Forschung: Was Pegida und die Corona-Proteste verbindet

Interview Wissenschaftler über Herausforderungen bei der Erforschung aktueller Protestbewegungen

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Pegida-Demonstrationen im Zuge der Flüchtlingskrise und den sogenannten "Corona-Spaziergängen"? Und warum tun sich Gesellschaft und Politik so schwer mit diesen Bewegungen? Dr. Piotr Kocyba, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU-Professur Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas, wollte es genauer wissen. Der Experte für Protestbewegungen erforschte unter anderem bereits die Fridays-For-Future-Proteste und die Black-Lives-Matter-Bewegung.

Nun veröffentlichte er gemeinsam mit Soziologen aus Berlin und Wien ein Arbeitspapier über qualitative und quantitative Herausforderungen bei der Erforschung unter anderem von Pegida. Im Interview spricht er über zentrale Ergebnisse der Publikation, warum sich Pegida, die sogenannten "Corona-Proteste" sowie "Querdenker" ähneln und warum aus seiner Sicht Politik und Gesellschaft deutlicher reagieren sollten.

Herr Kocyba, zu welchen wesentlichen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Ausgangspunkt war für uns die Beobachtung, dass uns interaktionsnahe Datenerhebungen unter den Anhängerinnen und Anhängern Pegidas immer vor methodische Schwierigkeiten und ethische Probleme gestellt haben. Das hat uns dazu bewogen, den "Arbeitskreis Rechte Protest-Mobilisierungen" zu gründen, entsprechende Workshops zu organisieren und Kolleginnen und Kollegen dazu einzuladen, auch ihre Erfahrungen mit uns und schließlich mit Leserinnen und Lesern zu teilen.

Aufmerksame Leser werden bei der Lektüre dann auch schnell feststellen, dass wir es auf rechten Demonstrationen vor allem mit einer tiefsitzenden Ablehnung von Forschenden zu tun haben, die sich teilweise in aggressivem Verhalten äußerte - bis hin zu physischen Übergriffen. Das haben wir selbst auch 2015 im Rahmen einer Beobachtungsstudie im Zuge des ersten Geburtstages von Pegida erfahren müssen. Und das nicht etwa von Neonazis oder Hooligans, sondern von den sogenannten besorgten Bürgerinnen und Bürgern.

Sie weisen in dem Band unter anderem darauf hin, wie schwierig es ist, zu validen Daten zu gelangen. Zum Beispiel zur Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das Wichtigste erscheint mir hier, dass man offen mit den Schwächen der eigenen Daten umgeht. Anstatt zu behaupten, dass man repräsentative Daten generiert hat, sollte man exponieren, dass man sehr wahrscheinlich eine gewichtige Verzerrung in den Datensätzen haben wird - eine Verzerrung, die Pegidas Anhängerschaft weniger radikal erscheinen lassen könnte, als sie es ist. Dafür spricht der Umstand, dass wir über die meisten der Anhängerinnen und Anhänger Pegidas überhaupt nichts sagen können.

Während etwa bei den Klimastreiks der Fridays-For-Future Bewegung nur etwa fünf Prozent der Protestierenden eine Zusammenarbeit mit dem Befragungsteam noch während der Demonstration verneinten, haben bei Pegida-Veranstaltungen bis zu zwei Drittel der angesprochenen Demonstrierenden die Teilnahme an einer Befragung verweigert. Wenn man dabei bedenkt, dass vor allem die aggressiv wirkenden Protestierenden die Kooperation mit den Befragerinnen und Befragern ablehnten, dann kann man da von ausgehen, dass die Datensätze die radikale Anhängerschaft nicht angemessen abdecken. Man sollte aber nicht nur offen über solche Probleme sprechen, sondern auch über die Sicherheit des Befragungsteams nachdenken.

Was ich seitdem eingeführt habe, sind beispielsweise Sicherheitswesten mit der Aufschrift 'Befragungsteam' und IDs mit Foto und Namen. So wird man erst gar nicht mit den als Feindbild betrachteten Vertreterinnen und Vertretern der Presse verwechselt und macht seine Rolle im Forschungsfeld sichtbar. Das hilft, potenziell gefährliche Situationen von vornherein zu umgehen.

In Interviews und Statements konnte man beobachten, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Pegida von sich wiesen, in irgendeiner Form rechtsradikal zu sein. Gleichzeitig hatten sie aber keine Probleme damit, Seite an Seite mit offensichtlich Rechtsradikalen und Neonazis zu laufen. Wie passt das zusammen?

Bezeichnenderweise war es nicht nur so, dass man sich nicht an der Anwesenheit offener Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten störte. Die - wie gesagt - in die gemäßigte Mitte Pegidas hin verzerrten Daten zeigen, wie radikal die Anschauungen unter der Anhängerschaft Pegidas bereits Januar 2015 waren. Wenn man den bessergebildeten Teil Pegidas mit mindestens Abitur mit dem entsprechenden Teil der deutschen Gesamtbevölkerung vergleicht, dann stellt sich heraus, dass die Anhängerinnen und Anhänger Pegidas knapp zwölfmal so häufig ausländerfeindlich, mehr als 13-mal so chauvinistisch und mehr als 51-mal so häufig antisemitisch eingestellt sind als der bundesdeutsche Durchschnitt.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Behauptung, nicht rechtsradikal zu sein, entweder wie eine bewusste Distanzierung von einer Kategorisierung, die im öffentlichen Diskurs einer Stigmatisierung gleichkommt. Oder: Diese Personen bewegen sich in Milieus, in denen äußerst radikale Ansichten so normal geworden sind, dass sie als solche gar nicht mehr wahrgenommen werden. Am Ende wird es wohl eine Mischung von beiden Phänomenen sein.

Sind Ihre Ergebnisse übertragbar auf aktuelles Geschehen wie die sogenannten "Corona-Spaziergänge" in Sachsen und anderen Teilen Deutschlands?

Selbstverständlich. Ich habe den Eindruck, ein Déjà-vu zu erleben. Wie bei Pegida wollten es viele Beobachter zunächst nicht wahrhaben, dass wir es hier mit Personen zu tun haben, die gar keine klassischen Neonazis sein müssen, um unsere Demokratie zu gefährden und Gewaltphantasien Taten folgen zu lassen.

Solche Personen sind sogar viel gefährlicher als der extremistische Rand der Gesellschaft, weil sie eine größere Mobilisierungswucht entwickeln. Sie normalisieren hervorragend äußert rechtes Gedankengut und werden von der Mehrheitsgesellschaft nicht ansatzweise wie Neonazis stigmatisiert.

Man sieht aktuell, wie schwer sich Politik und Rechtsstaat tun, gegenüber den sogenannten "Spaziergängern" und "Querdenkern" eine klare Haltung zu entwickeln. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Ich glaube, dass es ein großes Bedürfnis nach gesellschaftlicher Harmonie gibt. So viele Menschen öffentlich zu kritisieren, fällt selbstverständlich nicht leicht, zumal diese nach dem äußeren Erscheinungsbild meist nicht wie Neonazis oder Hooligans daherkommen, sondern nach ganz gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürgern aussehen. Zudem gibt es die Hoffnung, dass große Teile solcher Protestbewegungen durch ein politisches Einhegen wieder Teil des demokratischen Spektrums werden könnten.

Anstatt sie öffentlich zu stigmatisieren, wird solchen Personengruppen oftmals mit Verständnis ob der berechtigten Sorgen begegnet. Jetzt scheint man überrascht über die Radikalität zu sein, die jedoch von Beginn an in solchen Gruppendynamiken angelegt war. Wie gesagt, für mich ist das vor dem Hintergrund Pegidas ein Déjà-vu-Erlebnis.

In Sachsen erhielt Gesundheitsministerin Petra Köpping kürzlich zu Hause Besuch von sogenannten Demonstrantinnen und Demonstranten. Ministerpräsident Michael Kretschmer Anfang dieses Jahres ebenfalls. Kürzlich enthüllte ein ZDF-Bericht, dass es anscheinend sogar Mordpläne gegen ihn gab. Vor Krankenhäusern werden Mahnwachen gegen Impfungen abgehalten. Kann man da noch von einer Protestbewegung sprechen?

Von Protest kann man im Falle etwa der Mahnwachen oder der von Ihnen erwähnten Hausbesuche auf jeden Fall sprechen - wenn man unter Protest eine kollektive und öffentliche Handlung versteht, die Widerspruch zum Ausdruck bringen soll. Das ist völlig unabhängig vom guten Geschmack der Protesthandlung, ihrer Legalität oder Friedlichkeit.

Ob es sich um eine Bewegung handelt, wird sich im Zeitverlauf zeigen. Um von einer Bewegung zu sprechen, müssen wir noch ein wenig abwarten und sehen, wie es mit den Protestierenden nach der Pandemie weitergehen wird, wobei ich von einer organisationalen Stabilisierung ausgehe wie bei Pegida - selbst wenn die Mobilisierungskraft mit der Zeit nachlasen wird.

Apropos Mobilisierung: Aktuell scheinen der Messenger-Dienst Telegram und die sogenannten "Freien Sachsen" eine wichtige Rolle zu spielen. Der sächsische Ministerpräsident forderte unlängst eine Regulierung von Telegram. Sehen Sie das als probates Mittel?

Ich erachte das eher als Aktionismus. Zunächst werden sich solche Gruppierungen selbst im Falle einer schnellen Regulierung von Telegram anderweitig online organisieren. Gruppenbildung und Identitätsstiftung hat bereits stattgefunden, ein Verbot solcher Telegram-Chats würde damit viel zu spät kommen. Vor allem aber sind damit weder die Trägerinnen und Träger solcher Ideologien noch dafür anfällige Personen einfach weg, nur weil man einen Messenger-Dienst reguliert hat.

Der sächsische Ministerpräsident sollte vielmehr auf einen längst überfälligen Wandel der politischen Kultur in Sachsen hinarbeiten, was aber ein wesentlich fordernderes und langwierigeres Vorhaben wäre, als Verbote welcher Art auch immer auszusprechen.

Vielen Dank für das Gespräch.



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