Motorsport-Ostalgie im Museum für sächsische Fahrzeuge Chemnitz

MOTORSPORT Neues Buch über den DDR-Rennsport der 1950er-Jahre vorgestellt

Chemnitz. 

Am Donnerstag ging es im Museum für sächsische Fahrzeuge Chemnitz erneut motorsportlich zu. Nachdem die für den Dezember 2023 geplante Buchvorstellung zum Thema staatlicher DDR-Auto-Rennsport in den 1950er-Jahren auf Grund des damals erkrankten Autors Hendrik Medrow ausgefallen war, stand nun wenige Wochen nach der Buchpräsentation von Jens Conrad mit seinem Werk "Meister mit zwei Kerzen - Trabant-Rennsport in der DDR" der Nachholtermin an. Im Kern ging es diesmal um Hendrik Medrows neuestes Werk mit dem Titel "Von Blendern, Siegern, Sechszylindern ... Das staatliche DDR-Rennkollektiv 1951-1957", welches unlängst ebenfalls im Top-Speed-Verlag erschienen ist.

 

Die Entstehungsgeschichte des staatlichen DDR-Rennkollektivs

 

In besagtem Buch wird detailliert über das 1951 in Berlin-Johannisthal gegründete staatliche DAMW-Rennkollektiv und dessen Siegeszug in der damaligen Formel II und bei Sportwagen-Rennen berichtet. Vor rund 70 Besuchern stellte der 1951 in Plauen geborene und seit vielen Jahren im knapp außerhalb des nordöstlichen Berliner Rings gelegenen brandenburgischen Leegebruch beheimatete Autor sein Buch vor, reichte viel Wissenswertes über das DDR-untypische staatliche Rennkollektiv in komprimierter Form in Wort und Bild dar und lockerte seine Ausführungen mit historischen Filmausschnitten auf.

Zur Einführung nahm er das Publikum zunächst auf eine ideelle Zeitreise in die Nachkriegszeit mit und schilderte dann das wirklich ungewöhnliche Zustandekommen des Rennkollektivs. Daher kam auch der Begriff Blender in den Titel des Buches, denn ein Hochstapler aus der BRD und zugleich dem Reden nach DDR-affiner Möchtegern-Jurist, der sich den Ersatz-Namen Dr. Ernst Ring gegeben hatte, brachte wohl den Stein ins Rollen.

 

Die Erfolge werden mehr

 

Ebenso informierte Hendrik Medrow über die damalige Ausgangssituation in Sachen Rennsport im Nachkriegs-Deutschland. Während im BRD getauften Westteil mit dem AvD und dem ADAC große Alt-Verbände das motorsportliche Ruder wieder an sich rissen, gab es in der DDR innerhalb des DTSB (Deutscher Turn- und Sport-Bund) lediglich eine Sektion Motorsport. Diese sowie die DDR-Rennfahrer wurden, wie die DDR selbst, allerdings international lange nicht anerkannt.

Während in der BRD dank des USA-Marshall-Plans auch die Fahrzeug-Industrie schnell wieder ans Laufen kam, versank die DDR im Chaos der Reparationsleistungen an die Sowjetunion. Die Produktionsanlagen in Zwickau wurden fast vollständig in den neuen "Bruder-Staat" verbracht, doch in Eisenach konnten 1949 immerhin auf die Schnelle drei Rennwagen für das erste Dessauer Rennen aufgebaut werden. Diese verschwanden allerdings 1950 schon wieder.

1951 wurde dann schließlich das staatliche dem DAMW (Deutsches Amt für Material- und Waren-Prüfung) unterstellte DDR-Rennkollektiv mit Sitz in einer ungenutzten Produktionshalle für Landmaschinen auf dem Gelände des Flugplatzes Berlin-Johannisthal gegründet.

Im gleichen Jahr feierte dieses auf der Dresdner Autobahnspinne seinen ersten Rennsieg mit dem ersten reinrassigen DAMW R1 und Arthur Rosenhammer am Steuer, wenngleich nur drei Autos am Start waren.

 

Sieg beim Klassenfeind

Den ersten vielbeachteten Sieg beim politischen Gegner gelang 1952 auf der West-Berliner AVUS ebenfalls Arthur Rosenhammer, nun mit einem IFA R1 heißenden Boliden mit Sechszylinder-1,5-Liter-Viertaktmotor.

Für eine noch bessere Anbindung an einen Automobil-Produktionsbetrieb wurde das Rennkollektiv Anfang 1953 nach Eisenach verlegt. Inzwischen bot man dem Platzhirsch Porsche absolut die Stirn.

Als 1954 der BRD-Motorsport-Verband ONS (Oberste Nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland) die allein für sich beanspruchte "Deutsche Meisterschaft" öffnete und das EMW-Rennkollektiv an dieser teilnahm, belegten die DDR-Rennfahrer Arthur Rosenhammer aus Dessau, Edgar Barth aus Herold im Erzgebirge und der Eisenacher Paul Thiel hinter dem Westdeutschen Porsche-Werksfahrer Richard von Frankenberg die Plätze zwei, drei und vier.

Ein weiterer Meilenstein wurde 1956 vom nun AWE lautenden Rennkollektiv gesetzt, indem man auf dem Nürburgring erstmals bei einem 1.000-Kilometer-(Langstrecken-)Rennen an den Start ging. Mit dem dritten Platz in der 1,5-Liter-Klasse, herausgefahren von Edgar Barth und Arthur Rosenhammer, hatte man erneut überzeugen bzw. glänzen können.

Als 1957 die internationalen Automobilklassen vom Weltverband FIA neu geordnet wurden und für die Teilnahme am Rennsport hohe Fahrzeug-Homologationsvorschriften mit mindestens in Kleinserien herstellten Rennwagen gestellt wurden, zog das Rennkollektiv selbst den Stecker. Auch die Rückkopplung von der Motorsport-Technik für die Serie war nicht mehr wirklich gegeben. Das am 16. April 1957 beschlossene Aus wurde aber erst im August mit einer Randnotiz im DDR-Fachmagazin Illustrierter Motorsport kommuniziert. In Summe hatte man von 1951 bis einschließlich 1956 über 800 Millionen DDR-Mark plus einen ebenfalls beträchtlichen Betrag an Devisen ausgegeben.

 

Interesse am Buch?

Soweit die Kurzform der Geschichte des staatlichen DDR-Rennkollektivs. Natürlich ist diese im Buch "Von Blendern, Siegern, Sechszylindern ... " auf 336 Seiten noch viel detaillierter niedergeschrieben. Wie der Autor betont, ist das Buch kein Auftragswerk, sondern entstand aus eigenem Antrieb und Interesse. Für seine akribische und extrem Zeit-raubende Recherche hat Hendrik Medrow unter anderem 25.000 zum Glück bereits digitalisierte A4-Seiten aus dem AWE-Archiv gesichtet und ausgewertet. Beschrieben werden alle 60 Rennveranstaltungen mit 208 Einsätzen der insgesamt 16 auf die Räder gestellten Autos in Wort und Bild. Diese werden garniert mit zahlreichen Statistiken, Ergebnistabellen, technischen Dokumentationen, Kurzbiographien maßgeblicher Personen hinter den Kulissen und hinter dem Lenkrad, 53 Original-Dokumenten sowie über 700 Fotos.

Wer die Veranstaltung verpasst hat und dennoch Appetit auf diese interessante Geschichte bekommen hat, kann das Buch "Von Blendern, Siegern, Sechszylindern ... " zum Preis von 49 Euro zzgl. Versandgebühren ebenso wie Jens Conrads Buch "Meister mit zwei Kerzen ..." zum Preis von 29 Euro beim Top-Speed-Verlag erwerben.

Weitere Events des Museums für sächsische Fahrzeuge Chemnitz in diesem Jahr sind neben der noch bis zum 28. April laufenden Sonderausstellung "Automobilrennsport in der DDR" die Teilnahme an der Chemnitzer Museumsnacht am 4. Mai von 18 bis 1 Uhr, das Fahrradfest an der historischen Hochgarage am 26. Mai von 10 bis 15 Uhr, das 18. Jawa-/CZ-Treffen am 16. Juni von 10 bis 13 Uhr und das Simson- und MZ-Treffen am 15. September von 10 bis 15 Uhr.

Das Museum befindet sich in der Zwickauer Straße 77 in 09112 Chemnitz. Weitere Infos sind auf der Website zu finden.



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