"Musik ist eine der letzten Bastionen in unserer Welt, die etwas mit Zauberei zu tun hat"

Mark Forster und Igor Levit im Interview In der neuen VOX-Show "The Piano" bereiten Mark Forster und Igor Levit unentdeckten Klavertalenten an öffentlichen Plätzen eine Bühne. Im Interview sprechen der Popsänger und der Star-Pianist über die Bedeutung von Musik in unserer Gesellschaft und über das Klavier als Einstiegsinstrument.

Als "The Piano" im vergangenen Jahr auf Channel 4 im Vereinigten Königreich Premiere feierte, erzielte die Sendung den besten Start seines neuen Formats seit sechs Jahren. Kein Wunder, dass das Konzept, bei dem zufällige Passanten an einem öffentlich aufgestellten Klavier ihr Können zeigen, auch jenseits der britischen Inseln Interesse weckte. VOX bringt das Format nun als sechsteilige Serie (ab 24. September, immer dienstags, um 20.15 Uhr) ins deutsche Fernsehen.

Im Fokus steht dabei ein Klavier, das an zentralen Orten in vier deutschen Städten aufgestellt wird. Zufällig vorbeikommende Personen setzen sich an dieses Klavier, um zu spielen, während der 41-jährige Popsänger Mark Forster ("Chöre") und der 37-jährige Ausnahme-Pianist Igor Levit ihnen von einem versteckten Ort aus zuhören. Moderatorin Annika Lau versucht den Pianstinnen und Pianisten zudem in Gesprächen mehr über ihre besondere Beziehung zur Musik zu entlocken. Am Ende wählen Forster und Levit pro Stadt eine Person aus, die ihr Talent beim großen Abschlusskonzert in der Historischen Stadthalle in Wuppertal vor Publikum präsentieren darf.

Im Doppelinterview preisen Forster und Levit das Klavier als gutes Einstiegsinstrument. Außerdem betonen sie die Bedeutung von Musik und musikalischer Bildung und erklären, warum es fatal wäre, wenn der Musikunterricht in der Schule weiter gekürzt würde.

teleschau: Wie sah Ihre persönliche erste Begegnung mit dem Klavier als Instrument aus?

Mark Forster: An die buchstäblich erste Begegnung kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß aber, dass meine Mutter es für eine gute Idee hielt, dass ich Klavierunterricht bekomme. Ich glaube, weil sie sich das für sich selbst gewünscht hatte und keinen hatte. Ich habe aber passiven Widerstand gegen den Unterricht geleistet, indem ich nicht so viel geübt habe. Deshalb bin ich trotz Klavierunterricht kein besonders guter Pianist geworden. Aber im Nachhinein bin ich meiner Mutter dankbar, dass ich durch sie das Klavier als Basis für meine Musik habe, auch wenn ich nicht wie Igor Levit ganze Klavierkonzerte spielen kann. Ich habe auch erst viel zu spät, mit sieben Jahren angefangen. Igor, du bist, sobald du stehen konntest, direkt zum Klavier gelaufen, oder?

Igor Levit: Genau, ich bin sozusagen aus dem Bauch der Mutter auf die Bühne der Philharmonie geplumpst. Nein! Ich bin zum Klavier ganz natürlich gekommen: Klavier wurde zu Hause gespielt. Mit nicht mal drei Jahren bin ich einfach zum Klavier gekrabbelt und habe angefangen, Tasten herunterzudrücken und habe bis heute nicht damit aufgehört.

"Das Klavier ist das allertollste Einstiegsinstrument"

teleschau: Ist das Klavier ein gutes Einstiegsinstrument?

Levit: Das Klavier ist das allertollste Einstiegsinstrument, weil es ein sofortiges Erfolgserlebnis garantiert. Denn egal, ob du was kannst oder nicht: Du drückst eine Taste runter, und es kommt ein Ton raus, der nach etwas klingt. Dieses Erlebnis ist von unschätzbarem Wert: Danach will man einfach weitermachen, weil es funktioniert. Insofern ist das Klavier das beste Einstiegsinstrument und sowieso das beste Instrument von allen!

teleschau: Können Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt am Klavier erinnern?

Levit: Ja, damals war ich vier Jahre alt und habe mich selbst Kinderlieder singend am Klavier begleitet. Ich konnte nicht so gut singen wie Mark Forster und habe deshalb die Karriere als Sänger auch nicht weiterverfolgt. Mein erstes richtiges Klavierstück war, glaube ich, eine von Beethovens Ecossaisen. So richtig daran erinnern, kann ich mich allerdings nicht.

"Es geht darum. Menschen und ihre Beziehung zum Klavier zu zeigen"

teleschau: In "The Piano" stehen bislang unentdeckte Klaviertalente im Fokus, die an öffentlichen Orten ihr Können zeigen. Was sind das für Menschen, die mitmachen?

Forster: "The Piano" ist keine Talentsendung im eigentlichen Sinne. Es ist keine Castingshow, in der wir Deutschlands nächsten Superpianisten suchen, oder so etwas. Stattdessen geht es eher darum. Menschen und ihre Beziehung zum Klavier zu zeigen, die ganz unterschiedlich sind. Es geht von jung bis alt: Der jüngste Pianist war, glaub ich, sieben, und die älteste Pianistin war über 90. Es waren alle Musikrichtungen vertreten, die man sich vorstellen kann. Es gab klassische Stücke, es gab Popstücke, es gab Eigenkompositionen, Neo-Klassik, es gab sogar lustige Piano-Kabarettstücke. Da muss Igor Levit immer kurz weghören.

teleschau: Warum?

Levit: Ach, ja ... Eigentlich finde ich Kabarett ganz toll. ich würde mich selbst als den größten lebenden Fan von Sebastian Krämer bezeichnen, der einfach ein unfassbarer Künstler ist. Das ist eine Form von Geschichten erzählen am Klavier, die mich einfach glücklich macht. Und ich glaube, alle Musik-Nerds sind Fans von Georg Kreisler. Natürlich habe ich grundsätzlich nichts gegen diese Kunstform, allerdings gab es in der Sendung ein paar Beispiele, mit denen ich weniger anfangen konnte.

"Im Grunde geht es um die Frage: Was passiert an diesem Klavier?"

teleschau: Wie genau läuft "The Piano" ab? Wie werden die Menschen vor ihren Auftritten ausgewählt?

Forster: Man muss sich die Situation wie folgt vorstellen: An einem öffentlichen Ort, zum Beispiel an einem Bahnhof, steht am zentralsten ein sehr, sehr schönes Klavier. Irgendwo versteckt in einem Zimmer sind Igor Levit und Mark Forster, und keiner weiß, dass sie da sind. Wir hören und sehen alles. Die Pianistinnen und Pianisten wissen, dass sie bei einer Fernsehshow mitmachen, denn die Kameras sind offensichtlich. Sie wissen aber nicht genau, wofür. Es gibt viele Menschen, die eigentlich zum Zug wollen, und sich spontan ans Klavier setzen, ohne zu wissen, wofür es da steht. Das ist auch egal, denn im Grunde geht es um die Frage: Was passiert an diesem Klavier? Das Ziel ist, dass wir einen Konzertabend veranstalten in einer der tollsten Konzerthallen Deutschlands: der Stadthalle Wuppertal.

teleschau: Wie viele Pianistinnen und Pianisten wurden letztlich ausgewählt?

Forster: Die Zielsetzung war, aus jeder Stadt einen Pianisten oder eine Pianistin auszuwählen. Ob das geklappt hat, wollen wir an dieser Stelle nicht verraten (lacht).

teleschau: Konnten Sie sich bei der Auswahl schnell einigen?

Levit: Wir waren uns immer einig. Allerdings gab es auch Momente, in denen wir uns nicht für eine Person entscheiden konnten und am liebsten zwei oder drei mitgenommen hätten (lacht). Aber eine Situaton, in der der eine zum anderen sagte: "Lass dir mal Ohren wachsen!" hat es nicht gegeben. Das wäre aber mal lustig gewesen. Wir sollten eine zweite Staffel machen!

teleschau: Wann erfahren die Pianistinnen und Pianisten, dass Sie ihnen zugehört haben?

Forster: Am Ende des Tages, wenn alle gespielt haben, werden die Pianistinnen und Pianisten in einen Raum geführt, und da erscheinen wir dann. Das sind ganz tolle Momente! Wir verkünden dann, wen wir uns beim Konzert vorstellen könnten, und danach beginnen die gemeinsamen Proben.

"Eigentlich haben alle Geschichten einen Aspekt, der hervorzuheben wäre"

teleschau: Neben der Musik stehen bei "The Piano" auch die persönlichen Geschichten der Pianistinnen und Pianisten im Fokus ...

Forster: Das Verrückte ist: Wir könnten die Sendung durchgehen, und eigentlich haben alle Geschichten einen Aspekt, der hervorzuheben wäre. Wenn zum Beispiel die 90-Jährige erzählt, dass sie in den 1930er-Jahren ein Klavier von ihrem Papa geschenkt bekam und es im Jahr 2024 mit ins Altersheim nahm, dann lässt das keinen kalt. Ich denke auch an einen Pianisten, der eigentlich eine Metalband hat und mit seiner Band vor ein paar Jahren in der "Bravo" war. Er setzt sich mit seinen langen Haaren und den mit Kajal geschminkten Augen ans Klavier und spielt eine relative zarte, neo-klassische Eigenkomposition, während er in gewisser Weise in dem Instrument versinkt. Ich denke aber auch an den zehnjährigen Jungen mit seiner tollen Hippie-Familie, der ein Klavier in seinem Kinderzimmer hat und spielen darf, wann immer er möchte, egal, ob es Nacht ist oder ganz früh morgens. Wenn er die Tasten berührt, bringt er jeden zum Heulen.

Levit: Ich kann dem nur zustimmen. Wir hatten einen Pianisten, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Menschen mit seinem Klavierspiel emotional zu helfen. Er ist in verschiedenste Länder, bis hin zu Konfliktgebieten gefahren, hat sich ans Klavier gesetzt und gespielt. Er beweist so einen Mut und so eine radikale Menschlichkeit.

Forster: Nicht zu vergessen, dass er sein Klavier dabei selbst mit einem Anhänger transportiert und in Kriegsgebieten auf öffentliche Plätze gestellt hat.

"Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der sagt: 'Mir bedeutet Musik nichts'"

teleschau: Welche Bedeutung hat Musik oder das Musizieren in unserer heutigen Gesellschaft?

Forster: (überlegt) Ich glaube, dieser Moment, in dem man allein vor so einem Möbelstück mit weißen und schwarzen Tasten sitzt, ist aus irgendeinem Grund besonders. Genauso wie Musik nach wie vor besonders ist, auch wenn wir in einer Zeit leben, die uns aufgrund ihrer Reizüberflutung total beansprucht. Musik ist irgendwie eine der letzten Bastionen in unserer Welt, die etwas mit Zauberei zu tun hat. Für mich ist so was wie AirDrop oder Bluetooth auch eine Form von Zauberei, weil ich keine Ahnung habe, wie das funktioniert, aber Musik ist es auch: Wenn ein Akkord erklingt, den wir spüren, sind wir davon angefasst. Die Frage, wie wichtig Musik in unserer Gesellschaft ist, kann ich nicht beantworten. Aber das ist zumindest ein Teil einer Antwort.

Levit: Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der sagt: "Mir bedeutet Musik nichts." Wenn ich jemals einen solchen Menschen treffe, dann werde ich sehr, sehr viel Mitleid mit ihm haben und versuchen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Uns allen gibt Musik sehr, sehr viel Halt und ein Gefühl von Leben und Emotionen. Musik vermittelt einen Ausdruck, die Worte gar nicht finden könnten.

"Es kann nicht genug Musik geben"

teleschau: Dennoch hat man das Gefühl, dass die musikalische Bildung von Kindern zunehmend in den Hintergrund rückt. In Bayern etwa wird seit der letzten PISA-Studie darüber diskutiert, Musik mit anderen künstlerischen Fächern zusammenzulegen ...

Levit: Natürlich ist es bitter, derartige Einlassungen aus der Politik zu hören. Wie viele wissenschaftliche Studien braucht es noch, die darlegen, wie sehr Kinder sowohl auf neurologischer als auch emotionaler Ebene davon profitieren, wenn sie selbst Musik machen? Umso mehr Überzeugungskraft brauchen die Musikerinnen und Musiker aus verschiedenen Genres, aber auch die Medien, die für das gemeinsame Musizieren kämpfen wollen.

teleschau: Könnte eine Show wie "The Piano" dazu beitragen, dass Musik wieder mehr in den Fokus rückt?

Forster: Hundertprozentig! Ich habe bei mir den Effekt gespürt: Ich saß da und habe den Leuten beim Klavier spielen zugehört, und am nächsten Morgen wachte ich auf und dachte mir: Ach, komm. Ich setz mich mal wieder ans Klavier und spiel einfach für mich. Das hat mich total getriggert, und ich habe auch ein paar Sachen erfahren, die mir nicht klar waren: Zum Beispiel dass wirklich gute Pianistinnen gar keinen Klavierunterricht hatten, sondern das Klavierspielen über YouTube gelernt haben. Das heißt, man kann theoretisch bei eBay-Kleinanzeigen für einen kleinen Betrag ein Keyboard erwerben und sich damit einfach vor seinen Computer setzen und dann geht's los. Dann lernt man irgendein Klavierstück und kann es am Ende. Das geht und ist nicht besonders teuer. Und so eine Fernsehsendung, wie wir sie machen, motiviert und zeigt, was daran schön ist. Vielleicht sollten wir die Sendung mal dem ein oder anderen Politiker schicken, damit sie auch spüren, wie schön Musik sein kann.

teleschau: Wie bewerten Sie allgemein die Präsenz von Musik im deutschen Fernsehen?

Forster: Es gibt ein paar gute Musikshows wie "Sing meinen Song" oder "The Voice". Dass es inzwischen vermehrt Spielshows zum Thema Musik gibt. finde ich auch ganz cool. Aber einfach eine Musikshow um der Musikshow willen aus dem Boden zu stampfen, macht keinen Sinn. Solche Ideen sind meist ganz schnell wieder weg. Deshalb gehe ich derlei Anfragen auch eher aus dem Weg. Als die Anfrage für "The Piano" kam, habe ich mir das englische Vorbild angeschaut und festgestellt: Ja, das ist wieder eine gute Musikshow, die etwas mit mir macht. Insofern würde ich nicht sagen: Wir brauchen mehr Musikshows, aber wir brauchen gute Musikshows wie "The Piano", die Herz haben.

Levit: Ich sehe das genauso. Es kann nicht genug Musik geben! Mich macht Musik unglaublich glücklich, sie gibt mir Lebenssinn.



  Newsletter abonnieren

Euer News-Tipp an die Redaktion