Chemnitz. Die Briefmarke ist das kleinste Stück Papier, das Kunst in einem Land transportiert. So sieht es Joachim Rieß, und der muss es wissen: Der Chemnitzer ist einer der bekanntesten Briefmarkengestalter Deutschlands. Über 250 Einzelmarken hat er bis heute entworfen. Ein paar davon können die Bewohner des Seniorenheims Glösa derzeit begutachten. Dort wurde kürzlich eine Ausstellung für sie eröffnet, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Sie bringt Kunst zu Menschen, die nicht mehr raus zur Kunst können und würdigt Künstler aus der Region für ihr kreatives Schaffen Die Idee dazu hatte Stephan Gabler, der Sohn des verstorbenen Chemnitzer Malers Hermann Gabler. Als seine Mutter ins Pflegeheim nach Glösa kam, engagierte sich Stephan Gabler als Heimbeirat und wollte den Bewohnern mit Kunst etwas Abwechslung im Alltag bieten. Seit 2016 werden im halbjährlichen Rhythmus neue Bilder gezeigt, bis Sommer nun die Werke von Joachim Rieß.
Zum Leben von Joachim Rieß
Geboren wurde er 1937 in Chemnitz. Nach einer Lehre in der Werbeabteilung der Fewa-Werke Chemnitz war er seit 1965 freischaffend tätig auf dem Gebiet der Kleingrafik und Illustration. 1967 erhielt er den Kunstpreis der FDJ, im selben Jahr den Kulturpreis des Rat des Bezirks Karl-Marx-Stadt. Von 1965 bis 1992 arbeitete Rieß im Designer-Team mit Manfred Gottschall und Hans Detlefsen. "Wir wurden oft als Sachsen-Dreier bezeichnet und hatten eine produktive Zeit", erinnert sich Rieß. Von 1978 bis 1988 gestaltete er zudem gemeinsam mit dem Bildhauer Volker Beier diverse grafische Entwürfe für Sondermünzen der Staatsbank Berlin.
Von Enten über den Papst, den Kölner Dom und vieles mehr
Enten, Hunde und Vögel, berühmte Persönlichkeiten wie Papst Johannes Paul II. oder Joseph von Eichendorff, Gebäude, wie die Wartburg oder der Kölner Dom - all das und noch viel mehr hat Joachim Rieß auf "Botschafter eines Landes", wie er Briefmarken bezeichnet, gebracht. Zuletzt hat er vor drei Jahren am Wettbewerb um die Marke zum 500. Jubiläum der Annaberger Kät teilgenommen. Zu seinen persönlichen Höhepunkten zählt der 1991 von der Deutschen Bundespost herausgegebene Briefmarkenblock zum 200. Todestag Wolfgang Amadeus Mozarts, der von der Fachpresse zur "Schönsten Briefmarke" gewählt und mit der Robert-Stolz Trophy 1992 als "Schönste Musikmarke der Welt" ausgezeichnet wurde. Voraussetzung für die Arbeit eines Briefmarkendesigners sei ein ausgeprägtes Gefühl fürs Filigrane, Präzise, sagt Rieß.
Malerei als Mittel gegen die Einsamkeit
Doch Joachim Rieß kann auch "groß". Während er sich beim Briefmarkengestalten oft wie in einem Korsett befand, was Inhalt und Form betrifft, kann er sich beim Malen großer Leinwandbilder Zeit und Raum lassen. "Das Leben ist Episode und Anekdote, das versuche ich festzuhalten. Das geht aber nicht auf Befehl", erzählt er. Manchmal nutzt er seidenweiche Rotmarderpinsel, manchmal "ordinäre Schweinepinsel", so Rieß. Tusche, Acryl- und Mischtechniken bestimmen seine Bilder, die farbenfroh und oft leuchtend wirken. Sie zeigen unter anderem Reiseeindrücke, zum Beispiel aus Korsika. Aber auch aktuelle Themen, die Joachim Rieß beschäftigen, wie der Ukraine-Krieg, bringt er auf die Leinwand. "Der Krieg regt mich auf, vor allem, dass Kinder und Frauen umgebracht und Krankenhäuser angegriffen werden. Ich hatte sofort das Bedürfnis, dazu etwas zu malen", sagt der 85-Jährige. Mittlerweile sei er aber nicht mehr jeden Tag aktiv. "Manchmal sitze ich da und sage mir: du musst was machen. Und wenn dann eine Idee kommt, geht die Umsetzung ganz schnell", so Joachim Rieß. Seine Malerei halte ihn am Leben und sei auch das beste Mittel gegen die Einsamkeit, sagt er.
erschienen am 16.03.2023