Chemnitz. Am 21. September 1994 fand zum ersten Mal der Welt-Alzheimertag statt - und an diesem Tag wird seit nunmehr 30 Jahren auf die an Alzheimer erkrankten Menschen und ihrer Angehörigen aufmerksam gemacht. Morbus Alzheimer - so lautet die exakte Fachbezeichnung für diese am häufigsten auftretende Demenz-Erkrankung - ist eine unberechenbare Krankheit, welche sowohl die Betroffenen als auch deren Angehörige und Betreuungspersonen gleichermaßen täglich vor neue Herausforderungen stellt. Der sich dadurch verändernde Alltag ist dabei geprägt von Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten.
BLICK-Redakteur Marcus Hengst sprach mit Ina Platzer, Pflegekoordinatorin der Stadt Chemnitz, unter anderem über die Krankheit, gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützungsmöglichkeiten sowie das 2016 gegründete "DemenzNetz_C(hemnitz)".
Hallo Frau Platzer, bevor wir tief in das Thema einsteigen: Was ist Demenz bzw. Alzheimer und wie viele Menschen sind davon in Deutschland, Sachsen und Chemnitz betroffen?
"Demenz ist keine einzelne Krankheit, sondern der allgemeine Oberbegriff für zahlreiche Erkrankungen, die mit dem fortschreitenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit in Verbindung stehen. Alzheimer wiederum stellt dabei die bekannteste und häufigste Form dar. In Deutschland leiden aktuell etwas mehr als 1,8 Millionen Menschen unter dieser Krankheit. In Sachsen sind etwas mehr als 100.000 und in Chemnitz knapp 10.000 Menschen. Die Dunkelziffer liegt aber deutlich höher."
Trotz Dunkelziffer sind in den letzten Jahren die Zahlen gestiegen - Was sind die Hauptgründe für diese Entwicklung?
"Alzheimer-Demenz macht sich bekanntlich primär im Alter bemerkbar. Das ist der Hauptgrund, warum die Zahl der Alzheimer-Patientinnen und -Patienten kontinuierlich wächst. Denn unsere Gesellschaft wird immer älter. In der Regel tritt die Krankheit bei Menschen auf, die älter als 60 Jahre sind. Jüngere sind hingegen selten davon betroffen. Von 100.000 Personen sind 100 im Alter von 45 bis 65 Jahren. Ein zweiter Grund ist, dass sich mehr und mehr Betroffene und Angehörige trauen, darüber zu sprechen."
Welche Symptome weisen darauf hin, dass ein Mensch unter Alzheimer-Demenz erkrankt ist bzw. darunter leidet?
"Vorab: Eine Alzheimer-Demenz-Erkrankung schleicht sich langsam ein. Sie beginnt mit dem Vergessen von Routinen, Namen oder Ereignissen und setzt sich mit Gedächtnislücken fort. Ein Beispiel, das sicherlich jeder kennt, ist die Suche nach dem verlegten Schlüssel. Je häufiger so etwas allerdings vorkommt, desto mehr wird es zu einer Belastung. Neben Gedächtnisverlust treten darüber hinaus oftmals auch Konzentrations- und Orientierungsprobleme auf. Alzheimer-Demenz-Patienten haben zudem mehr und mehr Schwierigkeiten mit alltäglichen Aufgaben, zeigen schusseliges und fahriges Verhalten und ziehen sich - oftmals aus Angst - aus dem sozialen und gesellschaftlichen Leben zurück. Mit Fortschreiten des Krankheitsverlaufes können Sprachstörungen bis hin zum Verlust der Sprache und Veränderungen der Persönlichkeit auftreten."
Was sollten Angehörige tun, sobald sie merken, dass etwas mit dem Familienmitglied nicht stimmt?
"Treten die Symptome immer wieder auf, so sollten Betroffene und Angehörige das Gespräch mit dem Haus- oder einem Facharzt suchen. Es ist wichtig, sich so frühzeitig wie möglich über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren und diese in Anspruch zu nehmen. Denn eine Demenzerkrankung verändert das Leben von Grund auf. Je mehr diese voranschreitet, desto herausfordernder die täglichen Aufgaben."
Wie geht man am besten mit Alzheimer-Demenz um?
"Auch bei Alzheimer-Demenz gilt: Je früher die Krankheit diagnostiziert wird und die Behandlung startet, umso erfolgreicher lässt sich das Fortschreiten des Krankheitsverlaufs hinauszögern. Für diese Krankheit gibt es - Stand jetzt - noch kein Medikament, allerdings wird diesbezüglich fleißig geforscht. Derzeit wird geprüft, ob der in der USA bereits eingesetzte Antikörper-Wirkstoff Donanemab auch in Deutschland zugelassen wird. Es gibt aber eine Vielzahl von verschiedenen Hilfs- und Therapie-Angeboten, mit denen das Leben vom Betroffenen und seinen Angehörigen angenehmer gestaltet werden kann. Ein entscheidender Faktor ist und bleibt die gesellschaftliche Teilhabe. Parallel ist es wichtig, individuelle Strategien sowie Pflege- und Versorgungsmaßnahmen anzubieten, damit demenziell Erkrankten weiterhin eine gute Lebensqualität haben."
Das "DemenzNetz_C(hemnitz)", das seit 2016 existiert, hat sich genau das auf die Fahnen geschrieben. Wie groß ist das Netzwerk und welche Angebote offeriert es?
"Das Netzwerk setzt sich mittlerweile aus 50 kompetenten Mitgliedern zusammen. Wir treten vor allem als Koordinator, Organisator und letztlich als Vermittler auf und halten verschiedene Angebote mit individuellen Betreuungsmaßnahmen vor, die dann mit unseren Partnern durchgeführt werden. Ob Ergotherapie, Pflege- und Betreuungsdienste, Alltagsbegleiter und Nachbarschaftshelfer - die Liste, um individuelle Hilfe zu erhalten, ist lang. Des Weiteren suchen wir ganz bewusst den Kontakt zu Berufsgruppen - wie beispielsweise Vermietern, Polizisten -, die den Menschen im Berufsalltag begegnen. Diese sogenannten Schlüsselpersonen helfen uns dabei, via Flyer Informationen über das Krankheitsbild, den richtigen Umgang damit Angehörigen näher zu bringen und diese darüber aufzuklären.
Wir selbst bieten wöchentlich eine Demenzberatung an sowie Entlastungsnachmittage für Angehörige. Beides wird sehr gut angenommen. Das gilt auch für die Veranstaltung anlässlich des Welt-Alzheimertages, die es seit 2012 in Chemnitz gibt und von Jahr zu Jahr mehr Zuspruch erhält, was uns natürlich sehr freut. Dieses Jahr steht dieser unter dem Motto "Demenz - Gemeinsam. Mutig. Leben."
Das Motto hat einen bestimmten Grund, richtig?
"Ja, das stimmt. Demenz ist eine unberechenbare Krankheit, die für Angehörige mit vielen Fragen und großer Verunsicherung verbunden ist und zu einer Belastung werden kann. Viele pflegen sich leider kaputt und vernachlässigen dabei die eigene psychische und physische Gesundheit. Wir möchten daran erinnern, dass wir jenen Herausforderungen auch gemeinsam begegnen können. Keiner ist mit einer Alzheimer-Demenz-Krankheit allein. Keiner."
Wie steht die Gesellschaft gegenwärtig zum Thema Demenz?
"Unser Ziel ist es, dass früher oder später Demenz einen Platz in der Mitte der Gesellschaft einnimmt. Diesem kommen wir jedoch nur kaffeebohnenweise näher, der Weg ist also noch ein weiter. Umso wichtiger ist es, die Gesellschaft auf das Thema aufmerksam zu machen und ein besseres Verständnis des Krankheitsbildes zu vermitteln. Seit der Netzwerkgründung leisten wir mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit einen elementaren Beitrag dazu. Demenziell erkrankte Menschen müssen gesehen und aufgefangen werden - und das gelingt nur mittels gesellschaftlicher Akzeptanz und Inklusion."
Vielen Dank für das ausführliche, aufklärende und interessante Interview, Frau Platzer!
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