro gefördert. Dazu kommt ein Bundeszuschuss in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro. Geöffnet ist das Gelände am heutigen Sonntag noch bis 16 und künftig immer mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.
Ein Ort mit vielschichtiger Geschichte
Der Kaßberg ist als Abschiebegefängnis der DDR bekannt geworden. Im Jahr 1989 verfügte der vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) genutzte Gefängnisteil über 163 Zellen, in denen 329 Häftlinge untergebracht werden konnten. Von hier aus wurde der Häftlingsfreikauf in den Westen durch die DDR abgewickelt, der im Gegenzug für dringend benötigte Devisen sorgte. Fast 30.000 freigekaufte Häftlinge wurden über das Kaßberg-Gefängnis abgeschoben. Als eine der wenigen Gedenkstätten, die SED-Unrecht abbilden, kann an diesem historischen Ort die ost- wie die westdeutsche Perspektive des Häftlingsfreikaufs abgebildet werden.
Vor 1945 hielt das NS-Regime hier Personen gefangen, die für die Volksgemeinschaft als nicht würdig angesehen wurden. Nicht zuletzt spielte der Kaßberg bei der Verfolgung Chemnitzer Juden eine Rolle. Nach dem Krieg bezog der sowjetische Geheimdienst hier Quartier. Nicht nur NS-Verbrecher, sondern auch Jugendliche, die haltlos beispielsweise beschuldigt worden, der Partisanenorganisation "Werwolf" anzugehören, waren hier Häftlinge ebenso wie Personen aus dem Umfeld dem Wismut, die man der Spionage oder Sabotage bezichtigte.
Ein Ort des Erinnerns
Seit seiner Gründung im Jahr 2011 setzt sich der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. dafür ein, auf dem Gelände der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt Kaßberg in Chemnitz einen Lern- und Gedenkort einzurichten. In ehrenamtlicher Tätigkeit engagieren sich die Mitglieder des Vereins mit Führungen und Veranstaltungen. Dazu gehören auch Zeitzeugengespräche in und außerhalb von Chemnitz. Bis zu Beginn der Umbaumaßnahmen im Winter 2018 ermöglichte er in den Jahren 2017 und 2018 - meist in Begleitung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen - jeweils etwa 130 Gruppenbesichtigungen über das einstige Haftgelände.
Als außerschulischer Lernort will die Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis das Wissen über die zwei deutschen Diktaturen wachhalten und, mit einem vielfältigen pädagogischen Programm, vor allem jungen Menschen immer wieder den Wert einer rechtsstaatlichen demokratischen Gesellschaftsform vor Augen führen. Der Lern- und Gedenkort soll zum freien Meinungsaustausch einladen und demokratiefördernd wirken.
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