Der Sender 3sat hat zwei Abende für das Thema Wind reserviert. Ist das zu viel Wirbel um die Naturgewalt? Keineswegs, denn laut Özden Terli zeigt die Natur bereits deutliche Folgen der Tatsache, dass sich die Erde immer mehr erhitzt. "Wir riskieren wirklich massive Veränderungen auf dem Planeten, und das ist sehr ernste Sache, die leider viel zu wenig ernst genommen wird", warnt der ZDF-Wetterexperte und erklärt im Interview, welche Rolle der Wind dabei spielt und warum der Treibhaus-Effekt im Grunde etwas Gutes ist, sofern ihn der Mensch nicht überlastet.

Um die Zusammenhänge von Klimawandel und Luftbewegungen deutlich darzustellen, ist Terli den Polarwinden über Spitzbergen bis zu den Südwestwinden über der Namib-Wüste gefolgt. Dabei sind ihm Menschen begegnet, die engagiert daran arbeiten, den Wind und die verwandten meteorologischen Phänomene messbar zu machen und das meteorologische System der Erde besser zu verstehen. 3sat präsentiert die Ergebnisse am Montag, 21. Oktober, um 22.25 Uhr, in Alexander Riedels dokumentarischem Roadmovie "Wind - Die Vermessung des großen Luftozeans". Einen Monat später, am Donnerstag, 21. November, greift die Sendung "WissenHoch2" um 20.15 Uhr das Thema auf, auch TV-Journalist Gert Scobel wird es im Anschluss, um 21 Uhr, in einer Gesprächsrunde mit seinen Gästen diskutieren.

teleschau: Der Dokumentarfilm "Wind - Die Vermessung des großen Luftozeans", den Sie moderieren, ist dem Thema Wind gewidmet. Was macht diese Elementarkraft so spannend für Sie?

Özden Terli: Das Wetter gehorcht physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Das ist es, was jede Wetterlage für mich spannend macht. Wind empfinde ich dabei als ein besonders faszinierendes Phänomen, weil er alles transportiert, zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit und die Prozesse in der Atmosphäre, die damit zusammenhängen. Aber auch Schadstoffe aus Industrieanlagen oder das Kohlendioxid, das sich mithilfe des Windes gleichmäßig auf dem ganzen Planeten verteilt. Wind selbst ist unsichtbar und steht niemals still. Wir können ihn aber erst sehen, wenn Wolken über den Himmel ziehen oder andere Dinge seine Kraft sichtbar machen. Stürme, auch wenn sie gefährlich sein können, haben mich schon immer begeistert, weil sie zeigen, wie sich Luftmassen bewegen.

teleschau: Wie hängen Wind und Klima zusammen?

Terli: Im Prinzip ist Wetter der Versuch der Natur, die Ungleichgewichte auszugleichen. Durch die Sonneneinstrahlung ist es am Äquator viel wärmer als an den Polen. Somit entstehen Druckunterschiede. Die Windsysteme sollen sie wieder ins Gleichgewicht bringen, denn die Natur versucht, die Wärme gleichmäßig zu verteilen. Das funktioniert aber nicht, weil die Sonne fortwährend Energie auf die Erde schickt. Also muss die Natur die unterschiedlichen Zustände dauerhaft durch den Wind regulieren.

"Wir sehen die Probleme bereits jetzt ganz deutlich"

teleschau: Welche Rolle spielt der Mensch dabei?

Terli: Wir Menschen greifen zusätzlich in das System ein und sorgen durch immensen CO2-Ausstoß dafür, dass mehr Wärme auf dem Planeten zurückbleibt als noch vor 40 Jahren oder im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Das führt dazu, dass die Natur immer heftigere und extremere Wetterereignisse erzeugt. Die Veränderungen sind gravierend, und ganze Windsysteme verändern sich. Wie genau das zusammenhängt, beleuchten wir im Film.

teleschau: Das heißt, der Treibhaus-Effekt nimmt stetig zu?

Terli: Ja, wir verschmutzen die Atmosphäre mit CO2. Da das Gas kein Licht reflektiert, sehen wir es nicht. Es blockiert aber die Wärmestrahlung, lässt sie nicht mehr ins All entweichen und sorgt somit dafür, dass sich der Planet immer weiter erhitzt. Dabei ist der Treibhaus-Effekt im Grunde eigentlich etwas Gutes, denn er führt dazu, dass es auf unserem Planeten warm genug ist, um darauf zu leben. Auf dem Mond gibt es ihn gar nicht, auf anderen Planeten wie dem Mars ist er sehr schwach. Wir Menschen haben den Treibhaus-Effekt allerdings überladen, indem wir seit fast 200 Jahren immer mehr CO2 verursachen. Das hat zur Folge, dass sich immer mehr Wärme in der Atmosphäre sammelt und sich das Gleichgewicht auf dem Planeten zu unseren Ungunsten verschiebt.

teleschau: Welche Probleme kommen dann auf uns zu?

Terli: Wir sehen die Probleme bereits jetzt ganz deutlich. Dadurch, dass sich die Temperatur erhöht, schmelzen weltweit die Eismassen, sei es in Grönland, in der Westarktis oder in den Alpen. Außerdem häufen sich die Extremwetterereignisse, wie zum Beispiel heftige Regenfälle oder Hitzewellen. Letztere sind auf die globale Erhitzung zurückzuführen. Das bedeutet, sie halten künftig länger an, werden intensiver und kommen häufiger vor.

teleschau: Haben Sie ein Beispiel?

Terli: Jüngst gab es die katastrophalen Überschwemmungen in Österreich, Tschechien und Polen - es starben Menschen. Allein 2024 gab es drei extreme Überflutungen in Deutschland außerhalb dieses Ereignisses, das ist auf überdurchschnittlich warme Meere und Ozeane zurückzuführen. Vergangenes Jahr herrschten extreme Verhältnisse im Mittelmeer-Raum. Dort hatte sich ein Tief gebildet, das in Griechenland extreme Zerstörung verursachte und in Libyen für mehr als 5.000 Tote sorgte. Menschen sterben also schon an den Veränderungen. Das ist keine Zukunftsvision, es passiert bereits.

"KI kann durchaus helfen, aber die Physik nicht ersetzen"

teleschau: Wie weit können Sie mit Ihren Vorhersagen in die Zukunft blicken?

Terli: Bevorstehende Wetterereignisse kann man relativ genau prognostizieren, allerdings ist es oft schwierig, den Ort zu bestimmen. Langfristige Klimaprognosen können wir dagegen recht genau erstellen. Ich kann die globale Durchschnittstemperatur in 50 oder 100 Jahren und darüber hinaus berechnen, aber ich kann nicht präzise vorhersagen, ob es in drei Tagen exakt über Ihrem Haus gewittert. Das sorgt oft für Unverständnis, aber den Berechnungen liegen einfach andere Methoden zugrunde, es werden andere Modelle und andere Parameter dafür herangezogen. Die Wahrscheinlichkeit eines Gewitters über Ihrem Haus muss in einem extrem kleinräumigen Raster analysiert werden, die Berechnung der globalen Mitteltemperatur findet dagegen auf globaler Ebene statt.

teleschau: Um die Wetterzusammenhänge abbilden zu können, muss eine Vielzahl an Messstationen dauerhaft aktiv sein. Funktioniert das flächendeckend rund um die Welt?

Terli: Ja, Messstationen speisen weltweit Daten ein. Entsprechend professionelle Wetterinformationen werden auch von Schiffen oder Flugzeugen übermittelt. Außerdem erhalten wir Daten von Radiosonden. Das sind Ballons, die während ihres Fluges Höhe, Temperatur, Feuchtigkeit, Windrichtung, Windstärke usw. messen. Sie beginnen damit schon beim Aufstieg. Natürlich senden auch Satelliten eine Fülle an wertvollen Informationen. Damit stehen uns unfassbar viele Daten zur Verfügung.

teleschau: Wird auch Künstliche Intelligenz in die Vorhersagen einbezogen?

Terli: Es gibt Ansätze, wissenschaftliche Modelle mit Künstlicher Intelligenz zu verbinden. In einigen Bereichen wird sie bereits eingesetzt, allerdings hauptsächlich unterstützend. Die klassische Wettervorhersage basiert auf physikalischen Modellen und Berechnungen, weil sie die reale Welt am besten abbilden können. In der Datenverarbeitung und beim Vergleich von großen Datenmengen hat KI aber bereits ihre Nützlichkeit bewiesen. Zum Beispiel hat das Alfred-Wegener-Institut schon vor Jahren Machine Learning genutzt, um schnellere und effizientere Ergebnisse zu erzielen. KI kann also durchaus helfen, aber die Physik nicht ersetzen.

teleschau: Kann der Einzelne den Klimawandel beeinflussen?

Terli: Es ist schwierig, den Einzelnen für die Rettung der Welt verantwortlich zu machen. Der Gedanke, den eigenen CO2-Fußabdruck zu berechnen, ist eigentlich eine Erfindung der Öl-Industrie. Natürlich kann jeder Einzelne versuchen, fossile Energieträger zu vermeiden, indem er öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder auf eine umweltfreundliche Heizungsmethode setzt. Aber wie wollen Sie denn einsparen, wenn das ganze System, in dem Sie leben, anteilig schon so viel verbraucht? Sei es die Straßenbahn oder das Heizkraftwerk. So gesehen haben Sie alleine dadurch schon einen immensen Fußabdruck.

teleschau: Wo liegt das Problem?

Terli: Der Klimaschutz wird schon seit Jahrzehnten nicht adäquat umgesetzt, sonst wären die Probleme jetzt nicht so groß. Letztlich liegt der größte Hebel bei der Politik. Wir brauchen gute Rahmenbedingungen und für die Unternehmen Planungssicherheit, um den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren. Wir sind in einer Situation, in der es keine Option mehr ist, langsam voranzugehen. Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Abkommen einhalten wollen, müssen drastische Maßnahmen ergriffen werden. Wenn wir nicht sehr bald stark einlenken, fällt die 2-Grad-Marke spätestens Mitte dieses Jahrhunderts. Damit riskieren wir massive Veränderungen auf dem Planeten.

"China baut mehr Photovoltaik-Anlagen als die gesamte EU zusammen"

teleschau: Welche Lösung bietet sich an?

Terli: Man muss alles elektrifizieren, das ist das Effizienteste. Das ist jetzt keine Forderung einer politischen Partei, sondern ganz einfach Physik. Was so eine extreme Auswirkung auf alle Menschen hat wie der Klimawandel, geht alle etwas an. Wir leben in einer Solidargemeinschaft, niemand kann sich seiner Verantwortung entziehen. Die Folgen spüren künftige Generationen noch in tausenden von Jahren. Das ist dramatisch und wird im Moment noch massiv unterschätzt.

teleschau: Oft schwingt Resignation im Denken der Menschen mit, wenn sie sagen: "Was hilft mein Verzicht, wenn in China die Schornsteine qualmen und die Städte von Smog gezeichnet sind?" Ist diese Weltsicht realistisch?

Terli: Das Argument, dass China nichts tut, um den Klimawandel zu bekämpfen, ist nicht richtig. Tatsächlich baut China mehr Photovoltaik-Anlagen als die gesamte EU zusammen und verzeichnet ein enormes Wachstum in der Elektromobilität. Solche Argumente werden häufig genutzt, um vom eigenen Versäumnis abzulenken.

teleschau: Auf Ihren Recherchen haben Sie viel von der Welt gesehen. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Terli: Wenn man in der Arktis steht, sieht man, wie sich die Natur verändert hat. Bilder zeigen, dass manche Fjorde früher vollständig zugefroren waren. Heute kann man dort nicht mehr über das Eis zu den Häusern am anderen Ufer laufen, denn es ist keines mehr da. Es wird ganz deutlich, dass die Arktis der Hotspot der globalen Erhitzung ist. Was dort passiert, bleibt nicht auf die Arktis beschränkt. Es wirkt sich auf das Klima weltweit aus. Das ist eine der Erkenntnisse, die der Film transportiert. Gleichzeitig hat sich die Arktis an anderen Stellen noch in überwältigender Schönheit präsentiert. Diese eisige Luft, das Licht und die Weite der Landschaft sind unglaublich beeindruckend. Es ist ein Ort der Kontraste: auf der einen Seite zeigen sich die zerstörerischen Auswirkungen des Klimawandels, auf der anderen Seite die faszinierende Natur.